Nie wieder "Derrick": Horst Tappert ist tot

(c) AP (Camay Sungu)
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Vom Bestgehassten zum Meistgeliebten: 281 Folgen lang jagte Horst Tappert als Inspektor Derrick Verbrecher – in einer rasant sich verändernden TV-Landschaft.

"Harry, hol schon mal den Wagen", dieser Derrick-Satz ist ein geflügeltes Wort, auch wenn Horst Tappert betonte, er hätte ihn nie gesagt. Der Mann mit den Glupschaugen, der Krankenkassenbrille und dem stoischen Wesen, der selten lächelte, psychologisch und ohne Zynismus Verbrecher in die Falle lockte, war einer der beliebtesten TV-Kommissare. Sein Erfolg sickerte in die Welt. Sickern? Ja, denn, was weniger präsent ist als sein – von ihm selbst recht bescheiden zelebriertes Startum – ist, dass Tappert keineswegs einen Blitzstart hinlegte.

Im Gegenteil, die Resonanz von „Derrick“ war anfangs niederschmetternd und das nicht nur, weil die Tat am Beginn verraten wurde, was für deutschsprachige TV-Zuseher ungewohnt war (amerikanische kannten es von „Columbo“). Tappert hatte ein spezielles Problem: Er war der Nachfolger von Erik Ode (1901–1983), einem echten Sir, der das TV-Kommissariat nach der alten Schule führte – und sichtbare schauspielerische Qualitäten hatte. Ode, ein kleiner, gedrungener Mann, verbreitete einen Hauch von Hollywood-Gruselgeschichten im schummrigen Ambiente deutscher TV-Krimis, die bestens zum schummrigen Ambiente der Wohnzimmer passten, in denen sie konsumiert wurden. Fast 100 Episoden lang prägte sich Ode den Zusehern ein, in einer Zeit, als es noch nicht die TV-Vielfalt von heute gab.

Als Tappert auftauchte, lautete die einhellige Meinung: Ein Unschauspieler, katastrophal! Weg mit ihm. Es kam anders. Tappert profitierte wie Ode zunächst vom bescheidenen TV-Angebot, noch mehr aber davon, dass er völlig anders war als Ode. Mit Tappert zogen Alltag, Realismus in den deutschen TV-Krimi ein. Es war ungefähr so wie heute, da sich der deutsche Film von angelsächsischen Prägungen löst und deutsche Geschichten in deutscher Form erzählt.

Das Licht leuchtete grell auf. Es schummerte nicht mehr, die Storys wurden authentischer und in ihnen agierte ein authentischer Kommissar: einerseits souverän, unbeeindruckbar, schlau und cool zu einer Zeit, in der dieses Wort noch unbekannt war, andererseits angestrengt, bleich, bedroht von Unwägbarkeiten, verunsichert, angewiesen auf Mitarbeiter wie eben seinen Harry, Fritz Wepper. Dieser machte aus den minderbemittelten Helfern, wie sie Verbrecherjäger gern mit sich führen, einen echten Partner, natürlich mithilfe des Buchautors Herbert Reinecker, der sage und schreibe 30 Jahre lang, von 1968–1998 „Kommissar“ Ode wie auch „Derrick“ Tappert mit Geschichten versorgte. 2007 starb Reinecker mit 92.

Tappert, der „Buchhalter“ im Kommissariat, der skurrilerweise tatsächlich Buchhalter im Theater werden wollte, bevor er für die Bühne entdeckt wurde, trat mit Gemach, aber umso nachhaltiger seinen Siegeszug an. Und während das Fernsehen immer breiter aufgefächert wurde und immer mehr Menschen immer länger vor der „Glotze“ hockten, bewährte sich Derrick-Tappert, weil er vertraut war, weil er oft so herrlich intuitiv zum Ziel kam und noch für das größte Scheusal menschliches Verständnis zeigte, wiewohl er in der Sache stets hart blieb.

Späte Berufung zum Polizisten

Genau die Mischung war es, die ihn so berühmt machte und dazu führte, dass viele trauerten, als er 1997 nach über 23 Jahren und 281 Folgen Adieu sagte, auf bescheidene Weise. Zwischen Derrick und Tappert gab es Parallelen, vielleicht konnte Tappert darum den Derrick so kongenial verkörpern.

Geboren wurde der Sohn eines Beamten in Elberfeld (Rheinland). Er absolvierte eine kaufmännische Lehre und war in Kriegsgefangenschaft. Bevor ihn spät, mit 51, der Ruf ins Kommissariat ereilte, hatte Tappert 100 Theaterrollen gespielt, darunter Schiller, Shaw, Molière oder die Hauptrolle in „Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller. Außerdem trat Tappert in Fernsehspielen und Filmen auf, in „Und Jimmy ging zum Regenbogen“ nach einem Simmel-Roman, in „Die Trapp-Familie in Amerika“ (1958).

„Derrick“ gilt als die erfolgreichste deutsche Krimiserie und wurde in 108 Ländern rund um den Globus ausgestrahlt. Fanclubs bildeten sich. In Frankreich übertraf die Quote sogar die US-Serien „Dallas“ und „Denver“. 2004 gab es eine von Tappert und Wepper besprochene Comic-Version. Tappert erschien noch einige Male im TV, durchaus beachtlich, z. B. in „Der Kardinal – Der Preis der Liebe“.

In einer Münchner Klinik ist er Samstag gestorben. „Es ist traurig, aber jetzt hat er seine Ruhe. Er hatte ein erfülltes Leben“, sagte seine Frau, Ursula, mit der er seit 1957 verheiratet war. Tappert, der sein Leben nach „Derrick“ genießen wollte, hatte in den letzten Jahren mit Krankheiten zu kämpfen. „Ich lebe sehr zurückgezogen“, sagte er in seinem letzten Interview mit der „Bunten“ zu seinem 85. Geburtstag im heurigen Mai: „Mag sein, dass ich mich seltsam anstelle, aber ich schätze die Ruhe mit meiner Frau. Kontakt zu alten Kollegen pflege ich auch nicht mehr, die meisten sind ohnehin schon tot. Ich will noch einige Zeit da sein.“

In Memoriam Horst Tappert

ORF2 zeigt am Samstag (20.12.) ab 11h hintereinander zunächst die erste Folge der Krimi-Serie „Derrick“ (1974) mit dem Titel „Der Waldweg“ und danach die Abschlussfolge (1998) „Das Abschiedsgeschenk“. Regisseur beider Episoden war Dietrich Haugk.

Horst Tappert wurde 1923 als Sohn eines Beamten im heutigen Wuppertal, geboren. Nach Kriegsgefangenschaft begann er als Buchhalter am Theater der Altmark in Stendal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2008)

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