Richard Gutjahr: „Meine NSA-Story wollte kein Mensch lesen“

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Blogger im Gespräch: Richard Gutjahr rät Nachwuchs-Bloggern zu Transparenz, Glaubwürdigkeit, Authentizität. Gekaufte Kommentare in Foren hält er für „idiotisch“ – und er hat nichts dagegen, wenn jemand seine Texte klaut.

Einmal im Jahr zeigen Sie den Lesern ihres Blogs, was sie an technischer Ausrüstung in Ihrem Rucksack haben, um jederzeit und von überall ihre Texte, Fotos und Videos online zu stellen. Gibt's darin auch etwas Unerwartetes? Ich habe immer einen Schreiblock mit, wenn ich recherchiere. Ich bin ja ein Zwitterwesen, ein Hybrid. Ich bin groß geworden in der analogen Welt und habe damals bei der ,Süddeutschen Zeitung“ noch Fotos gummiert und auf dem Lichttisch eingepasst. Das kennen die Kinder ja heute gar nicht mehr.

Die Jungen haben einen anderen Umgang mit Technik und Medien erlernt.
Ja. Letztens war eine Jugenderhebung in der Zeitung. Eine 17 jährige wurde da zitiert mit: „Twitter ist mir zu textlastig“. Ich konnt's gar nicht fassen, so schön war das!

Sie sind derzeit auf Einladung der Agentur Ambuzzador in Wien, um den Blogger-Nachwuchs zu schulen. Kann man als Blogger Geld verdienen?
Ja, es geht. Aber nicht so, wie viele denken. Nicht eins zu eins unmittelbar mit den Texten und Fotos, die man online stellt, sondern mit der Kompetenz, die man sich aufbaut, aus dem Buzz, den man generiert.

Was meinen Sie mit Buzz?
Der Markenwert des Bloggers in seiner Nische misst sich nicht an Quantität, sondern an der Qualität der Beziehungen, die er sich aufbaut. Es geht um Glaubwürdigkeit und Loyalität. Das ist so wie beim Fernsehen: Die Öffentlich-Rechtlichen haben sich dem Quotendiktat der Privaten angenähert – und plötzlich schießen TV-Phänomene hervor, die im Pay-TV, Streaming, On-Demand-Bereich global einen gigantischen Gesprächswert erzeugen. Serien wie ,Breaking Bad‘, ,House of Cards‘ oder ,Game of Thrones‘ sind Unterhaltung auf sehr anspruchsvollem Niveau. Und der Zuschauer zahlt dafür sogar. Das ist fast wie im Sado-Maso-Studio: Man lässt sich auspeitschen, weil man gefordert werden möchte von Drehbuchautoren, Regisseuren, Darstellern. Mittlerweile laufen die Kinodarsteller im Fernsehen zur Höchstform auf, weil man da einen Charakter entwickeln kann – so eine Serien-Staffel erreicht ja Wagner'sche Nibelungen-Längen.

Wofür zahlen die Leute bei einem Blog?
Authentizität. Alle Blogger, die authentisch sind, besitzen große Glaubwürdigkeit, die sie gegen Euro, Bitcoins oder was auch immer eintauschen können.

Womit haben Sie das meiste verdient?
Mit der Apple-Präsentation in Cupertino. Das sind Selbstläufer, da muss man gar nicht viel machen, außer die Kamera draufhalten. Ich bin auf eigene Kosten hin geflogen, das hat mich 2000 Euro gekostet. Ich habe für den Ticker dann 99 Cent verlangt – das hat 200 Euro eingebracht, mit den Fotos habe ich mehr verdient, etwa 1000 Euro. Man kann also sagen, das war ein Minusgeschäft. Aber bei solchen Geschichten kommt die Refinanzierung erst später: Ich habe mir damit einige tausend neue Stammleser erarbeitet.

Und was war der größte Flop?
Im März war ich bei der NSA in Utah und habe geschaut, wo unsere Daten alle aufgehoben werden. Mitten in der Pampa. Das wollte wiederum kein Mensch lesen. Das hat niemanden interessiert, dabei habe ich NSA-Aussteiger interviewt, Menschen, die NSA erfolgreich verklagt haben. Ich dachte, das wären Mördergeschichten, aber in den Abrufzahlen spiegelte sich das nicht wieder.

Wie wird der Kampf der Medien um Aufmerksamkeit weitergehen?
Die größte Schlacht der Digitalisierung steht uns noch bevor: beim Fernsehen, weil dort die meisten Produktionsmittel und das meiste Werbegeld gebunden sind. Mittlerweile ist auch in Österreich Netflix gestartet – das war vor zehn Jahren ein Video-Versandhändler und heute produzieren die TV-Serien, die mit Preisen überhäuft werden und den Produktionen von klassischen TV-Sendern in nichts nachstehen, sondern sie in der Qualität sogar überholen. Microsoft dreht Serien, auch Amazon. Da wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Die Verleger kämpfen um Entschädigung, wenn kommerzielle Anbieter wie Suchmaschinen ihre Inhalte oder Teile davon online stellen.

Was halten Sie von der Diskussion über ein Leistungsschutzrecht?
Das amüsiert mich. Ich verstehe, dass die Verlage die Kuh so lange melken wollen, wie wie sie Milch gibt.

Ist es Ihnen denn egal, wenn jemand Ihre Texte klaut?
Ich habe einmal einen Blogpost über (Facebook-Kritiker; Anm.) Max Schrems gemacht. Den kannte vor vier Jahren keine Sau. Die Abendzeitung hat die Geschichte eins zu eins übernommen, samt Foto, und daraus einen Aufmacher gemacht – mit meinem Namen. Am nächsten Tag hat die ,Bild‘ exakt dieselbe Geschichte gemacht – alles abgeschrieben und meine Zitate geklaut. Ohne meinen Namen zu nennen. Das ging dann bis CNN und Fox News. Bin ich sauer? Nö. Das Schlimmste ist, wenn ich eine gute Geschichte habe und keiner liest sie. Für mich ist Aufmerksamkeit die wichtigste Währung. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz: Man darf klauen, aber man muss sagen, woher – und zum Original-Text verlinken.

Was raten Sie den Teilnehmern an ihren Blogger-Seminaren noch?
Ein Blogger muss mindestens zwei Mal, besser drei Mal pro Woche zu bloggen. Bloggen ist kein Hundertmeterlauf, sondern ein Marathon. Ich habe zehn Kilo zugenommen, denn statt mir Zeit für Sport zu nehmen, trainiere ich derzeit meinen Blog-Muskel. Und man darf sich nicht blenden lassen von Leserzahlen oder Klick-Raten, weil sonst haben wir alle nur Inhalte wie Katzenvideos, Monster in Baggerseen und Promi-Scheidungen. Die Geschichte vom Chemielehrer, der an Krebs erkrankt, zum Drogenboss wird und über Leichen geht, hat ja auch nicht gerade das klassische Strickmuser einer TV-Serie. Den Mut zu haben, so etwas wie ,Breaking Bad‘ trotzdem zu machen, das ist die eigentliche Kunst und die große Herausforderung für alle Blogger und alle Medien.

Unlängst wurde bekannt, dass eine Wiener Agentur für Kunden gekaufte Kommentare in Internet-Foren platziert hat.
Das ist idiotisch, weil man sich dadurch um das bringt, was das wichtigste ist: das ungeschminkte, wahre Feedback der eigenen Kunden. Firmen geben viel Geld aus, um mittels Umfragen eine ehrliche Meinung zu bekommen. Die Marketingleiter, die das zu verantworten haben, gehören alle gefeuert. Ich erlebe in meinem Blog auch häufig, dass gekaufte Leute kommentieren oder versuchen, Links unterzubringen. So jemand landet gleich im Spam-Ordner. Wenn etwas im Netz heilig ist, dann ist es Transparenz, Glaubwürdigkeit und Authentizität.

Zur Person

Richard Gutjahr (*1973) hat Politik und Kommunikationswissenschaft studiert. Er arbeitet als freier Mitarbeiter für die ARD, moderiert die Nachrichtensendung „WDR aktuell“ sowie die Spätausgabe der „BR-Rundschau“, schreibt u.a. für die „FAZ“, den „Berliner Tagesspiegel“ und betreibt den Blog gutjahr.biz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2014)

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