Sarrazin: „Die Gleichheitsideologie dominiert die Medien“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ex-Politiker Thilo Sarrazin kritisiert das „magische Denken“ in den Medien. Man könne Probleme nicht lösen, indem man sie ignoriert. Gegen Vereinnahmungen von rechts wehrt er sich mit dem Anwalt.

Die Presse: Der Freund meiner Friseurin hat Ihr Buch „Deutschland schafft sich ab“ in Zeitungspapier versteckt, weil er in der U-Bahn so grimmige Blicke geerntet hat.

Thilo Sarrazin: Manche glauben eben, das Übel entsteht dadurch, dass man es benennt.

„Deutschland schafft sich ab“ hat sich eineinhalb Millionen Mal verkauft. Ihr neues Buch „Der neue Tugendterror“ erregte weniger Aufsehen. Ist es nicht böse genug?

Es hat sich über 100.000 Mal verkauft. Damit bin ich sehr zufrieden. Natürlich gefällt es vielen Medien nicht, dass ich darin den Spieß umdrehe und die Journalisten quasi zur Analyse auf die Couch lege. Entsprechend haben sie berichtet – oder auch nicht.

Bei dieser „Jagd“ auf Sie wurde getrickst, behaupten Sie. Nennen Sie ein Beispiel.

Der „Spiegel“ hat drei junge Migranten gefragt: „Trifft es Sie, wenn Politiker wie Thilo Sarrazin behaupten, Migranten seien faul?“ So etwas habe ich nie behauptet, der Redakteur wollte den jungen Persern einfach den Rassismusvorwurf entlocken, was auch gelungen ist. Der Chefredakteur des „Handelsblattes“ hat mich bei einer Diskussion „zitiert“. In Wahrheit hat er das „Zitat“ frei aus unterschiedlichen Sätzen und Zusammenhängen kompiliert. Derlei Fälle gab es viele.

Anlässlich Ihres neuen Buchs waren Sie in die Sendung von Sandra Maischberger eingeladen, man hat Sie wieder ausgeladen.

Ja, der Auftritt war seit Monaten für den Tag nach Erscheinen meines Buches festgelegt, fünf Tage vor der Sendung kam eine Weisung von der Programmleitung des Westdeutschen Rundfunks, ihn abzusagen. Das stellte sich dann in Bezug auf den „Tugendterror“ als ein uniformes Verhalten der bundesdeutschen Talkshows heraus.

Sie kritisieren die Vorherrschaft der Political Correctness. Haben Sie die Gesellschaft schon tabufreier erlebt?

Konformitätsdruck ist allen Gesellschaften immanent, der Inhalt ist unterschiedlich. Heute stellt unsere Medienklasse die Unterschiede zwischen Gruppen, Religionen, Kulturen unter Tabu, egal, ob das die Flüchtlings-, die Islam- oder die Verteilungsfrage betrifft. Würde ich die frühen 1950er-Jahre untersuchen, fände ich ähnliche Mechaniken. Da war es etwa schwer möglich zu sagen, dass Stauffenbergs Hitler-Attentat moralisch berechtigt war, oder dass man schwul ist.

Im Internet gibt es mehr Meinungsfreiheit denn je, auf Wikipedia wird die Debatte um „Deutschland schafft sich ab“ differenziert dargestellt, und die von Ihnen kritisierten deutschen Zeitungen haben viele Wissenschaftler für und wider Ihre Thesen schreiben lassen. So gleichgeschaltet ist die Öffentlichkeit also nicht.

Ich behaupte nicht, dass wir totalitär gleichgeschaltet wären. Dass die Gleichheitsideologie die Medien dominiert, heißt nicht, dass andere Meinungen gar nicht zu Wort kommen. Es gibt aber ein gewisses magisches Denken, nach dem Motto: Ich kann die Welt dadurch ändern, dass ich sie so beschreibe, wie ich sie haben möchte. Die wirtschaftlichen Probleme und die Umweltprobleme im Ostblock wurden durch Nichtbenennung nicht kleiner – der Zusammenbruch war die Folge! China hat die Probleme der Planwirtschaft rechtzeitig benannt. Dort ist die Kommunistische Partei immer noch an der Macht.

Sie haben angezweifelt, dass Merkel eine „wirkliche Demokratin“ sei, weil sie Ihr Buch „nicht hilfreich“ nannte.

Das war kein ernsthafter Zweifel. Ich habe nur auf ihre DDR-Vergangenheit hingewiesen. In deren Propagandavorschriften wurde ebenfalls festgelegt: Darüber wird gar nicht berichtet, darüber positiv, das wird zum Aufmacher, das kommt auf Seite zwei in eine unbedeutenden Notiz...Eine ähnliche Mechanik gab es offenbar in Merkels Kopf, nur so konnte sie auf die Idee kommen zu sagen, ein Debattenbeitrag sei hilfreich oder nicht.

Durch viele bildungsferne muslimische Migranten und den Geburtenrückgang der Deutschen werde Deutschland dümmer und wirtschaftlich weniger leistungsfähig, so Ihr damaliges Fazit. Ihre Thesen zum Zusammenhang zwischen angeborener Intelligenz und Nation bzw. Religion und Bildung wurden teils heftig angegriffen. Würden Sie heute einiges anders sagen?

Ich würde einiges anders formulieren, in der Substanz stehe ich nach wie vor hinter jeder Aussage. Einen Zusammenhang zwischen angeborener Intelligenz und ethnischer Herkunft habe ich übrigens nie behauptet, das wäre auch ganz unsinnig. Das ändert nichts daran, dass unsere intellektuellen Fähigkeiten weitgehend erblich sind. Die Intelligenzforscher haben meine Aussagen zur Erblichkeit von Intelligenz umfassend bestätigt. Auch was den Einfluss von Kultur und Religion auf den Schulerfolg und die Integration betrifft, hat mich niemand widerlegt. Ich war kürzlich bei einem Vortrag in Vorarlberg. Dort gibt es seit den 1960er-Jahren eine Minderheit türkischer Arbeiter, die vor 50 Jahren dort hinkam und großteils bis heute nicht richtig integriert ist. Eine dortige Volksschullehrerin hat mir gesagt, sie hat eine Klasse mit 20 Kindern, alle sind österreichische Staatsbürger. Acht davon gehen in den islamischen Religionsunterricht, und sechs von ihnen sprechen kein richtiges Deutsch. Und das nach 50 Jahren.

Die islamische Kultur ist ein Bildungshindernis, behaupten Sie, aber es gibt auch Gegenbeispiele, wie iranische Migranten.

Viele türkische Migranten kommen aus bildungsfernem, oft ländlichem Milieu. Die iranischen Einwanderer waren ja gerade säkulare Muslime, die vor dem strengen Islam geflüchtet sind. Die Türken kamen nicht aus der Unterschicht, das waren ganz normale Türken, dafür gibt es ein einfaches Indiz: Die PISA-Ergebnisse türkischer Schüler haben in Österreich, Holland und Deutschland ein einheitliches Niveau, deutlich unter jenem einheimischer Schüler. Das sind exakt dieselben PISA-Ergebnisse wie in der Türkei selbst. Mit Ausnahme des Iran schneiden in allen europäischen Ländern Einwanderer aus muslimischen Ländern im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt schlechter ab.

2046 werde Wien 21Prozent Muslime haben, wurde vor einigen Tagen gemeldet. Wie kommentieren Sie das?

Abgesehen davon, dass ich die Zahl für unterschätzt halte: Wenn sich die Muslime bis dahin nicht deutlich geändert haben, werden die durchschnittlichen Schulleistungen in Wien schlechter sein als heute und die Basisarbeitslosigkeit höher. Wenn weiterhin eine wenig gebildete Unterschicht ihre Frauen verhüllt und unterdrückt und eine unterdurchschnittliche Erwerbsbeteiligung hat, wird Wien eine Stadt sein, die stärker segregiert und weniger liberal ist.

Obwohl Sie sich bis heute zur SPD bekennen, sind Sie mit Ihren Aussagen ein Liebkind des rechten Randes geworden. Was tun Sie dagegen?

Wenn Parteien wie die NPD oder Pro Deutschland versuchen, mit einem Zitat oder meinem Bild zu werben, wird mein Anwalt eingeschaltet. Aber man sollte sich nicht für Dinge rechtfertigen, die man richtig findet. Wenn die ÖVP eine Initiative gegen Kindesmissbrauch startet, und eine rechtsradikale Partei tut dasselbe, muss sich die ÖVP nicht von der eigenen Initiative distanzieren.

ZUR PERSON

Thilo Sarrazin (69) war für die SPD Berliner Finanzsenator und von 2009 bis 2010 Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank. Sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ war eines der meistdiskutierten Sachbücher der vergangenen Jahre. Im heuer erschienenen Buch „Der neue Tugendterror“ rechnet Sarrazin mit den deutschen Medien ab. Er war auf Einladung des Hayek-Instituts in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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