Riskante Recherchen in der Volksrepublik

(c) REUTERS (GLEB GARANICH)
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Nur wenige ukrainische Journalisten können aus den Separatistengebieten im Osten des Landes berichten. Kiewer Medien verlassen sich weitgehend auf Material aus Social Media. Und im Donbass werden neue, genehme Redaktionen gegründet.

Wenn Jewgenij Schibalow im Sommer aus dem Fenster schaute, dann konnte er den Granaten beim Einschlagen zusehen. Seine Wohnung am Stadtrand von Donezk war als Beobachtungsposten perfekt geeignet – mit hohem Risiko. Seine Familie hatte Schibalow in Sicherheit gebracht. Er selbst blieb. Und schrieb.

Der Korrespondent der Kiewer Wochenzeitung „Zerkalo Nedeli“ ist vielleicht der einzige ukrainische Journalist, der seit Beginn des Konflikts in der Ostukraine vor Ort ist und unter seinem Namen für ein Medium schreibt, das nicht unter dem Einfluss der ostukrainischen Separatisten steht.

Der Krieg im Donbass hat dramatische Auswirkungen auf Medien und Journalisten – und damit auf die Berichterstattung. Als die Separatisten Anfang April Gebäude in mehreren Städten der Region besetzten, war der nächste Schritt die Erstürmung der Fernsehtürme. Missliebige Fernsehkanäle wurden abgeschaltet, Redaktionen besetzt. Medien, die aus der Sicht der prorussischen Aktivisten ukrainische Propaganda verbreiteten, wurden bedroht. „Wir galten plötzlich als Feindesblatt“, erinnert sich ein Journalist einer auflagenstarken Kiewer Tageszeitung. „Ende Mai hieß es: Wir müssen weg.“ Die Zentrale konnte nicht mehr für die Sicherheit der Mitarbeiter garantieren.

Im April und Mai fand in den selbst ernannten „Volksrepubliken“ geradezu eine Jagd nach Journalisten statt. Viele einheimische, aber auch ein paar ausländische Reporter landeten „im Keller“ – Synonym für illegale Haft und Folter. Mittlerweile haben nahezu alle landesweiten ukrainischen Medien ihre Büros in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten geschlossen. Aber auch unabhängige Lokalmedien sind von dem Exodus betroffen. Das „Donezker Bürgerfernsehen“ sendet aus dem ostukrainischen Städtchen Slowjansk, das unter der Kontrolle der Armee steht. Die Info-Website „Donbass-Nachrichten“ musste nach Kiew übersiedeln. Die meisten Journalisten der kritischen Website „Ostrow“ sind ebenso abgereist – lediglich ein Korrespondent ist noch vor Ort. Er arbeitet undercover. Die Redaktion möchte den Kontakt für die „Presse am Sonntag“ nicht herstellen. Zu gefährlich.

Während ausländische Journalisten weitgehend ohne Probleme auf beide Seiten der Front reisen können, ist das für ukrainische Journalisten viel riskanter. Es gibt nur ein paar Kiewer Reporter – wie etwa Igor Burdyga von „Westi Reportjor“ –, die hinter die Frontlinie fahren. Offen proukrainische Journalisten wie etwa vom TV-Sender Fünfter Kanal sind in Donezk nicht erwünscht.


Medien mit Auftrag. Marina Bereschnewa zitiert Stalin, wenn sie die Anforderungen an die Medien in der Donezker Volksrepublik erläutert: „Kritisier nicht nur, mach Vorschläge!“ Medien müssten, neben korrekten Berichten, die Sprünge in der Gesellschaft „kitten“, den Weg voran weisen, „damit die Toten nicht umsonst gestorben sind“, wie die Frau mit dem feuerrot gefärbten Haar sagt. Bereschnewa bekleidet zurzeit den Posten der Informationsministerin, nachdem die bisherige Amtsinhaberin auf eine Mine getreten ist und sich schwer verletzt hat. Ukrainische Medien würden es mit der Wahrheit nicht sehr genau nehmen, kritisiert Bereschnewa. Sie bestreitet, dass Redaktionen aus den „Volksrepubliken“ vertrieben wurden. Sie seien „gegangen“.

Momentan läuft in Donezk eine Neuregistrierung. 130 Medien haben sich nach Angaben des Informationsministeriums angemeldet – eine stattliche Zahl. Doch die Medienlandschaft hat sich dramatisch verändert. Erwähnt sei nur das einflussreiche Fernsehen: Es gibt nun vier neue Lokalsender, die die offizielle Sicht der Separatisten präsentieren – und kein Privat-TV mehr. Auch ein staatliches Nachrichtenportal namens „DNR Today“ und eine Nachrichtenagentur wurden gegründet. Wer im Donbass proukrainische Standpunkte konsumieren will, ist auf Seiten im Internet angewiesen.

Das Internet, genauer: soziale Medien sind indes zur Hauptquellen geworden für die traditionellen ukrainischen Medien fern vom Konfliktgebiet. Videoclips und Fotografien werden gern als Illustration für Beiträge verwendet, die Urheber sind meist unbekannt. Authentische Stimmen oder Material für Propaganda? Es ist eine Gratwanderung, auf die sich Journalisten begeben. „Zerkalo Nedeli“-Korrespondent Schibalow fährt selbst an die Schauplätze des Konflikts. Er konzentriert sich auf die humanitäre Lage – „das akuteste Thema hier“, wie er sagt. „Alle Medien schreiben über den Krieg. Doch hier leben Millionen friedlicher Bürger.“ Als bekannter proukrainischer Journalist gibt es für ihn Einschränkungen: Er darf sich keinen militärischen Objekten nähern – und er darf den Begriff „Terroristen“ nicht verwenden. An der Wortwahl „Separatisten“ halte er fest, erklärt er, von „Freiheitskämpfern“ habe er noch nie geschrieben. Bisher hat es stets geklappt mit der Akkreditierung.

Der Korrespondent der auflagenstarken Tageszeitung ist dagegen undercover unterwegs. Er berichtet vom Alltag im Krieg, zum Beispiel vom Überleben ohne Bargeld. „Ich habe keine Propagandaabsichten“, sagt er. „Ich beschreibe das, was ich sehe.“

Dieser Artikel entstand im Rahmen von Stereoscope Ukraine, einem Projekt des Mediennetzwerks n-ost.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

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