Amerikas Dauerangriff auf die Pressefreiheit

U.S. Secretary of State Kerry hosts a luncheon celebrating recipients of the Art in Embassies Medal of Arts Award in Washington
U.S. Secretary of State Kerry hosts a luncheon celebrating recipients of the Art in Embassies Medal of Arts Award in Washington(c) REUTERS (JONATHAN ERNST)
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Die unter Präsident Obama verschärfte Jagd auf die Enthüller der Skandale und Missbräuche in Militär und Geheimdiensten ist trotz jüngster Mildtätigkeit in Einzelfällen nicht zu Ende. Sie ist dem US-Recht immanent.

Der amerikanische Außenminister, John Kerry, trat am Dienstag in Washington vor ein Publikum renommierter Kriegsberichterstatter und sprach: „Schweigen gibt den Diktatoren Macht, den Misshandlern, den Tyrannen. Sie erlaubt es der Tyrannei zu blühen, nicht der Freiheit.“ Deshalb, schloss er, „haben wir die Unterstützung der Pressefreiheit unter Präsident Obama zu einem der wiederkehrenden Themen der Außenpolitik der Vereinigten Staaten gemacht“.

Zur selben Zeit, ganz in der Nähe des Außenministeriums, in einem Gericht in Alexandria, kämpft ein Amerikaner um seine Freiheit, der sich getraut hatte, die Welt darüber zu informieren, was passiert. Jeffrey Sterling, ein ehemaliger Analyst des Geheimdienstes CIA, ist angeklagt, geheime Informationen von nationalem Interesse an die Medien herausgespielt zu haben. Er soll vor mehr als zehn Jahren unter anderem den „New York Times“-Reporter und zweifachen Pulitzerpreisträger James Risen über Pannen der CIA bei der Sabotage des iranischen Atomwaffenprogramms informiert haben.

Der Fall Branzburg und seine Folgen

Dieser Fall, der sich seit Jahren dahinzieht, weil die Staatsanwaltschaft es offenkundig lange Zeit nicht schaffte, ihre Anklage gegen Sterling mit entsprechenden Indizien oder gar Beweisen zu unterfüttern, hat zuletzt dann und wann die interessierte Öffentlichkeit erreicht. Dem Journalisten Risen hätte nämlich ebenfalls eine Anklage nach dem Espionage Act aus dem Jahr 1917 gedroht, weil er sich im Zeugenstand der Aussage darüber entschlagen hat, von wem er seine Informationen erhalten hatte. Für Risen ging die Sache glimpflich aus. Justizminister Eric Holder hatte die zuständigen Staatsanwälte angewiesen, Risen nicht zu belangen. Risen trat somit Anfang Jänner kurz in den Zeugenstand, erklärte, nichts zu erklären zu haben, das wurde protokolliert und dem Strafakt gegen Sterling beigelegt. Vergangene Woche erließ Holder des Weiteren eine Dienstanweisung an alle US-Bundesstaatsanwälte, derzufolge sie zuerst im Justizministerium um Erlaubnis anfragen müssen, bevor sie einen Journalisten im Rahmen eines Strafverfahrens wegen der Veröffentlichung geheimer Regierungsinformationen vorzuladen gedenken.

Ende gut, aber nichts gut. Denn diese Weisung ist rechtlich unverbindlich. Und wenn Holder oder einer seiner Nachfolger befindet, dass es ein überwiegendes Interesse an der Strafverfolgung eines Journalisten gibt, kann er dies weiterhin anordnen. Streng genommen muss er das sogar. Denn entgegen der in Europa weit verbreiteten Ansicht, der erste Zusatz zur US-Verfassung, nämlich jener über den Schutz der Meinungsfreiheit, umfasse auch einen Schutz journalistischer Quellen, sind Informanten in den USA in Strafverfahren mehr oder weniger vogelfrei. Das ergibt sich aus dem fünften Verfassungszusatz, der dem Angeklagten Verfahrensrechte und vor allem den Anspruch auf eine Verhandlung vor einem Geschworenengericht gewährt.

Paradoxerweise schränkt also diese wichtige Bestimmung zum Schutz der Freiheit aller Bürger die Freiheit der Presse ein. Wie es dazu kommen konnte, lässt sich im wichtigsten Urteil des Obersten Gerichtshofes des Vereinigten Staaten, im Fall Branzburg vs. Hayes aus dem Jahr 1972, nachlesen.

Paul Branzburg war ein Reporter des „Louisville Courier-Journal“. Er berichtete damals regelmäßig über den wachsenden Drogenmissbrauch und versprach seinen Quellen, kleinen Haschischdealern, sie in seinen Berichten nicht zu nennen, wenn sie ihm im Gegenzug einen tiefen Einblick in diese für die meisten Amerikaner völlig neue Facette des städtischen Lebens gewährten. Diese Quellen auf Druck der Staatsanwaltschaft preiszugeben würde die Berichterstattung über die Drogenkultur verunmöglichen, argumentierte Branzburg. Der Öffentlichkeit würde wichtige Information entgehen.

Richter ohne Ahnung und Gespür

Die Höchstrichter lehnten diese Argumentation ab. Mit 5:4 stimmten sie dafür, dass der erste Verfassungszusatz Journalisten nicht von der Aussagepflicht vor Gericht enthebt. Dabei legten die Richter eine erstaunliche Unkenntnis davon an den Tag, wie Medien funktionieren: „Diesen Fällen liegt kein Eingriff in die Rede- oder Versammlungsfreiheit zugrunde, keine vorherige Beschränkung dessen, was die Presse veröffentlichen mag“, schrieben sie in ihrem Urteil. Sie verkannten, dass es ohne Schutz der Quellen keine Enthüllungen über das geben kann, was die Regierung oder einzelne Bürokraten lieber geheim halten wollen.

Der Fall des ersten der bis dato elf Informanten, gegen den die US-Regierung nach dem Espionage Act vorging, veranschaulicht das Problem. Daniel Ellsberg kopierte Anfang der 1970er-Jahre tausende Seiten geheimer Pentagonakten über die wahren Zustände im Vietnam-Krieg, die von den rosigen offiziellen Verlautbarungen stark abwichen. Präsident Richard Nixon ließ Ellsberg abhören und mit unverhohlenen Drohungen und Beschattungen einschüchtern. Nur der Umstand, dass Nixons Häscher enorme Rechtsverstöße begingen, ersparte ihm die Strafe.

Seit Barack Obama ins Amt kam, haben die Justizbehörden acht Verfahren nach dem Espionage Act eröffnet. Vier davon endeten mit Schuldsprüchen. Keiner der Angeklagten gab Informationen an fremde Regierungen oder aus Gewinnsucht weiter. „Ich tat, was ich tat, weil ich es für meine Pflicht gegenüber dem amerikanischen Volk hielt“, sagte Thomas Drake, ein früherer Mitarbeiter der National Security Agency. Er hatte einen Reporter über Verschwendung und Amtsmissbrauch in der NSA informiert. Immerhin: Er bekam nur ein Jahr Haft auf Bewährung – wegen „Missbrauchs eines Computers“.

DER ESPIONAGE ACT VON 1917

Der Erste Weltkrieg schuf dieses drakonische Gesetz. Damals sah sich die US-Regierung der Unterwanderung durch deutsche Spione ausgesetzt. Das Gesetz gibt der Regierung Carte blanche in der Verfolgung angeblicher Verräter von Staatsgeheimnissen. Es drohen schwere Haftstrafen und im Extremfall die Todesstrafe. Unter Präsident Barack Obama wandte die Regierung dieses Gesetz gegen acht Personen an: so oft wie nie zuvor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2015)

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