Fernsehen, wann ihr wollt

"Schuld" nach Ferdinand von Schirach(c) ZDF/GORDON MUEHLE
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Das ZDF reagiert auf neue TV-Sehergewohnheiten und stellt mit Schirachs "Schuld" erstmals eine komplette Serie vor der TV-Ausstrahlung online.

Zugeben will es niemand so richtig. Dabei wissen alle, warum das deutschsprachige Fernsehen plötzlich mit üblichen Ausstrahlungsmustern bricht. Es ist der Markteintritt der Onlinevideoplattform Netflix im vergangenen September, der die öffentlich-rechtlichen Sender zum Experimentieren animiert.

So kann man seit Freitag die komplette neue Serie „Schuld“ in der ZDF-Mediathek online ansehen. Erst in zwei Wochen, am 20.Februar, wird jeden Freitag im Hauptabend eine Folge ausgestrahlt. Mit dem Begriff Binge Watching wirft man, wie „Die Zeit“ online schreibt, beim ZDF in Mainz selbstverständlich um sich. Das sogenannte Komaschauen (in Anlehnung an das Komatrinken) wollen nun auch die öffentlich-rechtlichen Sender ermöglichen und sich der jungen Zielgruppe öffnen. Mit „Schuld“ will man nun erstmals testen, ob das deutschsprachige TV-Publikum auch bereit ist, deutsche Fernsehserien vorab und in einem Stück zu sehen.


Zweiter Versuch: „The Team“. Und schon Ende Februar steigt der zweite Versuchsballon: Auch die europäische Seriengroßproduktion „The Team“ wird zwei Wochen vor dem eigentlichen Ausstrahlungstermin im Fernsehen (5.3. ORF, 8.3. ZDF) online abrufbar sein. Und zwar zunächst nur sieben von acht Folgen der nicht synchronisierten Originalversion mit Untertiteln. Sollten die Zuseher aber 25.000Tweets mit dem Hashtag #TheTeam versenden, will das ZDF auch die letzte Folge der Krimiserie online stellen.

Auch der ORF wird die neue David-Schalko-Serie „Altes Geld“ schon Wochen vor der Ausstrahlung im Herbst auf der Videoplattform Flimmit anbieten – allerdings kostenpflichtig.

„Schuld“ ist nach „Verbrechen“ bereits die zweite Verfilmung von Erzählungen des Berliner Strafverteidigers Ferdinand von Schirach. Moritz Bleibtreu spielt den besonnenen Strafverteidiger Friedrich Kronberg, der in jeder Folge einen seiner Straffälle erzählt. Oliver Berben hat sechs Erzählungen aus dem Band „Schuld“ zu je 45 Minuten verfilmt. Und das ist auch schon der größte Unterschied zu klassischen Serienproduktionen aus dem Hause Netflix und HBO: Die Fälle sind abgeschlossen, es wird also keine horizontale Geschichte erzählt wie bei „Game of Thrones“ und „House of Cards“. Dabei ist genau diese Erzählweise das Erfolgsrezept für Binge Watching.

Nicht nur deshalb ist der ZDF-Vorstoß mutig. Immerhin akzeptiert der Sender, dass die Zuseherquote zum eigentlichen Ausstrahlungstermin geringer wird, sollte das immer größer werdende online-affine Publikum die Serie eifrig vorab konsumieren. Doch offenbar besteht eher die Hoffnung, man könne durch das Vorab-Streaming ganz neue Zielgruppen erreichen. Der Durchschnittszuseher im deutschen Fernsehen ist nämlich 51 Jahre alt.
„Schuld“, ab jetzt alle Folgen in der ZDF-Mediathek abrufbar, ab 20.2. jeden Freitag in sechs Folgen, 21.15 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

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