Der Terror der Bilder: Die Pornografie des Grauens

Still image from social media video shows a man purported to be Islamic State captive Jordanian pilot Kasaesbeh
Still image from social media video shows a man purported to be Islamic State captive Jordanian pilot Kasaesbeh(c) REUTERS (REUTERS TV)
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Von Goyas „Schrecken des Krieges“ über Churchills Shoa-Film bis zu Fotos aus dem Golfkrieg: Der Anblick des Grauens appelliert an das Mitgefühl. Die Mordfilme des Islamischen Staats stellen diese Ethik auf den Kopf.

Am 28.Februar 1991 stand der junge amerikanische Kriegsfotograf Kenneth Jarecke in der irakischen Wüste und blickte in den Abgrund. Um ihn herum zeugten die verkohlten Überreste einer irakischen Armeekolonne mit rund 1400 Mann von der ballistischen Effizienz der amerikanischen Luftstreitkräfte. Die Iraker waren Hals über Kopf aus dem benachbarten Kuwait geflüchtet, nachdem eine globale Allianz unter Führung Washingtons mit der Militärkampagne Desert Storm Saddam Husseins Invasionstruppen vertrieben hatten. Ein demolierter Lastwagen erregte Jareckes besonderes Interesse. Er näherte sich, vorsichtig über Brandleichen steigend – und dann sah er ihn: einen komplett verbrannten Mann auf dem Fahrersitz, der offensichtlich bis zum letzten Atemzug verzweifelt versucht hatte, durch die zerborstene Windschutzscheibe zu kriechen.

Schlimme Realität statt Wüstenidyll

Ein Anblick wie aus einem Horrorfilm: Der US-Medienoffizier, in dessen Begleitung die Journalisten den zerstörten Konvoi besuchten, rümpfte die Nase, doch Jarecke drückte ab. „Ich wollte nicht, dass meine Mutter später glaubt, dass dieser Krieg so aussieht, wie er im Fernsehen dargestellt wird“, erklärte Jarecke seine Entscheidung, den verbrannten Mann zu fotografieren. Er habe von der herkömmlichen Fotoberichterstattung aus dem ersten Golfkrieg mit US-Beteiligung schon seit einiger Zeit die Nase voll gehabt, sagte er im vorigen Jahr zum Magazin „The Atlantic“: „Es gab nur Bild nach Bild von noch einem Kamel und einem Panzer im Sonnenuntergang.“

Doch keine amerikanische Zeitung, keines der Magazine sollte Jareckes Bild abdrucken. Die Nachrichtenagentur Associated Press unterband die Verbreitung des Fotos an ihre amerikanischen Kunden. Eine offizielle Begründung dafür gab es nie. Jahre später jedoch sagte ein ehemaliger AP-Fotoredakteur, dass es eine stillschweigende Übereinkunft gab, dass dieses Bild für den US-Markt zu verstörend sei, zumal Desert Storm mit schwarz-grünen Nachtaufnahmen klinisch sauber wirkender Bombardements den Eindruck eines Kriegs ohne Opfer suggerierte.

Dieses Bild eines verkohlten Mannes rückt heute wieder ins Bewusstsein, wenn man sich Gedanken über die Aufnahmen des 26-jährigen jordanischen Piloten Muath al-Kasaesbeh macht, der von Mördern der Terrorarmee des Islamischen Staats irgendwann in den vergangenen Wochen bei lebendigem Leib verbrannt wurde.

Das Video wirft zwei Fragen auf: Soll man es zeigen? Und was bezweckt der IS damit? Ersteres haben, bis auf die unrühmliche Ausnahme, der amerikanische Kabelsender Fox News, alle westlichen Medien verneint. Begründet wurde dies zumeist damit, der Propaganda des IS nicht in die Hände spielen zu wollen. Doch eigentlich spricht ein humanistisches Argument dagegen, Kasaesbehs Feuertod zu zeigen. Das Video dient bloß dazu, seine finale Erniedrigung und Auslöschung als Mensch verhöhnend zu dokumentieren. Deshalb druckt „Die Presse“ zur Illustration dieses Textes nur ein Standbild ab, das den jungen Mann als Opfer zeigt, das den Betrachter einzig zu tiefem Mitleid anregen kann.

Das war übrigens, geschichtlich betrachtet, fast immer der Zweck der Darstellung entsetzlicher Verstümmelungen und Kriegsverbrechen. Francisco de Goya versah seine Serie von Grafiken aus dem napoleonischen Krieg in Spanien nicht nur mit einem eindeutigen Titel („Los Desastres de la Guerra“), er kommentierte diese zwischen 1810 und 1820 erschienenen Bilder auch. „No se puede mirar“, „Esto es malo“, „Bárbaros!“: „Man kann das nicht ansehen“, „Das ist schlimm“, „Barbaren!“ steht unter diesen Blättern, die erstmals 1863, lang nach Goyas Tod, veröffentlicht wurden. Noch heute erschüttern diese Allegorien des Mordes, der Vergewaltigung und Folter eines fernen, fast vergessenen Kriegs den Betrachter.

Aufgegebene Doku über KZ-Befreiung

Auch ein im Frühjahr 1945 begonnenes Filmprojekt der britischen Regierung namens „German Concentration Camps Factual Survey“ verfolgte den Zweck, das Publikum mit Bildern des Grauens zum Mitleid mit den geschundenen Opfern eines Massenmords zu bewegen. Die Briten verflochten Bilder von der Befreiung der Todeslager von Bergen-Belsen, Auschwitz und Dachau zu einem erschütternden Dokumentarfilm, der nach ursprünglichen Plänen allen Deutschen hätte gezeigt werden sollen, um ihnen ihre Verbrechen an den Juden vor Augen zu führen. Alfred Hitchcocks Mitarbeit änderte jedoch nichts daran, dass dieses Projekt aus höheren weltpolitischen Erwägungen aufgegeben wurde: Der beginnende Kalte Krieg machte es erforderlich, das deutsche Volk als Verbündete im Kampf gegen den Kommunismus zu gewinnen. Der US-Film über den Holocaust, den Billy Wilder gestaltete und der in vielen deutschen und österreichischen Kinos gezeigt wurde, war im Vergleich zum britischen Film harmlos.

Was jedoch bezwecken die Terroristen des IS mit ihren Mordvideos? Schrecken natürlich – aber auch eine Befriedigung der pornografischen Lust am Betrachten des Leids ihrer Opfer. Für alle anderen gilt hingegen wohl das, was Susan Sontag im Jahr 2004 in ihrem Essay „Regarding the Pain of Others“ festhielt: „Es liegt Scham ebenso wie Schock darin, Nahaufnahmen von echtem Grauen zu betrachten. Vielleicht sind die einzigen Leute, die das Recht haben, Bilder von so extremem Leiden anzuschauen, jene, die etwas tun können, um es zu lindern – oder jene, die davon lernen könnten. Wir übrigen sind bloß Voyeure, ob wir es wollen oder nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2015)

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