Song Contest: Ein Sänger, der nicht gewinnen will

GERMANY EUROVISION SONG CONTEST 2015
GERMANY EUROVISION SONG CONTEST 2015(c) APA/EPA (PETER STEFFEN)
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Deutschland suchte Donnerstag den Song-Contest-Kandidaten für Wien. Doch Gewinner Andreas Kümmert trat seinen Titel an die Zweitplatzierte, Anne Sophie, ab. Er sei nur „ein kleiner Sänger“, sie viel besser für die Show geeignet.

Einen Vollbart hat auch er. Sonst aber ist Andreas Kümmert das genaue Gegenteil von Österreichs Song-Contest-Siegerin Conchita Wurst. Klein und stämmig, mit schmuckloser Brille, Nasenpiercing, hoher Stirn und Ziegenbärtchen, blaugrauem Kapuzenpulli und schwarzen Jeans trat der 28-jährige Sänger bei der ARD-Show „Unser Song für Österreich“ auf. Der deutsche öffentlich-rechtliche Sender hatte in der Hauptabendshow am Donnerstagabend unter acht Musikern den Kandidaten für den Song Contest in Wien gesucht.

Schnell stand fest, dass Kümmert trotz seines unglamourösen Äußeren nur mit seiner samtweichen Stimme und dem glatten Liebeslied „Home Is in My Hands“ das Publikum für sich gewonnen hatte. Sogar die Viererfrauenband Laing hatte mit ihrem Spaßlied „Zeig deine Muskeln“ keine Chance gegen ihn – obwohl sie seit ihrer Antifrühaufsteherhymne „Morgens immer müde“ viele Fans hatte.

Andreas Kümmert hatte angeblich 40 Grad Fieber, als er seine zwei Lieder ganz ohne Patzer sang. Routine mit Fernsehauftritten hat der Gewinner der dritten Staffel von „The Voice“ ja schon. Umso erstaunter waren dann Publikum und die für gewöhnlich nicht nach Worten ringende Moderatorin Barbara Schöneberger, als er nach der Bekanntgabe seines Gewinns alles andere als erfreut wirkte. Auf die Frage, wie es ihm nun gehe, sagte er: „Ich bin überwältigt von euch allen, von Deutschland. Aber ich bin nicht wirklich in der Verfassung, diese Wahl anzunehmen und gebe deshalb meinen Titel Anne Sophie.“ Schöneberger reagierte nach einer kurzen Pause mit einem bemühten Witz: „Das ist ein Coitus interruptus der schlimmsten Sorte. Gibt es irgendetwas, was dich umstimmen kann?“

Sprachlose Zweitplatzierte

Während aus dem Publikum bereits lautstarke Buhrufe zu hören waren, erklärte Kümmert bestimmt: „Ich denke einfach, dass Anne Sophie viel geeigneter und qualifizierter dafür ist. Ich bin nur ein kleiner Sänger. Tut mir leid.“ Schöneberger wartete nicht auf Regieanweisungen aus dem Off, sondern gratulierte routiniert der verdutzten und sprachlosen Zweitplatzierten zu ihrem Sieg. Die Popsängerin Anne Sophie wirkt wie die etwas reifere Variante von Lena Meyer-Landrut, die 2010 für Deutschland den Song Contest gewonnen hat.

Für Andreas Kümmert dürfte sein Rückzieher nicht viel mehr Schaden als die vereinzelten Buhrufe bei der Sendung bringen. Im Gegenteil, deutsche Kommentatoren loben den Mut zu seinem „Nein, danke“ im Stil von Herman Melvilles Bartleby. Eine Song-Contest-Teilnahme könne der Karriere sogar mehr schaden als nützen, meinen einige. „Die Welt“ nennt seinen Auftritt „ein bisschen kinky Kinsky“ und sogar „sexy“. Nur der „Spiegel“ konstatiert, dass Conchita Wurst ihren Titel als amtierende Drama-Queen an Kümmert verloren hat – und sieht den Gewinner wider Willen auch gleich als Symbolfigur für den modernen Mann in der Krise.

>> Die Show „Unser Song für Österreich“ in der ARD-Mediathek

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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