„Ura, Ura“, Seidenstrümpfe und ein Hauch von Paris

?dok.film?-Praesentation ?Aus den Truemmern?: Filmische Aufarbeitung von Oesterreichs kulturellem Neubeginn nach 1945
?dok.film?-Praesentation ?Aus den Truemmern?: Filmische Aufarbeitung von Oesterreichs kulturellem Neubeginn nach 1945(c) ORF
  • Drucken

„Aus den Trümmern“: Arik Brauer, Gustav Peichl, Friedrich Cerha u.v.a. erzählen über den kulturellen Neubeginn nach 1945.

„Für mich war das Ende der Naziherrschaft der Unterschied zwischen Leben und Tod. Plötzlich gehe ich nicht mehr im Rinnsal mit einem Judenstern, sondern am Trottoir wie alle anderen.“ Arik Brauer, dessen Vater, ein jüdischer Schuhmacher, im KZ ermordet wurde, hat nach dem Krieg das Leben und die Chancen, die es ihm auf einmal wieder bot, genossen. Viel habe er nicht besessen: „Ich hatte seit meinem zehnten Lebensjahr keine Schuhe.“ Doch der Erfindungsreichtum, den die Not gebiert, ließ ihn nicht im Stich: Manchmal, erzählt er in der ORF-Doku „Aus den Trümmern“, habe er bei reicheren Kollegen auf der Akademie die Farbtuben angezapft, „gemolken“, und dann mit seiner „sparsamen Maltechnik“ aufgetragen.

Heiteres hat auch Gustav Peichl für Regisseurin Nadia Weiss parat, die mit ihrem Film den kulturellen Neubeginn nach 1945 dokumentiert: Er habe für seine Karikaturen, in denen er russische Soldaten und ihr Verlangen nach „Ura, Ura“ (=Uhren) aufs Korn nahm, von den Amerikanern oft Schokolade oder Zigaretten bekommen, die er – weil er selbst nicht rauchte – im Resselpark gegen Nützlicheres eintauschte. „Einmal hat mir ein ganz Junger Seidenstrümpfe gegeben. Was mach' ich mit Seidenstrümpfen?“, sagt Peichl und blickt auf das Paar rosa-blau gepunktete Socken, das unter seinen Hosenbeinen hervorlugt. Die Strümpfe aber waren begehrtes Gut – und ließen sich umsetzen.

„Die Kunst ist nicht umzubringen“

Zeitzeugen aus Kunst und Kultur erzählen von der Zeit, als das Land aus den Trümmern wiedererstand – und die Kultur für die Menschen ein erster Hoffnungsschimmer auf Normalität war: Udo Jürgens ist hier in seinem letzten TV-Interview zu sehen. Er erlebte, dass die Kultur nach dem Krieg auch die „Hoffnung zum Positiven“ verkörperte: „Es gab keine Bühnen, kein Make-up, keine Kostüme – aber sofort wurde gespielt... Die Kunst ist nicht umzubringen – nicht einmal durch einen Krieg.“ Für Lotte Tobisch war „die unmittelbare Nachkriegszeit eine wunderbare Zeit“. Das 1945 infolge eines Bombenangriffs abgebrannte Burgtheater wurde zwar erst 1955 wiedereröffnet – bis dahin diente das Ronacher als Ausweichquartier. Dass sie dort einmal eigenhändig einen Erschossenen vom Eingang wegziehen musste, damit die Besucher, die ins Theater kamen, nicht über den Toten steigen mussten, trübt Tobischs Euphorie nur wenig.

Auch Friedrich Cerha berichtet vom „Heißhunger“ der jungen Leute, die jeden Einfluss aufsogen, „woher er auch kam“ – und vom Lokal Strohkoffer, wo er und seine Kumpanen eigene Kompositionen spielten und wo so viel geraucht wurde, dass man schon beim Anblick der Archivbilder, die Weiss liebevoll zusammengetragen hat, Halskratzen bekommt. Für Arik Brauer verkörperte das Lokal „einen Hauch von Paris“, der sich später im Café Hawelka fortsetzte. Die Aufbruchsstimmung packte alle und überdeckte viel. „Mir ist erst viel später klar geworden, dass ich, als ich die ,Spiegel‘ komponiert habe, darin schreckliche Kriegserinnerungen verarbeitet habe“, so Cerha.

Was Weiss zusammengetragen hat, auch von anderen prominenten Gesprächspartnern wie Karl Merkatz, Ingrid Burkhard oder Erich Lessing, ist gelebte, erzählte Geschichte, die den Zuschauer mit jenem heimeligen Gefühl zurücklässt, das entsteht, wenn ein guter alter Freund ein paar informative Anekdoten zum besten gibt.

„Aus den Trümmern“: Sonntag, 26.4., 23.05Uhr, ORF2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.