Baltimore, Maryland - auch "Bodymore, Murderland" genannt

USA BALTIMORE PROTEST GRAY
USA BALTIMORE PROTEST GRAY(c) APA/EPA (MICHAEL REYNOLDS)
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Die Geschichte der US-Stadt wird überschattet von hoher Kriminalität - dargestellt auch in der wegweisenden TV-Serie "The Wire".

Der US-Serie "The Wire" dient ihr Schauplatz Baltimore als Mikrokosmos für alles, was falsch läuft in den USA: Korrupte Politiker jagen nach Wahlkampfspenden und Schüler lernen für standardisierte Tests, nicht fürs Leben. Vor allem aber zeigt die Serie den aussichtslosen Kampf gegen den tief verwurzelten Drogenhandel. Er wird darin als Symptom einer Gesellschaft ohne Zukunftsperspektive begriffen, als invertiertes Spiegelbild des amerikanischen Traums. Über fünf Staffeln spannt die Serie ein Gesellschaftsporträt, wie man es sonst nur aus großen Romanen kennt. Nicht umsonst gilt "The Wire" als die beste Serie der vergangenen Jahre - noch vor "Breaking Bad".

Baltimore ist nicht zufällig Schauplatz von "The Wire". Serienautor David Simon, gebürtig aus Washington, D.C., war hier Polizeireporter und verarbeitete seine Erfahrungen im Buch "Homicide: Ein Jahr auf mörderischen Straßen", das wiederum als Vorlage für die Serie diente. Das Polizeirevier in Baltimore, in dem er ein Jahr lang recherchierte, sieht er als verkleinertes Abbild der USA.

"Bodymore, Murderland"

Die heruntergekommene Ostküsten-Stadt ist nicht erst seit "The Wire" berüchtigt: Baltimore gilt als sechstärmste Großstadt der USA und hat eine der höchsten Kriminalitätsraten. Ein Graffiti mit dem Slangnamen für die Stadt "Bodymore, Murderland" (etwa: noch eine Leiche, Mordland) zeigt die Serie im Vorspann. "You gotta help me keep the devil way down in the hole", heißt es im Song, den man dazu hört, geschrieben von Tom Waits.

Es passt dazu, dass der frühe Meister des Horrors, Edgar Allan Poe, hier seine Schriftstellerlaufbahn begann. Gegründet wurde die Hafenstadt 1729, benannt nach den Baronen Baltimore, Gründer der Maryland-Kolonie. Der Adelstitel ist inzwischen erloschen.

Die Stadt inspirierte Francis Scott Key 1814 zum Gedicht "The Star-Spangled Banner", aus dem später die amerikanische Nationalhymne wurde. Zwischenzeitlich war Baltimore zweitgrößter Einwanderungshafen der USA nach New York und Hochburg der Industrie. "Monumental City" wird die Stadt auch genannt – vor allem wegen der Bürgerkriegsmonumente. Darunter das Washington Monument, eine 54 Meter hohe, hohle Säule zu Ehren George Washingtons.

Weltweit führend: Die John Hopkins University

Nach dem Niedergang der Industrie ist heute die John Hopkins University mit ihren Spitälern und Forschungsinstituten nicht nur wichtigster privater Arbeitgeber von Baltimore, sondern von ganz Maryland. John Hopkins gehört zu den führenden Zentren medizinischer Forschung weltweit. 200.000 Besucher kommen wegen der Johns-Hopkins-Universität für wissenschaftliche Kongresse und Konferenzen jährlich nach Baltimore. Allerdings: Die Universität zahlt keine Steuern in Baltimore.

1950 erreichte die Stadt ihre höchste Einwohnerzahl: 949.708 Menschen lebten in der Hafenstadt. Seitdem sinkt die Einwohnerzahl stetig. Die bisher schlimmsten "Riots" erlebte Baltimore im April 1968 nach dem Tod von Martin Luther King. Sechs Menschen starben damals, mehr als 1000 wurden verletzt und 5800 Menschen verhaftet. Durch die Unruhen wurde die Stadt ähnlich stark beschädigt wie durch das große Feuer 1904, bei dem 1500 Gebäude zerstört wurden, schildert die "Baltimore Sun". National Guard und Army mussten anrücken, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.

Mord-Rekord 1993 mit 353 Toten

1993 hat Baltimore mit 353 Morden einen Rekord aufgestellt. Seitdem ist die Mordrate gefallen – aber eben auch die Anzahl der Einwohner. Circa 620.000 Einwohner zählt die Stadt aktuell. Vergangenes Jahr gab es bis Ende April 103 Tote durch Gewaltdelikte, schreibt die "Washington Post". Heuer sind es bereits 116. Damit liegt Baltimore nur 30 Mordopfer unter Chicago (mit 2,7 Millionen Einwohnern).

Wenn die US-Presse von "lang aufgestauten Spannungen" schreibt, lässt sich das mit Zahlen belegen: Der "Baltimore Sun" zufolge hat die Stadt sei 2011 mehr als 4,6 Millionen Dollar Schadensersatz und Schmerzensgeld an Opfer von Polizeigewalt bezahlt. Doch, so schildert der "Economist", spiele sich diese Gewalt vor allem innerhalb krimineller Kreise ab. Die überwiegende Mehrheit von ihnen habe Vorstrafen.

Gentrifizierung und "The Wire" als rotes Tuch

''The Wire''
''The Wire''(c) WB Home Entertainment

Zuletzt, vor den Unruhen, wurde es wieder ruhiger in Baltimore. Die Mordrate sank deutlich, ehemalige Fabrikshallen wurden in Bars und Galerien umgebaut und der Stadtteil Hampden wurde gentrifiziert. Trotzdem sei Baltimore nicht berauschend, fand "Presse"-Redakteur Oliver Grimm jüngst nach seinem Besuch in der Stadt.

Für die Tourismusbehörde ist "The Wire" ein rotes Tuch, schreibt der "Deutschlandfunk". Die Serie zeige nur eine Seite der Stadt, und nicht die schönen mit dem Baltimore Museum of Art oder den Art-Deco-Bauten. Mit der Realität der normalen Bürger in Baltimore habe das nichts zu tun, denn die Gewalt spiele sich in bestimmten No-Go-Vierteln ab, in die sich auch die Polizei nur in Gruppen vorwagt. Das dürften die jüngsten Unruhen geändert haben. Ein Besuch in der Welt von "The Wire" lohnt sich auch sieben Jahre, nachdem die letzte Folge ausgestrahlt worden ist. Ungefährlicher ist dieser sowieso.

(her)

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