David Letterman: Graue Eminenz der Plauderonkel

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Mit Irrsinn und Ironie begeisterte David Letterman jahrelang sein Publikum. Nach 6028 Folgen sah er jedoch so alt aus wie das Unterhaltungsformat, das er revolutioniert hatte.

Das Problem ist Folgendes: Wer bleibt heute noch freien Willens bis weit nach Mitternacht auf für bemühte Witze vom Fließband und das eitle Geplapper von Menschen aus dem Showbusiness, die ihre jeweils neueste musikalische oder filmische Hervorbringung zu Markte tragen?

Bis 23:35 Uhr New Yorker Ortszeit musste man wochentags warten, um die „Late Show with David Letterman“ zu sehen. Im letzten ihrer 33 Jahre taten das durchschnittlich nur mehr knapp unter drei Millionen Menschen: weniger als ein Fünftel des Publikums, das der CBS-Show im Februar 1994 mit 15 Millionen ihre höchste Zuschauerzahl brachte. Mit einem Durchschnittsalter von 58,9 Jahren war Lettermans Publikum zudem das älteste aller spätabendlichen Plaudersendungen. Die „Late Show“ brachte CBS 2013 laut der Fachzeitschrift „Advertising Age“ zwar mit 179,6 Millionen Dollar noch immer höhere Werbeeinnahmen als die Konkurrenz. Das waren jedoch, der schrumpfenden Reichweite geschuldet, fast 100 Millionen Dollar weniger als noch vier Jahre zuvor.

Wenn man eine Late-Night-Talkshow hervorheben wollte, um die Verwehtheit dieser Form von TV-Unterhaltung zu illustrieren, war Lettermans Show in negativer Weise ein Paradebeispiel. Die Gäste: je prominenter, desto langweiliger, weil sorgsam dressiert. Die Witze: oft lahm, stets angestrengt, nie unvergesslich. Der Gastgeber: 15 Jahre nach seiner fünffachen Bypassoperation schaumgebremst, fünf Jahre nach seinem Eingeständnis mehrerer Affären mit Mitarbeiterinnen gedemütigt, ein Schatten seiner selbst.

Das ist schade, denn der 68-jährige Letterman, Kleinbürgersohn aus Indianapolis, hat das ebenso professionell durchgestylte wie risikobefreite amerikanische Unterhaltungsfernsehen aus seiner erstarrten Selbstbezüglichkeit gerüttelt. Mit einer Mischung aus lausbübischem Unfug und ironischer Distanz hat er dem Showbusiness die penibel geliftete Maske heruntergezogen. Die „Top-10-Liste“ als Showelement ist seine Erfindung, „Stupid Pet Tricks“, also blöde Haustiertricks, ebenso. Wer wollte nicht insgeheim einmal in einem Ganzkörperanzug aus Klettverschluss-Stoff auf eine Filzwand springen? Oder eine Bowlingkugel von einem Hochhaus schmeißen? Letterman tat es (unter sicheren Bedingungen, versteht sich), „Skybowling“ nannte er den Wurf der Kugel vom Häuserdach auf die Kegel auf dem Parkplatz. Er ließ es im Studio explodieren und blitzen, mit Kindern bastelte er verrückte physikalische Experimente und hatte daran mindestens so viel Gaudi wie seine jungen Gäste.

„Wie war's im Gefängnis?“

Viele seiner Interviews waren Perlen ironischer Meisterschaft. Man suche auf YouTube beispielsweise sein Gespräch mit dem mittlerweile verglühten Gesellschaftssternchen Paris Hilton. Ihre affektierte Fassade zerbröckelte unter dem Ansturm Letterman'scher Einzeiler. „Wie war's im Gefängnis?“, fragte er unschuldig, Hiltons Versuch parierend, ihr neues Parfum in seiner Sendung zu vermarkten. „Ihre Freundin Nicole Richie war ja nur 45 Minuten in Haft. Sagen Sie, wie macht man das?“, legte er der zusehends um Fassung ringenden Hotelerbin nach. Lettermans Gesprächskunst bestand darin, seine Gäste charmant zu frotzeln, ohne grob zu werden.

Letterman bemühte sich, soweit ihm das seine zuletzt mit irgendwo zwischen 32 und 40 Millionen Dollar pro Jahr vergütete Rolle zuließ, stets um einen gewissen Abstand zu den Stars. Weniger Distanz hielt er zu seinen Mitarbeiterinnen. Jahrelang gab es Gerüchte, 2009 musste er sie nach dem Erpressungsversuch eines ehemaligen CBS-Mitarbeiters vor laufender Kamera bestätigen. Ja, er habe mit mehreren Mitarbeiterinnen seiner Show außereheliche Affären gehabt, allen voran mit der 28 Jahre jüngeren Stephanie Birkitt, die auf der Bühne seine Assistentin gab. Lettermans Frau verzieh ihm, Birkitt wurde bei laufenden Bezügen freigestellt und lebt heute als Anwältin in Los Angeles. Wer die alten Auftritte von ihr und Letterman sieht (sofern sie von CBS nicht sorgfältig von YouTube entfernt worden sind), staunt über Birkitts avantgardistische, unaffektierte Komik der Schlichtheit: Wie viel mag sich wohl Lena Dunham, die Schöpferin der Fernsehserie „Girls“, von Birkitt abgeschaut haben?
Mit dem Wissen um seine Affären im Hinterkopf wirken diese alten Aufnahmen ein bisschen unappetitlich. Da wirkt er weniger wie der – so betont seine Umgebung – Förderer und Mentor starker Frauen, sondern eher wie ein dirty old man.

Nach 33 Jahren und 6028 Auftritten war am Mittwoch Schluss; Lettermans letzte Sendung war eine langatmige Abfolge von Dankessequenzen, zu Lachen gab es wenig. Es verhielt sich ein wenig wie mit Bob Dylan, der in seiner vorletzten Show auftrat: Die Fans sind weiterhin ergriffen, der Rest der Welt sieht mit wachsender Betroffenheit dem Abstieg einer Legende zu. Im Herbst übernimmt Stephen Colbert die „Late Show“; er wird sie neu erfinden müssen. Letterman möchte fortan mehr Zeit mit seinem elfjährigen Sohn verbringen. An seine zahllosen Laudatoren hatte er eine Bitte: „Hebt euch doch ein bisschen etwas davon für mein Begräbnis auf.“

TV-Lausbub

David Letterman, 1947 in Indianapolis geboren, begann seine Fernsehkarriere als Wettermoderator. 1982 wurde „Late Night with David Letterman“ erstmals auf NBC ausgestrahlt. 1993 übersiedelte Letterman sein Sendungskonzept zu CBS, wo die Sendung fortan unter dem Titel „Late Show with David Letterman“ lief. 2014 gab Letterman seinen Rücktritt bekannt, am Mittwoch moderierte er seine 6028. und letzte Sendung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2015)

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