Auszeichnung: „Aus der Nabelschau ausbrechen“

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„Kleine Zeitung“-Journalist Michael Jungwirth wurde mit dem Kurt-Vorhofer-Preis für Printjournalismus ausgezeichnet. Ö1-Kollege Bernt Koschuh erhielt den Robert-Hochner-Preis.

Wien. „Wenn Print ein Auslaufmodell ist“, fragte Michael Jungwirth, „wird es dann den Vorhofer-Preis in 20 Jahren noch geben?“ Eine Frage, die wohl niemand beantworten kann. Fakt ist, dass der renommierte Redaktionsleiter der „Kleinen Zeitung“ in Wien gestern mit selbigem ausgezeichnet wurde. Ö1-Journalist Bernt Koschuh erhielt den Robert-Hochner-Preis TV bzw. Radio. Beide Preise werden von der Journalistengewerkschaft mit dem Verbund und der „Kleinen Zeitung“ vergeben und wurden von Bundespräsident Heinz Fischer überreicht.

Die Leser, reflektierte Jungwirth bei der Feier in der Präsidentschaftskanzlei, würden immer weniger zu Zeitungen greifen, obwohl sie billiger und besser gemacht seien denn je. „Die Zukunft liegt im Digitalen. Wir müssen auf mehreren Klaviaturen spielen.“ Medienpolitik wiederum müsse „mehr sein, als Überlegungen anzustellen, wie man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an die Kandare nimmt oder sich mit Inseraten die Willfährigkeit erkauft“. Die Journalisten schließlich müssten „aus ihrer Nabelschau ausbrechen“: Die Zukunft Österreichs entscheide sich im „europäischen, globalen Kontext“.

Koschuh bedankte sich bei seinen Informanten und Interviewpartnern. Viele habe es „Kraft und Überwindung“ gekostet, mit ihm zu sprechen. Er drängte auf die lange versprochene Reform des Amtsgeheimnisses. „Manchmal bekommt man den Eindruck, dass in Österreich eher die Überbringer von schlechten Nachrichten verfolgt werden, nämlich unsere Informanten. Die von ihnen aufgezeigten Probleme und Missstände zu beheben, da scheint man es bisweilen nicht so eilig zu haben.“ (APA/red)

Die Rede von Michael Jungwirth im Wortlaut:

"Sehr verehrter Herr Bundespräsident, liebe Familie, liebe Freunde,

Als ich vier Jahre alt war, erzählen mir meine Eltern, sei ich im Morgengrauen im Bett hochgeschreckt, sobald der Zusteller die Zeitung – es war damals schon die "Kleine Zeitung" - in den mit einer quietschenden Spiralfeder versehenen Briefschlitz gesteckt hat. Meine morgendliche Mission war es damals bereits, die neuesten Nachrichten dem Leser zukommen zu lassen, in diesem Fall meinen Eltern, wenn auch zwischen 4 und 5 Uhr in der Früh.

Nach der Matura war ich ein Jahr lang in der Nähe von New York. Zum morgendlichen Ritual zählt der Kauf der New York Times, am Donnerstag kam die Village Voice, die Mutter aller Stadtzeitungen, dazu. Ich war unlängst wieder in den USA. Ich fürchte, ich habe mir kein einziges Mal die New York Times gekauft, und die einst 200 Seiten dicken Village Voice kann man heute gratis aus irgendwelchen Blechständern herausholen.

Es entspricht einer alten Tradition, dass der Preisträger des Vorhofer-Preises in seiner Rede dem eigenen Arbeitgeber die Leviten liest – mit der Aufforderung, dem seriösen Journalismus mehr Raum, mehr Zeit, mehr Geld, mehr Ressourcen einzuräumen.

Müsste man nicht eher dem geneigten Leser die Leviten lesen? Noch nie war ein Zeitungsexemplar so billig wie heute – gemessen am Bruttoeinkommen, noch nie waren Zeitungen so gut und aufwendig gemacht, aktuelle Berichte angereichert durch Zusatzinformation, Hintergründe, Meinungsseiten. Dennoch greift der Leser weniger zu Zeitungen als früher. Ein schwacher Trost, dass es dem Fernsehen nicht anders geht. Die Zib1 als Lagerfeuer der Familie existiert nicht mehr, die Lektüre der Morgenzeitung als großes familiäres Lagerfeuer am Frühstückstisch ist auch ein Auslaufmodell.

Wir wissen es ohnehin. Die Zukunft liegt im Digitalen, wir müssen auf mehreren Klaviaturen spielen, je nach Zählweise vier bis fünf (Print, Online, Handy, Ipad, Soziale Medien). Aber können wir's? Weil wir eine Klaviaturen, Print, beherrschen, auf ihr brillieren, glänzen, alle Register zu ziehen, heißt es noch lange nicht, dass wir es auf den anderen genauso gut können.

Noch dazu, wo man auf jeder der Klaviaturen was anderes spielt - auf der einen Klassik, auf der zweiten Jazz, auf der dritten Pop, auf der vierten Hip-Hop. Und was machen wir, wenn die Menschen überhaupt auf Tasteninstrumente pfeifen und andere Instrument, etwa ein Saxophon, bevorzugen?

Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich mit dem Vorhofer-Preis ausgezeichnet werde. Ich nehme den Preis mit großer Freude und großer Demut an. Es ist dies zum 20. Mal, dass der Preis für „publizistische Leistungen im Printbereich“ vergeben wird. Aber wenn Print ein Auslaufmodell ist, wird der Vorhofer-Preis in 20 Jahren überhaupt noch vergeben werden? Natürlich wird Print weiter bestehen, nicht mehr in der Breite, nur noch in der Tiefe, für einen harten Kern. Müsste man den Preis nicht auf andere Plattformen ausdehnen, damit der Vorhofer Preis noch eine Zukunft hat?

Dass die Medien vor einem großen Umbruch stehen, sollte auch das besondere Interesse der Politik hervorrufen. Medienpolitik muss mehr sein, als Überlegungen anzustellen, wie man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an die Kandare nimmt oder sich durch Inserate die Willfährigkeit von Medien erkauft. Wir brauchen in Wien keine ungarischen Verhältnisse Orban'schen Zuschnitts.

Die Medien werden oft etwas großspurig als vierte Gewalt bezeichnet. Ich weiß nicht, ob die Zuschreibung heute zutreffend ist - in Zeiten der Fragmentierung des öffentlichen Raumes, der öffentlichen Meinung. Was wir in jedem Fall in Zukunft sein sollten, sind Plattformen, um den öffentliche Diskurs zu ermöglichen. Die Vorstellung von Francis Fukuyama, mit dem Zusammenbruch des Kommunismus sei das Ende der Geschichte eingeleitet, hat sich als große Illusion erwiesen. Wenn wir uns umblicken, spüren wir mehr denn je, dass Gewissheiten Risse bekommen haben.

Ich war ja lang in Brüssel, und bei x-Hintergrundgesprächen hat uns Helmut Kohl einzutrichten versucht, wir brauchen den Euro, denn dann sei die EU als Friedensprojekt umumkehrbar. Heute spürt jeder, dass die Garantie vom ewigen Frieden in Europa brüchig geworden ist. (Ich hoffe nicht, dass der Traum vom ewigen Frieden im Reich der Utopien verschwindet) - eine schmerzhafte Erkenntnis für jemand, der mit vielen anderen 1989 bei Revolution in Osteuropa dabei war - ich denke nur an Andreas Koller, Armin Wolf, Claus Pandi, Barbara Coudenhove-Kallerghi, Roland Adrowitzer...und wir damals 1989 in Prag gedachten haben, als das Regime gestürzt wurde..so, das war's jetzt mit den Bösewichten.

Ich bin 2007 von Brüssel nach Wien zurückgekehrt. Innenpolitische Berichterstattung erfordert ein besonders Fingerspitzengefühl - auf der Suche nach der goldenen Mitte zwischen Nähe und Distanz. Trotz aller Angriffigkeit sollte man nie die Grenze zur Untergriffigkeit überschreiten, trotz aller Härte immer auch Fairness walten lassen. Wenig Fairness verdient höchstens eine Politik, die sich in Worthülsen ergeht, sich in Selbstinszenierung gefällt, den Dienst an Bürger mit dem Dienst an der eigenen Klientel verwechselt. Politik ist nun allemal geborgte Macht.

Umgekehrt sollte auch der innenpolitische Journalist, der dauernd von der Politik Weitblick und Tiefgang einfordert, selbst aus der Nabelschau ausbrechen. Die Zukunft Österreich entscheidet sich nicht zwischen Neusiedler, Wörther- und Bodensee, sondern im europäischen, im globalen Kontext. Gerade das aktuelle Flüchtlingsdrama lehrt uns, wie sehr Innen- und Außenpolitik miteinander verwoben ist - und dass in der Vergangenheit zu wenig Ambitionen entwickelt worden sind in der Entwicklungspolitik, in der Handelspolitik, in der Aussenpolitik, im Umgang mit Regionen, die zu "failed States" geworden sind, vielleicht auch in Verteidigungspolitik. Neutralität hin oder her - ich bin froh, dass die Amerikaner 1944 Panzer in Bewegung gesetzt haben, um uns von den Nazis zu befreien. Sonst hätten wir vor ein paar Tagen vielleicht erst 65 Jahre Zweite Republik gefeiert.

Die Zukunft Österreichs sollte man nicht der traditionellen innenpolitischen Journalistik, der ich selbst angehören, überlassen. Nur so haben Zeitungen als verlässlicher Kompass in Zeiten der neuen Unübersichtlichkeit eine Zukunft.


Ich bedanke mich zuerst bei der Jury, die mich offenbar in mehreren Wahlgängen zum Preisträger gekürt hat.

Ich bedanke mich bei Ihnen, Herrn Bundespräsident, herzlich und aufrichtig für die Gastreundschaft

Ich bedanke mich beim Verbund, der das finanziell ermöglich hat.

Ich bedanke mich bei meinem Chef, Hubert Patterer, bei Thomas, den vielen Kollegen für das Vertrauen

Ich bedanke mich bei meiner lieben Frau, die mir immer den Rücken gestärkt hat

Zuletzt bedanke ich mich bei meinen Eltern, dass sie mir nicht die Lust an der Zeitungsstellung um vier Uhr früh ausgetrieben haben."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2015)

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