Marco Boselli: "Das ist gedrucktes Internet"

Marco Boselli
Marco Boselli (c) 20 Minuten
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"20 Minuten"-Chef Marco Boselli kommt zum "Newspaper Congress": Er ist gegen die Fusion von Print und Online, aber für jene mit "Le Matin Bleu".

Während andere Gratiszeitungen wieder eingestellt wurden, wächst „20Minuten“ in der Schweiz weiter – gegen härteste Konkurrenz. Was machen Sie anders?

Marco Boselli: Wir waren einer der ersten Märkte, wo 1999 nach Schweden eine Gratiszeitung lanciert wurde. Niemand hat uns Stacheln in den Weg gelegt, sodass wir uns drei, vier Jahre lang unbeobachtet entwickeln konnten. Die Printbranche lag auf dem Sterbebett, alle sprachen nur noch von Internet und Fernsehen. Keiner hat an uns geglaubt. Und als die anderen Verlage dann Gegenmaßnahmen ergreifen wollten, war es zu spät. Es ist tatsächlich so, dass „20 Minuten“ in der Schweiz so gut läuft wie wohl keine andere Gratiszeitung in Europa. Weil wir ein sehr gutes Produkt machen, nicht nur von Agenturen abschreiben, sondern eigene Geschichten recherchieren. Es ist eine andere Form von Journalismus: schnell und unterhaltsam. Gedrucktes Internet.

Wie hat sich das Auftauchen von „20Minuten“ auf den Zeitungsmarkt ausgewirkt?

„20Minuten“ ist es gelungen, eine neue Leserschaft zu binden, vor allem ganz junge Menschen, die vorher keinen Bezug zur Printpresse hatten. Der Lesermarkt bewegt sich langsam, aber der Werbemarkt ist sehr schnell und stark interessiert: Wir haben in der Deutsch- und Westschweiz 30Prozent Reichweite, also auch einen sehr guten Tausend-Kontakte-Preis. Das macht uns als Werbemedium attraktiv – und schmerzt die Kaufzeitungen.

Die haben dafür keine Einnahmen aus dem Verkauf. Und die Werbung bricht ein.

Die Kaufzeitungen haben 20 bis 30Prozent Aboeinnahmen – das kompensieren wir längst. Und: In einer Rezession wird eine Gratiszeitung noch stärker beansprucht als sonst, wir haben seit zehn Jahren steigende Leserzahlen. Mittlerweile gibt es Gratiskonkurrenz – „News“, „.ch“ und „Blick am Abend“. Wir merken davon nichts.

Sie sind im eigenen Haus näher an die Onlineredaktion herangerückt. Kommt es zur Fusion der beiden Bereiche?

Es gibt einen Chefredakteur Print und einen Online. An einen Newsroom, wo alles zusammengelegt ist, glauben wir nicht – sondern an zwei unabhängig voneinander funktionierende Redaktionen, die in einer Art Konkurrenz stehen. Selbstverständlich arbeiten wir zusammen und es gilt: Online first.

Haben Sie schon ein Rezept gefunden, mit Online Geld zu verdienen?

Derzeit kommt der Beitrag zu 80Prozent von der Zeitungsgruppe. In Online wurde viel investiert – die sind noch ganz leicht in den roten Zahlen. Aber wir sind uns als sehr junges Medium bewusst, dass wir vorbereitet sein müssen auf den Moment, wo das dreht und wir uns die Ertragsflüsse auf anderen Kanälen sichern müssen.

Tamedia hat 2005 „20Minuten“ von Shipsted übernommen. Hat sich's amortisiert?

Ganz sicher. Als börsennotiertes Unternehmen dürfen wir keine Zahlen nennen. Aber es ist kein Geheimnis, dass das ein Meisterstück der Tamedia war. Wir sind die Ertragsperle im Haus.

Tamedia übernimmt bis 2013 den Schweizer Teil der Edipresse-Gruppe, die mit „Le Matin Bleu“ auch ein Gratisblatt herausgibt. Kommt die Gratisfusion?

Da sind wir jetzt dran. „20Minuten“ soll ein nationaler Titel werden. Als wir sagten, wir gehen damit in die Westschweiz, hat Edipresse selbst ein Produkt lanciert – „Le Matin Bleu“. Die Gratiszeitungen haben den Medienmarkt in der Westschweiz verändert – das war maßgeblich dafür, warum Edipresse überhaupt bereit war zu verkaufen. Jetzt können wir aus den beiden Titeln einen machen und müssen den Markt nicht teilen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2009)

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