Der graue Leitwolf hat uns verlassen

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"Die Presse" trauert um den wichtigsten Medienmann Österreichs, Gerd Bacher. Er hat den ORF erfunden, hat sich gegen den Boulevard gestellt. Am Samstag ist er an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. Er wird dem Land fehlen.

Wie misst man die Bedeutung eines Menschen? An seinem Werk, seinem Schaffen? An seiner historischen Bedeutung, die kontextuell schnell missinterpretiert oder umgedeutet werden kann? Oder schlicht an der Anzahl der Trauernden, wenn dieser Mensch stirbt. Nach allen diesen Kriterien war Gerd Bacher einer der größten Menschen dieses Landes. Zieht man aber die Anzahl derer in Betracht, die ihn wie eine Vaterfigur verehrt haben, dann war er vermutlich der größte Österreicher – in einer Zeit, in der viele kleine Österreicher die Szenen beherrschen. Intellektuelle, Journalisten, Medienmenschen, ja auch Politiker wurden von Gerd Bacher beeinflusst, ließen sich von ihm die große Linie vorgeben. Und imitierten ihn mitunter (un)absichtlich. Die Bacherianer erkennt man mitunter an dieser unnachahmlichen liebevoll knurrenden Stakkato-Sprechweise. Eine ganze Generation wäre Bacher überallhin gefolgt, „auch in den Krieg“, wie es manche von ihnen formuliert haben.

Bacher ist das gelungen, was keinem anderen in Österreich gelang und gelingt: Bei ihm löste sich die unerträgliche Einteilung in Rot und Schwarz, in links und rechts auf. Er stand darüber. Das heißt nicht, dass er keine klare politische Meinung hatte. Im Gegenteil. Aber Bacher beurteilte Menschen nach ihrem Intellekt, ihrer Redlichkeit, ihrem Handwerk und meist auch ihrer geistigen Tatkraft. Daher war sein Freundeskreis die wichtigste Runde österreichischer Denker.

Der heimatlose Rechte

Über Gerd Bacher zu schreiben ist schwieriger als alles andere. Zwei seiner Wegbegleiter haben wundervolle Texte komponiert, die über jedem Versuch stehen, dem Phänomen und Naturschauspiel Bacher nahezukommen. Peter Huemer, den der ORF noch heute schmerzlich vermisst, sprach 2014 in seiner Concordia-Ehrenpreis-Laudatio auf Gerd Bacher über die politisch merkwürdige „Ungleichzeitigkeit“: „1967, als Bacher begann, war unmittelbar vor 1968, dem Jahr der Studentenrevolte, die sich im Nachhinein als Kulturrevolution herausstellte, in deren Verlauf vieles Alte in die Luft flog. Und Bachers oberste Tugenden – Ordnung, Struktur, Disziplin – wurden als Sekundärtugenden verhöhnt. Das heißt aber: Gerd Bacher, der wertkonservative heimatlose Rechte, passte nicht in diesen Zeitgeist. Er war dagegen. Und die aufsässigen Jungen, die vom ORF fasziniert waren und dort arbeiten wollten, standen in wütendem Gegensatz zu Bacher selbst, ich ebenso, während mir schon bewusst war, was wir alle Bacher zu verdanken hatten. Das ist natürlich paradox – aber paradox war ja auch Bacher selbst: ein wirklicher Revolutionär, aber wirklich konservativ. Die Folge: Solange Gerd Bacher im Fernsehen mein oberster Chef war, war ich mit ihm nicht gut und er nicht mit mir. Erst als wir beide Rentner waren, hat uns unser gemeinsamer Freund André Heller zusammengebracht“.

Und eben dieser Heller, der sich nach der Nachricht vom Tod „einer der Lieben meines Lebens“ am Sonntag von seinem Wohnort, Marrakesch, nach Wien aufmachte, hatte 2008 anlässlich der Ehrung des Lebenswerks Gerd Bachers bei der Journalisten-des-Jahres-Gala auch ein politisches Paradoxon beschrieben: „Gerd ist ein heimatloser Rechter, ich ein heimatloser Linker. Aber in den wirklich wichtigen Dingen des Lebens, im Beurteilen von Biografien zum Beispiel, der Bewunderung und der Dankbarkeit für Winston Churchill, dem Ekel vor den Nazis und vor jenen, die immer gleich Nazis wittern, wo eigentlich nur Deppen zu sehen sind, der Sehnsucht nach den heilenden Energien des Südens, der Süchtigkeit nach Schönheit und Tiefe in der Natur ebenso wie in den Künsten und der Bewunderung für die kostbaren Frauen unseres Herzens oder der Freude über unsere Kinder, in diesen wichtigsten der wichtigen Themen sind wir uns einig.“

Machtpolitisch großartig

Wirklich zur Weißglut, wirklich in Euphorie konnte Gerd Bacher ein Thema bringen: „seine“ Medien. Den ORF hatte er de facto im Alleingang erfunden, aufgestellt und mit Leben erfüllt. Was heute öffentlich-rechtlich genannt wird, geht auf sein Konto. Was heute die Politik nicht versteht und daher unterbinden will, ist das Erbe Bachers. Die Geschichte von der Stunde null im journalistisch unabhängigen ORF klingt bekannt und doch fast märchenhaft: ÖVP und SPÖ unterjochen den Rundfunk hemmungslos, Österreichs Zeitungen stehen Seite an Seite und mobilisieren für ein Volksbegehren für einen freien ORF. 832.353 Menschen unterschreiben 1964. Das Rundfunkgesetz folgt 1967 unter Bundeskanzler Josef Klaus. Bacher verkündet stolz: „Das Parteibuch hat bei uns seine Funktion als karriereförderndes Wertpapier verloren.“ Das war 1967. Es gibt ihn doch, den kulturellen Rückschritt.

Bacher musste sich natürlich auch die Mehrheit suchen, die Betriebsräte im ORF-Kuratorium ins Boot holen. Machtpolitisch war Bacher großartig, ja, das heißt auch hart und taktisch berechnend. Gustav Peichl, Ironimus und überzeugter Bacherianer, zeichnete ihn als Tiger. Auf leisen Sohlen hatte er 1978 seine Wiederwahl im ORF organisiert und seinen Intimfeind Bruno Kreisky ausgebremst. Huemer zum Bacher-Tiger-Bild: „Gerd Bacher hat ganz bewusst den Eindruck erweckt, er wolle mit dem Kopf durch die Wand. Denn genau so wollte er gesehen werden: wie Gary Cooper in ,High Noon‘ im Kampf gegen die Miller-Gang. Gleichzeitig kannte er aber die österreichische Realverfassung. Und er wusste auch, dass er nicht mit dem Kopf durch die Wand kommt – jedenfalls meistens wusste er es. Wäre das nicht so gewesen, wäre er noch viel öfter hinausgeschmissen worden, als es ohnehin der Fall war. Und vor allem: Er hätte ohne praktische Vernunft nichts bewegen können.“

Hartes Match mit Hans Dichand

In den Abschiedstexten und Nachrufen wird ein Punkt vielleicht zu wenig beleuchtet werden, um die Harmonie bei einem solchen Anlass nicht zu stören: Bacher war ein deklarierter Gegner und Kritiker der Boulevardisierung der Medien, er kämpfte ein hartes Match mit Hans Dichand und der „Krone“. Deren Berichterstattung erkannte er als Gefahr für die Redlichkeit und die Kultur im Lande. Die Situation 2015 ist leider genauso wie von Bacher befürchtet. Der Kanzler legt seine Politik radikal kleinformatig an.

Seine „Presse“, die er als Herausgeber einst geleitet hatte, machte ihm später auch nicht immer Freude. Zu viel Tellerrand, zu viel Provinz, zu viel Klein-Klein, zu wenig Weltläufigkeit monierte er einmal, später gab es wieder Lob. „Gut“ knurrte er bei einer zufälligen, freundlichen Begegnung in Salzburg vor wenigen Jahren. Mehr geht vermutlich ohnehin nicht. Ich durfte ihn als Freund meines Vaters kennenlernen, der Bacher verehrte wie sonst nur Maggie Thatcher. Ich hatte ein bisschen Angst vor diesem mitunter plötzlich zornigen Mann, später wurde daraus Respekt. Er lässt uns Journalisten mit Qualitätsambitionen ein bisschen vereinsamt und allein zurück, wir haben unseren grauen Leitwolf verloren.

„Die Presse“ trauert um ihren Altherausgeber und Kollegen, unser Mitgefühl gehört seiner Familie, seiner wunderbaren Frau, seinen Töchtern.

Adieu, Gerd Bacher.

DIE ÄRA BACHER

Gerd Bacher wurde 1967 erstmals zum ORF-Generalintendanten gewählt – kurz nachdem das neue Rundfunkgesetz in Kraft getreten war. Schon in seiner ersten Amtszeit leitete er eine umfassende Erneuerung ein: Das Informationsangebot im Radio sowie im Fernsehen wurde massiv ausgebaut, der ORF zur „Zentralanstalt für die österreichische Identität“. Insgesamt stand Bacher bis 1994 mit Unterbrechungen fünf Mal an der Spitze des ORF. Dazwischen war er kurzzeitig „Kurier“-Chefredakteur, Ende der Achtzigerjahre war er Herausgeber der „Presse“. „Der Tod Gerd Bachers hat mich – und sicherlich auch sehr viele ORF-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen – sehr betroffen gemacht“, so ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz. Bacher habe nicht nur „höchste Professionalität und Engagement, sondern auch die Liebe zum ORF gelehrt und vorgelebt“. Am Sonntagabend änderte der ORF in memoriam Gerd Bacher sein Programm: Gezeigt wurde Andreas Novaks Dokumentation „Gerd Bacher“ (22 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2015)

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