Trauerrede für Gerd Bacher: „Feigheit war dir einfach nicht gegeben“

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„Für die Verbündeten deiner Stationen warst du ein Fabeltier“: Die (leicht gekürzte) Rede, die André Heller am Grab seines Freundes, des langjährigen ORF-Generals Gerd Bacher (1925–2015), gehalten hat.

Vergangenen Herbst haben wir uns in einem innigen Gespräch über die Missachtung empört, die dem Können und der Person Stefan Zweig vonseiten der Schriftstellergruppe 47 entgegenschlug. Plötzlich hast du gesagt: „Ich bin so wahnsinnig gern von etwas begeistert. Der Marcel Prawy und ich, wir haben immer bestimmt, wie lange bei einer gelungenen Festspielaufführung in Salzburg gejubelt wurde. Aus voller Überzeugung ,Bravo‘ zu schreien, zählt zum Schönsten, was ein Leben zu bieten hat. Einmal, der Karajan war schon sehr krank und das viele Verbeugen war ihm eine Qual, hat er tatsächlich seinen Kammerdiener Francesco zu mir in die vierte Parkettreihe geschickt, mit der Nachricht, dass ich augenblicklich meine Begeisterung einstellen solle, als Kompensation würde er mich zum Essen einladen. Ich habe mich schweren Herzens seiner erbarmt und den Jubel verebben lassen.“

Deiner Person und deinen Taten, geliebter Gerd, wollte und musste man auch oft zujubeln. Als Überschrift deiner 89 Jahre könnte man den schönen Memoirentitel Pablo Nerudas wählen: Ich bekenne, ich habe gelebt.

Freundschaftsweltmeister aller Klassen

Du hast deine vielfältigen Möglichkeiten wahrlich nicht geschwänzt. Du bist beharrlich dir selbst und der Welt auf den Grund gegangen, du hast umgerührt und aufgerührt, Revolutionen angezettelt und manchmal, wenn dir bestimmte Aufsässigkeiten zuwider waren, auch erschreckend brachial im Keim erstickt. Du warst kein Leiser und von keiner Mutlosigkeit und keinerlei Opportunismus gebremst, und doch auch eines der subtilsten und feinfühligsten Wesen dieses Landes.

Feigheit vor einem Problem, vor einer Entscheidung, vor einem Machthaber, vor einer Krankheit, vor dem Aussprechen unbequemer Wahrheiten, war dir einfach nicht gegeben. Dein Charakter hatte großartigen Charakter, und du warst ein gnadenlos liebender, manisch höchste Qualität gebender und verlangender Freundschaftsweltmeister aller Klassen. Das inkludierte herrliche Streite, virtuose Sprachduelle, Argumentationsfetzenfliegereien, die keiner und keine, der oder die beteiligt war, je missen mochte.

Was du dieser Zweiten Republik via den von dir gegründeten und 20 Jahre lang regierten ORF an Bewusstseinserhöhungsangeboten, Geschichtsinfusionen, exquisiten Informations- und Unterhaltungsangeboten bereitet hast, ist ohne Beispiel und Nachfolge. Welche Frauen und Männer du leidenschaftlich gefördert und gefordert hast, unter Verachtung des lokalen Proporzdenkens und wenn irgend möglich der Degradierung von Parteibüchern zu Wertlospapieren, das ergibt eine Art österreichischen Gotha für Geistesadel.

Reisesüchtiger Abenteurer

Dein Wirken war idealer Humus für große Begabungen, Ideen und Experimente. Man sollte in der Bodenkultur eine besonders wachstumsbeflügelnde Erdmischung „Gerd Bacher“ nennen. Das wäre für dich eine stimmigere Ehre als, wie üblich, eine Sackgasse in der Lobau oder ein Beserlpark in Aigen. Für die Verbündeten deiner Stationen warst du ein Fabeltier: als Chefredakteur und Herausgeber, als Leiter des Molden Verlags, als Generalintendant, als Mitinthronisierer des deutschen Wiedervereinigungskanzlers, Helmut Kohl, als intellektuelles Juckmittel, als aufbruchs- und reisesüchtiger Abenteurer und in vielen seligen Stunden auch als eine Art Genuss-Chimborazo.

Alles Biografische an dir, du körperlich kleiner Mann, war groß: deine Triumphe ebenso wie deine sogenannten Niederlagen. Ich sage „sogenannte“, weil man ja aus den Niederlagen gelegentlich mehr Lernnutzen ziehen kann als aus den Triumphen.

So standest du eines Tages, nach all den Jausengegnern, endlich einmal einem ebenbürtigen Catcher gegenüber, nämlich Bruno Kreisky, der damals gerade mit seiner Mannschaft Österreich aufs Überfälligste in hunderten Belangen reformierte, und der zwar politischer Hauptprofiteur jener geistigen Durchlüftung und Aufbruchsstimmung war, die dein ORF auf allen Kanälen den rot-weiß-roten Gefilden bescherte, der aber das Vorhandensein einer anderen Sonne neben sich selbst über diesen Gefilden als Majestätsbeleidigung empfand. Ihr wart aufs Engagierteste verfeindet. Und einmal hat er dich mit allen unerlaubten und erlaubten Tricks in die Knie gezwungen, und dann wieder du ihn, with a little help von Hannes Androsch.

Was waren das für Zeiten, als uns österreichische Innenpolitik aufgrund ihrer flamboyanten Hauptdarsteller und der Raffinesse der Intrigen noch wirklich faszinierte.

Lustvoller Verschwörer

Ja, du warst auch ein lustvoller Verschwörer, aber es muss auch gesagt werden, dass zum Beispiel, wann immer wir zwei daran gearbeitet haben, dass jemand, von dem wir viel hielten, Chef der Salzburger Festspiele werden sollte, er es verlässlich nicht wurde . . .

Überhaupt Salzburg. Wien, das war die von dir selbst in die Welt gebrachte Kommandozentrale Küniglberg, in der du deine Liebe, besser: deine Hörigkeit, zum ORF zelebriert hast. Aber Salzburg, das war, wo deine Mutter lebte und begraben liegt, dir daher ein sehr besonderes, hoch emotionales Thema. Ich bin aus diesem Grund ehrlich gesagt ein wenig verwundert, dass du jetzt am Zentralfriedhof in Wien dein Ehrengrab findest.

Aber andererseits: In der Nachbarschaft von Schubert, Mozart und Brahms, Beethoven und Johann Strauß und Schönberg und Qualtinger und Gert Voss und Hans Moser und Wotruba und Peter Altenberg und Schnitzler und Adolf Loos und Figl, Raab und Kreisky, um nur einige zu nennen, ist mit Sicherheit die Intensität der Anregung und des Amüsements eine zu dir passendere.

An eine Fortsetzung des Daseins nach dem Tode hast du übrigens nicht geglaubt. Als ich dir sagte, ich weiß, dass wir spirituelle Wesen in einem menschlichen Körper sind, und wenn wir vom Irdischen Abschied nehmen, gehen wir nach Hause in schattenloses Licht, hast du mich einige Sekunden stumm angeschaut und dann mit einem Seufzer geantwortet: „Ich bin trotzdem dein Freund und werde es immer sein und dich gegebenenfalls im Irrenhaus besuchen.“ – Vielleicht hast du in den vergangenen Tagen Erfahrungen gemacht, die dich diesbezüglich erstaunen. Könnte ja sein.

Wir waren in so vielem unterschiedlicher Meinung, du, der heimatlose Rechte, und ich, der heimatlose Linke. Aber ich habe dir schon einmal öffentlich gesagt: In den wirklich wichtigen Dingen des Lebens, zum Beispiel der Sehnsucht nach den heilenden Energien des Südens, der Süchtigkeit nach Schönheit und Tiefe in der Natur ebenso wie in den Künsten und der Bewunderung für die kostbaren Frauen unseres Herzens oder der Freude über unsere Kinder, in diesen wichtigsten Themen waren wir uns immer einig.
Apropos Kinder: Deine Töchter hast du alle drei nicht nur geliebt, sondern geradezu verehrt, und einmal hast du mir gesagt: „Wie ich spät, aber doch die Helga entdeckt hab, war das, wie wenn man jahrzehntelang ein noch gültiges Los mit einem Haupttreffer in der Tasche hat und es nicht einlöst. Da hab ich mich leider selber lange um eine große Freude betrogen.“

Und die 30 Jahre mit Christine? Deine Antwort war: „Die hat Gott sei Dank schon die enthallodrisierte Fassung von Gerd Bacher bekommen. Sie ist jemand, wo ich mir jeden Morgen beim Wiedersehen denke: Was für ein Geschenk.“

König der Wörter

Und deine Eltern? „Sie waren herzensgebildete Kleinbürger. Von der Mutti hab ich die guten Gene, die Sinnlichkeit und Genussfreude, die Erfahrung bedingungsloser Liebe und exzellenter offener Gespräche.“ Sie hat dir geraten: „Wenn du schon stets im Leben der Räuberhauptmann sein willst, dann brauchst du zumindest die Matura.“

Die Familie Bacher hatte wenig Geld, aber noch der letzte Groschen wurde für interessante Bücher ausgegeben. Gerd, du warst ein Leben lang lese- und erfahrungssüchtig, und wer es in deiner Umgebung nicht ebenso hielt, den hast du als im Grunde gescheiterte Existenz empfunden. Am Sterbebett noch hat dir deine wunderbare Frau tagelang aus Sebastian Haffners Churchill-Biografie vorgelesen.

Churchill in seiner Beharrlichkeit, Motivationsfähigkeit, analytischen Klarheit und schnellen Reaktionsfähigkeit war, gar nicht so geheim, dein großes Vorbild. Ebenso der Rhetoriker Churchill. Du warst ja selbst ein begnadeter Rhetoriker, ein König der Wörter, der geschliffenen Reden und funkelnden undiplomatischen Debatten. Es muss die schwerste Prüfung deines an Prüfungen nicht armen Lebens gewesen sein, am Ende durch den zweiten Schlaganfall ganz deine Sprache verloren zu haben.

Ein Ausnahmewesen, mit unendlich vielen ungewöhnlichen Gedanken, spannendsten Erinnerungen und Beobachtungen, ein Inhaber relevantester Meinungen zu den relevantesten Fragen, plötzlich eingesperrt in erzwungenes Stummsein, in die verbale Ausdruckslosigkeit, ist eine Grausamkeit höllischer Natur. Eines Nachts war das Ende deiner Geduld erreicht, und du hast dich aus dieser Welt, die dein fulminanter Abenteuerspielplatz war, verabschiedet.

„Man darf sich nie im Stich lassen“

Vor fast 27 Jahren, zur Geburt meines Sohnes, hast du mir bemerkenswerte Ratschläge geschrieben: „Mach ihm Mut zum Mut, locke ihn in die Freude, vermittle ihm, welche Dankbarkeit er dem Umstand schuldet, nicht in der Sahelzone oder in Albanien das Licht der Welt erblickt zu haben, sondern in Österreich, einem gesegneten, an Schönheit schwer zu überbietenden Hort des Friedens und des Wohlstandes. Es würde ihm auch guttun, wenn er seine Eltern oft lachen sieht. Wenn er früh Mozart zu hören bekommt und spätestens ab seinem 14. Jahr Joseph Roth zu lesen beginnt. Schwimmen muss er früh können, denn untergehen sollte niemals eine Kategorie für ihn sein.

Und erklär ihm, dass die wichtigste Treue die zu einem selbst ist. Man darf sich nie im Stich lassen. Und wenn er einmal einen wirklich unfreundlichen Erwachsenen aus nächster Nähe kennenlernen will, dann braucht er nur mit schlechten Manieren und einem Kaugummi im Mund zu mir zu kommen.“

Ach Gerd, natürlich hast du jedes Recht, mit fast 90 zu entscheiden: Geht's und verkauft's mein Gwand, i foa in Himmel. Aber du gehst uns so furchtbar ab und wirst uns immer, immer abgehen.

Deine Art, beim Spazierengehen jäh stehen zu bleiben und zu fragen: „Kennst du das auch schon, dass blühender Flieder, je älter man ist, immer wichtiger wird?“ Deine wegwerfende Handbewegung, ehe du einen Irrtum aufklären wolltest, oder dein Schweigen, wenn du lange auf den Gardasee geschaut hast und dann, gedehnt, deine Höchstwertung – „Herrrrlich, herrrrlich“ – von dir gabst. Deine festen Umarmungen, deine häufige, rührende Frage: „Brauchst du was von mir?“ Die Momente, in denen wir gemeinsam geweint haben.

Ich könnte noch stundenlang weiter aufzählen. Dein Tod ist kein bloßer Verlust, sondern eine veritable Katastrophe für viele. Du bist als Mensch futsch, aber der Maßstab für vieles, der du warst, ist in uns geblieben.

„Geh bitte, übertreib ned so“, hör ich dich sagen. Aber schau sie dir an, die Gesichter der Anwesenden, und schau dir – ich glaube, du kannst das von dort, wo du jetzt bist – auch ihre Gedanken an, und du wirst begreifen, wie sehr du verehrt und geliebt wirst. Danke, dass es dich gegeben hat, und danke, dass wir die füreinander sein durften, die wir waren, und danke, dass du ein Eindruck und ein köstliches Vergnügen warst, das ich niemals, niemals, niemals vergessen werde.

Zur Person

André Heller (Jahrgang 1947) ist Sänger, Dichter und Verwandlungskünstler. Er gehörte zu den Gründern und ersten Moderatoren des 1967 entstandenen Popsenders Ö3. Der damalige ORF-Generalintendant, Gerd Bacher, hatte ihn zum Sender geholt. Die beiden waren einander seit dieser Zeit in Freundschaft verbunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2015)

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