Ein gehetztes »Literarisches Quartett«

Das ständige Trio im erneuerten „Literarischen Quartett“ des ZDF (von links): Biller, Westermann und Weidermann.
Das ständige Trio im erneuerten „Literarischen Quartett“ des ZDF (von links): Biller, Westermann und Weidermann.(c) ZDF und Jule Roehr (Jule Roehr)
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Eine Legende, im ZDF wiederbelebt – kann das ohne Reich-Ranicki gut gehen? Die Retro-Show zeigt, wie das Tempo im TV steigt.

Gleich vorweg: Das Format des ursprünglichen „Literarischen Quartetts“ hatte der Erneuerungsversuch mit der Premiere am Freitag im ZDF (23 Uhr!) nicht. Dieses Manko erklärt sich nur zum Teil aus verklärter Rücksicht. Die ursprüngliche Sendung, die von 1988 bis 2001 lief, wurde überwiegend von drei Charakterköpfen getragen, die man sich dauerhaft merkte, besser jedenfalls als die meisten ihrer 70 Gäste. Die drei Neuen aber müssen ihre prominenten Rollen erst entwickeln.

Das Urteil. Wie war es denn einst? Großkritiker Marcel Reich-Ranicki, vor zwei Jahren gestorben, stilisierte sich im TV zum Literaturpapst hoch, dessen Urteil Schicksale von Büchern besiegelte. Sigrid Löffler war ihm eine ebenbürtige, scharfzüngige Konkurrentin, die Sachverstand und guten Geschmack durchaus gegen Gemeinheit tauschen konnte, falls der Übervater zu herrschsüchtig war. Im Jahr 2000 wurde es Löffler zu viel, sie verließ die Sendereihe, nachdem Reich-Ranicki ihr gegenüber allzu untergriffig argumentiert hatte. Hellmuth Karasek aber, der just diese Woche gestorben ist, blieb bis zum Schluss die Seele der inspirierenden Show, ein Schelm, der profundes Wissen gerne hinter Arglosigkeit versteckte. Alle drei vermittelten in jeweils bis zu 75 Minuten, Literatur sei so wichtig, dass man darüber notwendig streiten müsse. Bei aller Polemik spürte man: Dieses Trio liebt Bücher mehr noch als flotte geistvolle Konfrontation.

Was also haben der Autor und Kritiker Volker Weidermann („Der Spiegel“), die Autorin und Rundfunk-Moderatorin Christine Westermann (WDR) und der Schriftsteller Maxim Biller zu bieten, deren erste Sendung im Berliner Theater am Schiffbauerdamm aufgezeichnet wurde? (Leider also nicht live, sondern nur Konserve.) Weidermann, ein brillanter Stilist, der im Vorjahr mit „Ostende“ entzückte, ist Primus inter pares, doch er kann M. R.-R. nicht ersetzen. Dazu fehlt ihm die Seniorität, auch bleibt er stets viel zu höflich. Zudem ist es offenbar seine Aufgabe, gehetzt auf die Uhr zu blicken. In knapp 44 Minuten muss er vier Bücher durchpeitschen. Da bleibt dem Trio und dem Gast (am Freitag war es die engagierte, kluge Autorin Juli Zeh) kaum Zeit für Inhalt, man muss sich bei diesem Speed-Dating nur entscheiden: Florett oder Vorschlaghammer?

Maxim Biller hat sich für Letzteren entschieden. Er macht Krawall, greift vor allem die Kolleginnen direkt an, aber was er an Eitelkeit im Übermaß besitzt, mangelt ihm an Seriosität. Frau Westermann hingegen hat Format, ist anscheinend andere, weit großzügigere Formate aus TV und Radio gewohnt. Sie bemüht sich, die Werke zu analysieren – und kommt dabei kaum zu Wort. Biller weiß ja alles viel besser, der kennt sogar Kafka und Afrika! Er fällt den Frauen ständig ins Wort. Herr Weidermann zügelt ihn kaum.

Wie Wrestling. Über die Bücher erfährt man also wenig. Nun, das war auch oft beim ursprünglichen Quartett nicht anders, erst durch die Zuspitzung sollte man Lust aufs Lesen bekommen. Aber der neuen, gefühlt gekürzten Sendung merkt man das Überhastete fast körperlich an – hier sieht man vier Wrestler gemeinsam im Ring, die sich in zu kurzen Runden qualifizieren wollen.

Am Ende wird bilanziert wie im Sport. Ach ja, es ging um Literatur! 3:1 für „Träumen“ aus Norwegen, den aktuellen Band von Karl Ove Knausgårds sechsbändiger Autobiografie, 1:3 für „Macht und Widerstand“ des Deutsch-Bulgaren Ilija Trojanow. Gewonnen hat Weidermann mit seinem Favoriten, während Zeh mit dem ihren verlor. 2:2 für den von Biller himmelhoch geschätzten Roman „Der dunkle Fluss“ des Nigerianers Chigozie Obioma, sowie für „Fieber am Morgen“, das Debüt des Ungarn Péter Gárdos, den Westermann empfahl. Ein Tipp fürs Zweite: Die Leistungsbilanz am Ende ist entbehrlich, aber mehr Zeit für Substanz zuvor wäre wünschenswert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

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