David Barstow: "Ich muss denken wie ein Drogendealer"

Liebt es, an Haustüren zu klopfen: Aufdecker David Barstow.
Liebt es, an Haustüren zu klopfen: Aufdecker David Barstow.Die Presse
  • Drucken

Der "New York Times"-Aufdecker und dreifache Pulitzer-Preisträger David Barstow erzählt, warum er Einladungen immer annimmt, was ihn mit TV-Detektiv Columbo verbindet und wie die NSA ihm die Arbeit schwer macht.

Die Mozzarella-Semmel, die sich David Barstow im Kaffeehaus bestellt hat, sieht gut aus. „Wollen Sie die Hälfte?“, fragt er höflich. Man lehnt dankend ab. Später lernt man: Würde er, Investigativreporter bei der „New York Times“ und dreifacher Pulitzer-Preisträger, das Interview führen, hätte er angenommen. Wenn er im Zuge seiner Recherchen Menschen trifft, versucht er, das erste Interview stets so lange wie möglich zu gestalten, sagt er. Bieten sie ihm etwas zu trinken an, nimmt er an. Laden sie ihn ein, zum Abendessen zu bleiben, nimmt er an. „Man versucht, eine normale, menschliche Beziehung aufzubauen, die über die Reporter-Quelle-Beziehung hinausgeht. Sie hätten die Semmel annehmen sollen, absolut.“

Barstow, derzeit als Korrespondent der „New York Times“ in Indien stationiert, schreibt seit 1999 für die Zeitung, seit 2002 ist er im Team der Investigativreporter. Er schrieb über den laschen Umgang der US-Behörden mit tödlichen Arbeitsunfällen, verursacht durch Arbeitgeber, die sich nicht an Sicherheitsstandards hielten. Er deckte auf, dass die Bush-Regierung pensionierte Generäle als Experten in zahlreichen Radio- und TV-Sendern einsetzte, um die Berichterstattung über den Irak-Krieg zu beeinflussen. Und er enthüllte, wie der weltweit größte Einzelhändler, Walmart, in Mexiko systematisch Beamte bestach, um an Baubewilligungen zu kommen.

Ethisch korrekt zu arbeiten sei für ihn oberstes Gebot, sagt Barstow. Nie habe er sich als jemand anderer ausgegeben, sich in Unternehmen geschlichen, Dokumente auf unlautere Weise erworben oder für Informationen bezahlt. Nicht selten sei er dabei von anderen Reportern ausgestochen worden, die weniger Skrupel hatten, erzählt er: „Sie haben ihre Informationen vielleicht schneller bekommen. Aber ich kann nachts besser schlafen.“


Sekretärinnen wissen alles. Seine hohen moralischen Standards würden ihn zwingen, schlauer an eine Geschichte heranzugehen. „Ich versuche zunächst immer, an ehemalige Sekretärinnen der Manager zu kommen“, nennt Barstow seine erste Adresse im Zuge einer Recherche. „Sie wissen alles, alles ging über ihren Schreibtisch. Oft wurden sie aber von ihren Chefs nicht gut behandelt. Sie tendieren auch dazu, Dokumente aufzubewahren. Das liegt in ihrer DNA.“

Das Internet als gigantisches Datenarchiv, soziale Medien, die digitale Kommunikation hätten seine Arbeit zwar in vielerlei Hinsicht erleichtert, gleichzeitig bedeute die Massenüberwachung durch die NSA, dass er viel vorsichtiger sein muss – und dass er seinen Quellen keinen Schutz mehr garantieren kann. „Wir Investigativjournalisten versuchen ständig, das Vertrauen unserer Quellen zu gewinnen. Ich würde eher ins Gefängnis gehen, als zu verraten, wer mir eine Information gegeben hat. Nur ist das im Moment ein ziemlich hohles Versprechen. Alles, was wir tun, hinterlässt eine digitale Spur, auf die die Regierung zugreifen kann.“ Seit den Enthüllungen von Edward Snowden ruft Barstow seine Informanten nicht mehr an, schickt keine Nachrichten, verwendet Wegwerfhandys. „Ich muss denken wie ein Drogendealer“, sagt er. Die einzige Möglichkeit, um sicher Kontakt zu einer Quelle herzustellen, sei, bei ihr zu Hause aufzutauchen.

Das sei gleichzeitig, was ihn an seinem Job am meisten fasziniert. „Ich liebe es, an Haustüren zu klopfen“, sagt er. „Dieser Moment, wenn eine Person die Tür aufmacht, nur einen Spalt weit, und du ihnen deinen Namen nennst.“ Viele würden die Tür freilich gleich wieder zuschlagen. Ein Blatt Papier könne der Schlüssel sein, um hineingelassen zu werden. „Ich habe immer ein Dokument dabei, das mit den Leuten persönlich zu tun hat, etwa ein E-Mail, das sie geschrieben haben.“ Das würde ihre Neugier wecken: Was hat der Mann denn noch?


„Einfach neugierig“. Für eine einzige Geschichte recherchiert Barstow oft monatelang, spricht mit zig Zeugen, Betroffenen, Informanten. Wie hält er da kritische Distanz? „Mein Polarstern ist Columbo aus der TV-Serie. Er urteilt nicht, wird nie wütend, will niemanden rächen. Er ist einfach neugierig.“ Einen Übeltäter nur auflaufen lassen zu wollen sei wie Scheuklappen aufzusetzen. „Man sucht dann nur noch nach der einen Information, die den Fall beweist.“ Barstow will genau verstehen, was und warum es geschehen ist. „Das Spannendste ist nicht, wer der Mörder ist, sondern, wie es passiert ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.