Ist der Mainstream in der Minderheit?

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Sprache und Politik. Nicht nur um die Stimmen der Wähler wird gerungen, auch um Begriffe: „Anstand“ galt als konservativ, „kritisch“ als links. Und heute? Ein Glossar.

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Eigentlich stammt der Begriff aus dem Bereich der Populärkultur. Gemeint ist der Geschmack der Masse, dem man den eigenen, ästhetisch avancierteren Zugang entgegensetzt. Heute spricht von Mainstream, wer auf ein angebliches politisches und gesellschaftliches Diktat hinweisen will: Der Mainstream stellt schwule Ampelpärchen auf, tilgt das „N“-Wort aus den Kinderbüchern, er steht für „Willkommenskultur“ und das Binnen-I.

Interessanterweise wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Vertreter des Mainstreams gar nicht die Mehrheit stellen – ganz im Gegenteil wird vermutet, eine mächtig gewordene linksgerichtete Minderheit unterdrücke die legitimen Äußerungen eines ganzen Volkes. Dieser Vorwurf wird auch gegen Medien im Allgemeinen (siehe Zensur) und gegen das Feuilleton im Speziellen erhoben. „Die Feuilletonisten werden zu Heulbojen und schießen Gift und Galle, wenn Gefahr für den Mainstream auch nur drohen könnte“, schreibt etwa Bettina Rühl in der „Wirtschaftswoche“.

Andere formulieren ihre Vorbehalte konkreter. Wer vom „linken Mainstream“ oder dem „politisch korrekten Mainstream“ spricht, geht nicht davon aus, dass die gesamte Gesellschaft gleichgeschaltet und vom linken politisch-medialen Komplex gesteuert ist, sondern nur ein Segment – dem aber überproportional viel Einfluss zugesprochen wird. Wie dieses Wort rechts politisiert wurde, darüber lässt sich nur spekulieren: Möglicherweise stand die (linke) amerikanische Kritik an den „mainstream media“ Pate, es kann aber auch sein, dass das Thema Political Correctness eine Rolle spielt und es sich beim „Mainstream“ um eine bewusste oder unbewusste Verballhornung des negativ besetzten „Gender Mainstreaming“ bzw. um eine Ableitung davon handelt.
Wer sich als „Non-Mainstream“ bezeichnet, sagt oft auch „kritisch“ und „Gutmensch“ oder twittert: „Ich will Selbstschussanlagen an der Grenze.“

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Es gab einmal: „Die kritische Theorie“. Das heißt, es gab eigentlich zwei, die ältere basierte auf Arbeiten Horkheimers und Adornos, die jüngere auf denen von Jürgen Habermas. Beide prägten sie Generationen von Studenten, für beide galt: Eine genauere Festlegung, was denn da kritisch erforscht und beleuchtet wurde, war im Titel gar nicht nötig, es verstand sich von selbst: der Kapitalismus mit seinen Manipulations- und Machtmechanismen. Zeitschriften, die auf sich hielten, nannten sich „Literatur und Kritik“ oder „Text und Kritik“, es gab „Kritische Psychologen“ und „Kritische Polizisten“. Gemeint war: tendenziell links.

Auch heute noch kämpft eine „Aktion kritischer Schüler“ für eine „gerechtere und demokratische Schule“, aber immer häufiger wird der Begriff von jenen vereinnahmt, die im Gegenteil die Besinnung auf traditionelle Werte einfordern und sich nach einer einheitlicheren und autoritärer strukturierten Gesellschaft sehnen: Das geht so weit, dass in manchen Zusammenhängen „kritisch“ als Synonym für „rechtsgerichtet“ gelesen werden kann, zumal dann, wenn es gemeinsam mit anderen Schlüsselwörtern wie „Zensur“, „politisch korrekt“ oder „Mainstream“ verwendet wird: „Menschen vom Dorf sind kritischer und scheißen auf ,Treating people with respect‘, heißt es da etwa. Oder: „Irgendwie wird jeder abgewürgt, der kritisch diese Flüchtlingspolitik analysiert.“

Diese Form der „Kritik“ erscheint gern als zusammengesetztes Substantiv oder Adjektiv. Es gibt den „Asylkritiker“, der manchmal gleichzeitig auch „impfkritisch“ ist und ziemlich sicher auch „islamkritisch“. „Kritisch“ bedeutet oft „ablehnend“ – es handelt sich also um einen Euphemismus, der zum Teil auch von Medien übernommen wird: „Am Freitagmorgen waren asylkritische Banner an einer Brücke über der Staatsstraße 2307 aufgehängt, die auch Hakenkreuze zeigten“, berichtet etwa eine deutsche Zeitung.

Ob links oder rechts: Kritisiert werden Parteien, Medien, Autoritäten in diversen Institutionen, wobei von rechts nicht die Religion, sondern eher die Wissenschaft attackiert wird.

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Historisch betrachtet geht die Zensur von Kirche und Staat aus, sie ist ein Mittel, mit dem sich Diktaturen und autoritäre Regime an der Macht zu halten versuchen – etwa in der Türkei, wo vor den Wahlen Redaktionsräume eines TV-Senders von der Polizei gestürmt wurden. Derzeit wird vermehrt den Medien selbst vorgeworfen, Zensur zu üben, indem sie einerseits Hetzerisches und Beleidigendes aus den Foren verbannen – oder indem sie angeblich über bestimmte Vorfälle nicht berichten. Das sei „offenbar durch die Zensur gerutscht“, schreibt etwa einer, der Flüchtlinge als „Invasoren auf der Jagd nach dem verheißenen Geld und den blonden Frauen“ bezeichnet, als ein deutsches Nachrichtenmagazin über Attacken muslimischer Jugendlicher auf Polizisten berichtet. Eine beliebte rechte Seite nennt sich „unzensuriert“.

Für die Zensur werden entweder Journalisten verantwortlich gemacht, die dem „Mainstream“ angehören. Oder es wird ein ominöser „politisch-medialer Komplex“ im Hintergrund vermutet: Akif Pirinçci etwa sprach vor Pegida-Anhängern von der „grün-links versifften Systempresse“. Journalisten machen sich demnach mit der Politik gemein bzw. werden von ihr unter Druck gesetzt. Diesem Komplex gehören angeblich auch die Polizei und Wirtschaftstreibende an: Wenn sie etwa das Gerücht dementieren, Flüchtlinge hätten Supermärkte überfallen und geplündert.

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Wer wissen möchte, was Ehre bedeutet, der schlage bei Schnitzlers „Leutnant Gustl“ nach: Dort will der Titelheld Selbstmord begehen, weil ihn ein Bäckermeister in aller Öffentlichkeit einen dummen Buben geheißen hat. Des Leutnants Problem: Der Gegner ist nicht satisfaktionsfähig, er kann ihn also gar nicht zum Duell fordern. Doch der Leutnant hat Glück, der Bäcker stirbt an einem Schlaganfall, und die Ehre ist gerettet.

Die Ehre beruht auf den Normen einer Gemeinschaft, die als wichtiger angesehen wird als die Person selbst: etwa Religion, Familie, Vaterland. Je autoritärer diese Gemeinschaft, desto strikter der Ehrbegriff. „Die Idee der Ehre wird für uns Anfang und Ende unseres ganzen Denkens und Handelns“, formulierte NS-Ideologe Alfred Rosenberg. In der Nachkriegszeit ließen Burschenschaften den Begriff wieder auf- bzw. weiterleben. Man hätte erwarten können, dass die „Ehre“ heute im Zusammenhang mit Pegida wieder eine Renaissance erfährt, doch dem ist nicht so: Vermutlich, weil dieses aus dem Althochdeutschen stammende Wort mittlerweile vor allem mit der patriarchalen, noch auf Stammesstrukturen beruhenden Ausprägung des Islam assoziiert wird. Stichwort: Ehrenmorde.

Das bürgerliche Gesetzbuch kennt noch die „Ehrenbeleidigung“. Voraussetzung ist, dass Beleidigung und Spott in der Öffentlichkeit stattfinden, das heißt vor mindestens drei weiteren Personen.

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Einst wurde dieser Begriff oft in einem Atemzug bzw. synonym mit „Sitte“ gebraucht, „anständig“ war das Mädel, dessen Rock nicht über dem Knie endete, und der Bursch, der die Haare kurz trug. Soweit die auf den ersten Blick unpolitische Definition. Politisch extrem klang das so: „Anständige Menschen“ seien jene, „die auch noch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind“. Es sprach: Jörg Haider. Adressat: Veteranen der Waffen-SS. Und heute? Die „bürgerliche Kardinaltugend“ (so die „taz“ in einem Artikel von 2001) ist seither fast unbemerkt in die Mitte gerutscht und von dort weiter nach links – und wird nun von Vertretern des gesamten politischen Spektrums beschworen: Von „Charakter und Anstand“ sprach Michael Häupl vor der Wiener Wahl, von „Anstand und Charakter“ sein Herausforderer, H.-C. Strache. Manfred Juraczka versuchte es mit einer leichten Variation und beschwor „Vernunft und Anstand“. Darauf reagierte Martin Margulies von den Wiener Grünen auf Twitter: „Juraczka macht Wahlaufruf für Grün. Will schließlich ,Vernunft und Anstand‘ und ÖVP kann damit nicht gemeint sein.“ So hält jeder seinen Anstand für anständiger.

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Um die Komplexität des Begriffes Volk zu veranschaulichen, muss man nicht weit in die Geschichte zurückgreifen. Es genügen wenige Jahrzehnte: Bei den Montagsdemonstrationen in der DDR riefen die Demonstranten zuerst: „Wir sind das Volk!“ Das Volk, also: der Souverän. Wenig später wurde die Parole leicht variiert: „Wir sind ein Volk!“ Dahinter stand noch gar nicht der Wunsch nach Wiedervereinigung. Wir, das waren die Demonstranten und die Sicherheitskräfte, an deren Solidarität man so appellierte: Sie sollten nicht zuschlagen oder schießen. Erst einen Monat später bezog sich das „Wir“ in „Wir sind ein Volk“ auf die Deutschen in Ost und West. Nationalstolz (siehe: Österreich), Solidarität, die Macht der Bürger – all das steckt in diesem kleinen Wort und noch mehr. Um sich klar von nationalistischen Konnotationen abzusetzen und die solidarische Bedeutung herauszustreichen, hat in den 1980er-Jahren die Hausbesetzerszene zu einem Trick gegriffen: Sie verwendete den Begriff im Genitiv und schrieb ihn lauttreu mit x: Mittlerweile gibt es nicht nur Volxküchen, sondern auch Volxmusik, Volxlesungen oder das Volxkino: In Wien tourt es im Sommer durch die Bezirke und zeigt kostenlos Filme in Parks oder Gemeindebauten.

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Eigentlich sollte es keinen Zweifel geben: Wenn eine Partei mit dem Wort „Österreich“ assoziiert wird, dann die bürgerliche. Die „Österreichische Volkspartei“ stellt als einzige Partei in ihrem Namen die Nation voran, durchaus folgerichtig: Historisch betrachtet ist das Bekenntnis zu Österreich eher konservativ, die Sozialisten bzw. Sozialdemokraten gaben sich international („rot /ich weiß/rot“, dichtete der Sozialdemokrat Ernst Jandl), die FPÖ gab sich deutschnational. Als „ideologische Missgeburt“ bezeichnete Jörg Haider Österreich. Vier Jahre später hatte er erkannt, dass mit dem viel geprüften Land, das dem Erdteil inmitten liegt, durchaus Staat zu machen ist, und startete das Volksbegehren „Österreich zuerst“. Sein Nachfolger H.-C. Strache hat diese Strategie vervollkommnet: Die Slogans reichen von „Mein Herz schlägt rot-weiß-rot“ bis zu „Liebe deinen Nächsten. Für mich sind das unsere Österreicher“. So erwuchs der ÖVP auf dem Gebiet des Nationalstolzes (siehe auch: Volk) ein unerwarteter Konkurrent. Was vor allem Wolfgang Schüssel Kummer bereiten dürfte: Er hat damals das Image der ÖVP als heimische Berge erklimmende Musikertruppe aufgebaut: Das 2002 vor der Wahl verschenkte „Rot-weiß-rote Liederbuch“, in dem Willi Molterer, Liesl Gehrer und Wolfgang Schüssel die schönsten Weisen präsentierten, wird heute bei eBay für 9 Euro angeboten. Die ÖVP kam damals auf 42 Prozent.

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