Der „Posterboy“ erklärt Flüchtlingen, wie die Deutschen ticken

Constantin Schreiber zu Gast bei Anne Will
Constantin Schreiber zu Gast bei Anne Willimago/Jürgen Heinrich
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Nahostexperte Constantin Schreiber kommt mit dem Onlineformat „Marhaba“ auf N-TV ins Fernsehen: „Eine Sendung gegen den Hass.“

Die Produktionen sind nicht aufwändig. Fünf Minuten dauert jede Ausgabe von „Marhaba“. Es gibt kein Studio, dafür einen salopp plaudernden Moderator, der über die Straße spaziert und sich mit Migranten unterhält. In fließendem Arabisch, denn „Marhaba“ (was so viel heißt wie Willkommen), ein Onlineformat des Nachrichtensenders N-TV, richtet sich an syrische und arabische Flüchtlinge in Deutschland. „So ticken die Deutschen“ war das Thema der ersten Ausgabe, die Ende September online gegangen ist. Seither sind neun Videos erschienen, in denen Moderator Constantin Schreiber den Neuankömmlingen u. a. die Regelwut der Deutschen erklärt („Wir beachten üblicherweise rote Ampeln“), die Liebe zum Bier („Im Süden, in Bayern, gibt es ganze Volksfeste, bei denen Alkohol getrunken wird“) und dass im Grundgesetz die Gleichberechtigung von Frauen und Männern verankert ist. Es ist eine einfache Einführung in die deutsche Kultur für Menschen, denen vieles noch völlig suspekt ist. Sogar der Gang zum Bäcker. Warum, fragt Schreiber einen Mann, der vor Jahren nach Deutschland gekommen ist, kauft sein Freund das Brot immer nur im Supermarkt? „Er fühlt sich beim Bäcker unter Druck gesetzt, schnell zu entscheiden, weil der Verkäufer auf ihn wartet.“

„Marhaba“ war das erste arabischsprachige Angebot eines TV-Senders in Deutschland, inzwischen erzielen die Videos laut N-TV bis zu einer Million Klicks. Nun soll das Format ins Fernsehen erweitert werden: Am 17. 12. wird es erstmals eine Sondersendung zum Flüchtlingsthema geben (17.10 Uhr, N-TV) – mit Studiogästen und Reportagen. Warum er das macht? „Weil Kennenlernen und Verstehen derzeit wichtiger ist denn je“, erklärt Schreiber in einem Gastbeitrag für den „Stern“. Nicht nur soziale Netzwerke hätten die Entfremdung zwischen West und Ost vorangetrieben: „Arabische Medien spielen mit Klischees und Vorbehalten, nutzen Schlagzeilen, die klar anti-israelisch sind, auch immer wieder dem Westen unterstellen, eine anti-arabische Agenda zu betreiben.

Ein Deutscher auf al-Jazeera

Viele Muslime seien – angeheizt durch Medienkommentare und Diskussionen im Internet – überzeugt, dass der Westen mit zweierlei Maß messe und dort „muslimisches Blut (vergossen in Syrien, Anm.) nicht so viel wert ist wie westliches (vergossen in Paris, Anm.)“.Schreiber findet daher: „Es ist Zeit zu reden.“ Der 36-jährige deutsche Jurist gilt als ausgewiesener Nahostexperte: Er hat als Jugendlicher in Syrien gelebt, als Stipendiat an der Oxford-University geforscht, für den „Daily Star“ in Beirut und für die Deutsche Welle in Dubai gearbeitet, er war Medienberater für den Nahen Osten im Auswärtigen Amt und hat das Buch „1000 Peitschenhiebe“ des inhaftierten saudiarabischen Internetaktivisten Raif Badawi herausgegeben. Seit 2012 ist Schreiber Moderator bei N-TV und mittlerweile auch der „Posterboy“ des ägyptischen Fernsehens (© „Stern“): Schreiber präsentiert beim ägyptischen Sender ONTV die Wissenssendung „Scitech“ und ist dort als Testimonial auf Werbeplakaten affichiert. Mit einem Ableger der Sendung wird er bald als erster Deutscher auf al-Jazeera im gesamten arabischen Raum zu sehen sein. Im Vergleich dazu ist „Marhaba“ ein Miniformat. Aber ihm ist wichtig: „Es ist eine Sendung gegen den Hass“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2015)

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