Josef Winklers Erlösung aus der Sprachlosigkeit

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erLesen(c) ORF (Christian Hofer)
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Der Kärntner Schriftsteller spricht in André Hellers TV-Sendung „Menschenkinder“ über sein Leben.

„Anschlag für Anschlag verlasse ich jetzt mein Elternhaus“: Das habe er gewusst, als er in der Bauernstube saß und die Todesszene aus „Winnetou 3“ auf der Schreibmaschine abschrieb, sagt Josef Winkler. Gleich darauf fällt ein weiterer Schlagsatz: „Mein Thema ist der Tod.“

Die Geschichte, die Josef Winkler in der TV-Reihe „Menschenkinder“ erzählt, ist die seines Lebens. Und, er sagt es selbst so: seiner Erlösung. Die eine Ablösung war. Eine Befreiung durch die Sprache und zur Sprache. „Ich bin in einem völlig sprachlosen Dorf aufgewachsen“, sagt Winkler: „Es hat keine Bücher im Dorf gegeben.“ Die Mutter sagte: „Für Bücher haben wir kein Geld.“ Sie habe ihr Leben lang nur das Allernotwendigste geredet, mit dem Vater konnte er kaum sprechen. Im Dreieck zwischen ihnen und einer taubstummen Magd sei er aufgewachsen.

Die schützende Füllfeder

Auch heute, sagt Winkler gleich zu Beginn, habe er in der Gefahr stets seine Füllfeder in der Hand. Einst war es sein Bleistift, als Einjähriger schon habe er einen gehalten, weiß er. Die Tante Nane aus Vorarlberg hat ihm das erzählt, das weiß man aus seinem Text „Mutter und der Bleistift“, wie man überhaupt vieles aus seinen Büchern kennt oder zu kennen glaubt, doch so schlicht, so chronologisch packt es einen ganz neu. Zumal in dieser kargen Inszenierung: Die Kamera kennt einen einzigen Schwenk: hinunter, zu den Händen (mit Füllfeder); sonst hält sie am Gesicht fest. Eine Ohrenbeichte, nein, mehr: eine Augenbeichte. Winklers Augen lächeln selten, das erste Mal, als er sich erinnert, wie sein Vater sich seiner erbarmt, ihm fünf Schilling fürs Kino, für „Winnetou 1“ gegeben hat.

Der Kampf mit dem Vater, dem geliebten Todfeind, ist ein Leitmotiv dieses Lebens. Vor der indischen Statue eines Stiers – wohl arrangiert von Interviewpartner André Heller, der die ganze Sendung unsichtbar und unhörbar bleibt – erzählt Winkler mit ausgebreiteten Händen, wie er mit 19 dem Vater zurief: „Schlag mich, ich spür's nicht mehr!“

Nach Kuh und Milch habe der Vater gestunken, als er ihm die fünf Schilling gab. Nächste Geruchserinnerung: an Bücher. Von Karl May, schon wieder. In der „Pest“ von Camus dann hätten ihn die Ratten fasziniert, sagt Winkler – und findet abermals eine Assoziation mit dem Vater: wie er mit ihm Ratten getötet hat, damals. „Wie das Maul der Ratte aufgegangen, das Blut herausgeronnen ist, die Augen groß geworden sind, da haben der Vater und ich uns angelacht, da habe ich gemerkt, wie mich mein Vater eigentlich liebt.“

Am Ende kommt Winkler noch einmal auf die Sprache, aufs Schreiben, mit dem man den Teufel zähmen könne, wie er sagt. Und er belebt zwei Phrasen in einem Satz: „Der Teufel schläft nicht, beim Schreiben muss man ihn an die Wand malen.“ Harte Sendung.

Auf ORF III: heute, 2. 12., 20.15 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2015)

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