Die "Tatort"-Crew beim Therapeuten

Tatort:
Tatort: "Sternschnuppe"ORF
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Drehbuchautor Uli Brée würde die Austroermittler Bibi und Moritz gern verkuppeln. Die Episode "Sternschnuppe" ist lustig– und ein echtes Drama.

„Irgendwie ist so ein langweiliges Sexualleben beruhigend“, stellt Moritz Eisner während der Ermittlungen zum neuen Austro-„Tatort“ fest. Der Wiener Chefinspektor, dessen erotische Ausstrahlung irgendwo zwischen Bussibär und Horatio von „C.S.I. Miami“ angesiedelt ist, macht große Augen, als er mit Kollegin Bibi Fellner die Leiche inspiziert: Ein Musikmanager mit Vorliebe für exzentrische Sexualpraktiken hängt tot in einer Würgeschlinge. Sexunfall oder Mord? Die Frage treibt die Ermittler in die Praxis eines Sexualtherapeuten, der ungefragt analysiert. „Unser Verhältnis ist rein beruflich“, plustert Elsner sich auf. „Schade“, antwortet der Experte, sie „würden gut zusammenpassen“.


Essen statt Sex. Ab da lässt es Drehbuchautor Uli Brée („Vorstadtweiber“) zum ersten Mal zwischen den beiden knistern, die – typisch TV-Kommissare – einsam sind. Das ist eine bemerkenswerte Wendung in ihrem Verhältnis, das von freundschaftlicher Loyalität bis zum grantelnden Altes-Ehepaar-Gehabe reicht. „Ich fände es cool, die beiden mal ins Bett zu schicken“, frohlockt Autor Brée – aber für ein Schicksal à la Jane und Teresa in „The Mentalist“ (die sich durch sechs Staffeln turteln und ein Paar werden) wird es für die ruppige, aber herzliche Ex-Alkoholikerin Bibi (Adele Neuhauser) und den weichgespülten Einzelkämpfer Moritz (Harald Krassnitzer) wohl nicht reichen: Der Austro-„Tatort“ beweist mehr Realitätssinn als die überzeichnete US-Fiktion. Bibi und Moritz dürfen älter als in Hochglanz-Hollywood sein. Sie dürfen echte Schwächen haben und müssen nicht so cool tun wie ihr schießwütiger Kollege Nick Tschiller (Til Schweiger) aus Hamburg. Also begnügen sie sich (vorerst?) mit dem „Sex des Alters“ – und gehen essen . . . Nett ist der Film trotzdem nicht. Ganz im Gegenteil: Brée sorgt mit Regisseur Michi Riebl dafür, dass einem das Lachen über ungeschickte Flirts, vereitelten Sex (das Diensttelefon!) und übereifrige Assistenten (erfrischend: Thomas Stipsits) vergeht. Der Tote war fieser Juror einer Castingshow. Er entschied über Erfolg oder Misserfolg – und er nützte seine Macht über die jungen Leute bis zum Exzess aus. „Wenn man recherchiert, wie solche Shows ablaufen, ist das erschütternd“, erzählt Brée der „Presse am Sonntag“: „Wer da mitmacht, verschreibt denen für drei Jahre seine Seele und all seine Talente.“ Die titelgebende „Sternschnuppe“ – Sabrina Rupp als gebrochene Showfinalistin – ist ein Symbol für die vielen Gescheiterten. „Das ist alles recherchiert. Die Story ist nicht an den Haaren herbeigezogen.“


Emotionen auf Knopfdruck. Als Zuschauer kann man diesmal lachen und weinen. „Ich kann das steuern“, erzählt Brée. Bewusst überzeichnet er die Fähigkeit des Fernsehens, per Knopfdruck Emotionen zu schüren – etwa, wenn der fiktive Kanal7 den Kandidaten Aris (toll: Rafael Haider) in einem schmalzigen Video als Halbwaisen mit Talent und Herz inszeniert. Aris ist auch Aufhänger für die dritte inhaltliche Schiene: „dass man als Musiker in diesem kleinen Land keine Chance hat“. Er will es um jeden Preis schaffen. Der Vater, auch Musiker, hatte Drogenprobleme und starb. Mutter Samy (Ruth Bauer) schlägt sich als Gesangslehrerin und Barsängerin durch. Brée: „Man scheitert als Musiker oder kann nicht davon leben – und was tut man? Man unterrichtet andere, die dann auch nicht davon leben können.“

Er und Riebl bringen all das locker unter: Knistern, Show-Wahnsinn, Musiker-Elend. Die Schauspieler sind toll, die Story ist witzig-dramatisch. Wenn im Herbst der tausendste „Tatort“ gesendet wird, darf man erwähnen, dass Bibi und Moritz zu den Stars der Reihe gehören – und dieser „Tatort“ zu den besten.

„Tatort: Sternschnuppe“, Sonntag, 20.15 Uhr, ORF 2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2016)

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