„Wahrheit braucht Zeit“: Großes Echo auf Hayali-Siegesrede

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GERMANY-AWARDS-GOLDEN-CAMERA(c) APA/AFP/POOL (CHRISTIAN CHARISIUS)
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Die deutsche Journalistin wurde bei der Goldenen Kamera ausgezeichnet. Sie nutzte ihre Dankesrede, um sich gegen den Vorwurf der „Lügenpresse“ zu wehren.

Die Dankesrede von TV-Journalistin und -Moderatorin Dunja Hayali, die für ihre politische Berichterstattung ausgezeichnet wurde, am Samstagabend bei der Verleihung der Goldenen Kamera in Hamburg ruft in Deutschland großes Echo hervor. In ihrer mehr als vierminütigen Rede kritisierte die Moderatorin des ZDF-„Morgenmagazins“ zunehmende Hassbotschaften und rief zu mehr Toleranz auf. „Ich würde den Preis sofort zurückgeben, wenn ich die Situation in Deutschland damit ändern könnte“, sagte Hayali. Mehr als 215.000 Mal wurde der Clip auf YouTube bereits aufgerufen.

Ihre Freunde würden sie fragen, warum sie sich den Hass in Leserbriefen noch aussetze, erzählte die 42-Jährige. „Ich setze immer noch – vielleicht naiverweise – auf den Dialog“, sagte sie. „Mich interessieren andere Meinungen, andere Argumente, auch zur Selbstreflexion.“ Aber „was da abgeht, ist mit Verrohung von Sprache überhaupt nicht mehr zu beschreiben. Bedrohungen, Beschimpfungen, Beleidigungen, Vergewaltigungswünsche – keiner hört keinem mehr zu. Worte werden einem im Mund verdreht, aus dem Zusammenhang gerissen. Und wenn man nicht die Meinung des Gegenübers widerspiegelt, ist man ein Idiot, eine Schlampe, ein Lügner oder total ferngesteuert.“

Schlimm sei, dass sich dieser Hass auch aus den Online-Kommentaren und Leserbriefen auf die Straße verlagere. „Journalisten werden angegriffen“, sagte sie. Konkretes Beispiel nennt sie keines. Jüngst wurde aber ein Kamerateam bei einer Demo der rechtskonservativen Alternative für Deutschland (AfD) mit Pfefferspray angegriffen.

Hayali selbst sorgte mit einem Bericht über eine AfD-Demonstration in Erfurt im vergangenen Herbst für Aufsehen. Sie ließ ihre Gesprächspartner einfach reden. Trotzdem wurde ihr Zensur- und Manipulation vorgeworfen. Das ZDF-„Morgenmagazin“ veröffentlichte auf Facebook anschließend das gesamte Interviewmaterial, um die Vorwürfe zu entkräften.

"Wir sind Journalisten, keine Übermenschen"

Auch als Privatperson wurde Hayali bereits attackiert. Nach dem Einkaufen habe ihr vor Kurzem jemand ins Gesicht „du Lügenpresse, du Lügenfresse“ geschrien, schilderte sie in der Rede. „Glaubt eigentlich irgendjemand, dass das irgendetwas bringt, dieser ganze Hass?“ fragte sie. „Bei dem Suchen nach Lösungen, bei dem Ringen um Kompromisse, bei der Art der Berichterstattung über Flüchtlinge?“ Sie forderte das Publikum auf: „Streiten Sie mit uns, diskutieren Sie mit uns! Weisen Sie uns auf Fehler hin. Wir sind Journalisten, wir sind keine Übermenschen, wir machen Fehler. Deswegen sind wir aber noch lange keine Lügner.“

„In einem Land, in dem Meinungsfreiheit so ein hohes Gut ist, darf und muss jeder seine Sorgen und Ängste äußern, ohne gleich in die rechte Nazi-Ecke gestellt zu werden“, sagte sie. „Aber wenn Sie sich rassistisch äußern, dann sind Sie verdammt noch mal ein Rassist. Fertig. Und das müssen Sie auch ertragen können.“ Sie habe nur eine Bitte, sagte sie: „Seien Sie offen. Bleiben Sie fair. Differenzieren Sie. Wahrheit braucht einfach Zeit.“ Ihre Eltern hätten ihr beigebracht, andere zu respektieren und Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion zu helfen, so die Journalisten, deren Eltern aus dem Irak stammen.

Für ihre Rede bekam Hayali Standing Ovations – und viel Lob in den sozialen Netzwerken und in deutschen Medien. Sie habe ihre Rede „zu einem bewegenden politischen Statement“ gemacht, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ in einem Bericht, dessen Titel „Beste Rede“ lautete.

Doch jene, die der Journalistin vorwerfen, Teil der „Lügenpresse“ zu sein, ließen sich von ihren Worten nicht beeindrucken. Unter dem Video der Rede auf YouTube wird die Journalistin als „Systemhure“ beschimpft, auch auf Twitter werden weiter Hassbotschaften an Hayali gerichtet.

Debatte um altes Facebook-Posting

Immer wieder wird dabei auf einen alten Facebook-Post der Journalistin verwiesen: Im Juli 2014 postete sie eine Grafik, die zeigt, wie sich die Gebietsgrenzen von Palästina und Israel zwischen 1946 und 2000 verschoben haben. Wegen dieses Posts wird ihr nun Antisemitismus vorgeworfen.

Mehrfach betonte die Journalistin im Text zum Posting, dass die Grafik nicht ihre Sicht wiederspiegle, sondern Anstoß zur Diskussion sein solle. „Mir liegt es fern, dem Staate Israel sein Existenzrecht abzusprechen, noch gibt es einen Funken Antisemitismus in mir“, schreibt sie in einem Nachtrag zum ursprünglichen Post. „Ich war oft in Israel und schätze die Kultur und die Menschen sehr. ich wollte mit der Karte kein Öl ins Feuer gießen. Das es nun doch so gekommen ist, tut mir leid.“

"Das ist Haltung, das ist Mut"

Auch nun – durch die mediale Aufmerksamkeit, die ihre Rede erweckt hat – wird der Post wieder heiß diskutiert. Die Journalistin selbst antwortet auf die Kommentare auf ihrer Seite. Da passt es, was Hayalis Laudator, der Comedian Michael Mittermeier bei der Preisverleihung zur Journalistin sagte: "Dass du trotz all dem Wahnsinn, der da geschrieben wird, weitergehst ohne Hass im Herzen: das ist wichtig. Dass du trotzdem alle Meinungen zulässt: das ist Haltung, das ist Mut und das brauchen wir in Deutschland."

(Red.)

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