Böhmermann hat sich in Österreich strafbar gemacht

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Freiheit der Meinungsäußerung heißt nicht Beschimpfungsfreiheit - eine These.

Das Ansehen eines Menschen ist wie der Flügel eines Schmetterlings: Jede Beschädigung fällt leicht, ist aber irreparabel, da es sich um ein besonders heikles Rechtsgut handelt, was in Shakespeares „Othello“ großartig auf den Punkt gebracht wird: „Doch wer den guten Namen mir entwendet, der raubt mir das, was ihn nicht reicher macht, mich aber bettelarm.“

Wie wäre Jan Böhmermanns Schmähangriff, dessen Inhalt auf Wikipedia nachzulesen ist und hier nicht wiederholt werden soll, gegen den türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, nach österreichischem Recht zu beurteilen? Darf – echte oder vermeintliche – Satire, wie manche Zeitungskommentare vermuten lassen, alles?

Vorweg sei ein verbreitetes Missverständnis ausgeräumt, das durch eine falsche Übersetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Österreich Verfassungsrang hat, im Bundesgesetzblatt ausgelöst wird: Art. 10 EMRK schützt nicht bloß Meinungen, sondern „expressions“ aller Art, somit auch das Verlesen einer Strafregisterauskunft oder das Stören einer Fuchsjagd durch Trompetenblasen.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 10 müssen Menschen, die die öffentliche Bühne betreten haben, insbesondere Politiker, deutlich mehr an Angriffen ertragen als andere. Legendäre Beispiele sind etwa die Bezeichnung von Jörg Haider als „Trottel“ oder die zeichnerische Darstellung von Walter Meischberger, wie er auf Mutter Teresa ejakuliert: In beiden Fällen hatten die österreichischen Gerichte den Betroffenen noch recht gegeben, was dann aber vom EGMR jeweils als Verletzung des Grundrechts auf freie Äußerung erachtet wurde (20834/92; 68354/01). Diese Erosion des Persönlichkeitsschutzes ist mittlerweile weit fortgeschritten und nunmehr auch fester Bestandteil der österreichischen Rechtsprechung; so hat der Oberste Gerichtshof der Sache nach eine Karikatur gebilligt, in der Heinz-Christian Strache als „Arsch mit Ohren“ bezeichnet wurde (15 Os 10/08x).

Art. 10 ist jedoch nicht schrankenlos, weil gemäß Abs. 2 das Recht auf Freiheit der Äußerung unter bestimmten Voraussetzungen „for the protection of the reputation [. . .] of others“ eingeschränkt werden darf. Diese Gelegenheit hat der Gesetzgeber vor allem durch die Schaffung der strafrechtlichen Ehrenbeleidigungstatbestände genutzt.

Klarer Fall einer Beschimpfung

Böhmermanns Schmähangriff verwirklicht ohne jeden Zweifel den Tatbestand der Beschimpfung. Fraglich ist nur, ob seine Äußerungen nicht angesichts der Rechtsprechung des EGMR dennoch zulässig sind: Immerhin ist Erdoğan Politiker, und Böhmermann hat seiner Tirade die Bemerkung vorangestellt, dass diese verboten sei.

All das ändert aber meiner Ansicht nach nichts daran, dass er sich in Österreich strafbar gemacht hätte: „Freedom of expression“ bedeutet nicht Beschimpfungsfreiheit, und sein Versuch, sich selbst vor rechtlicher Verfolgung zu immunisieren, ist nur eine primitive Variante des uralten Kunstgriffs, das Ansehen eines anderen unter dem Deckmantel vermeintlich ehrlicher Absichten zu beschädigen. Das bedeutet natürlich nicht, dass Erdoğan oder andere Politiker nicht Gegenstand satirischer Verspottung werden dürfen; aber wenn ein Zusammenhang mit dem öffentlichen Wirken des Geschmähten kaum erkennbar ist oder, wie meines Erachtens hier, nur künstlich fingiert wird, um diesen herunterzumachen, werden die Grenzen des Grundrechts überschritten.

Die Beleidigung fremder Staatsoberhäupter ist übrigens in Österreich – anders als in Deutschland – nicht speziell geregelt; hier greifen die allgemeinen Vorschriften über die Ehrenbeleidigung. Das bedeutet, dass die Verfolgung Böhmermanns allein in der Hand Erdoğans läge (Privatanklagedelikt). Er würde dafür auch keine Ermächtigung der Regierung benötigen.

Böhmermann hätte sich übrigens nicht, sondern hat sich in Österreich strafbar gemacht: Die TV-Sendung, in der seine Äußerungen veröffentlicht wurden, war auch in Österreich abrufbar, und zur üblen Nachrede hat das Oberlandesgericht Wien (17 Bs 149/06w) bereits judiziert, dass diese auch derart in Österreich begangen werden kann, dass zwar die physische Handlung nur im Ausland gesetzt wird, der Gefährdungserfolg aber in Österreich eintritt. Für eine Beschimpfung kann nichts anderes gelten.

Wahrscheinlich wird Böhmermann hier dennoch nicht vor Gericht kommen: Eine mehrfache Verfolgung oder gar Bestrafung wegen derselben Tat wäre unzulässig.

ZUR PERSON


Dr. Michael Rami ist Partner bei Gheneff Rami Sommer Rechtsanwälte.

Jan Böhmermann trug am 31. März in seiner Satire-TV-Show ein vulgär beleidigendes Gedicht über den türkischen Präsidenten Erdoğan unter dem Titel „Schmähkritik“ vor. [ APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2016)

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