„Gomorrha“: Wie die Mafia in der Praxis funktioniert

Ciro (Marco D'Amore, vorn links) und Conte (Marco Palvetti, r.) wollen das Drogengeschäft umkrempeln.
Ciro (Marco D'Amore, vorn links) und Conte (Marco Palvetti, r.) wollen das Drogengeschäft umkrempeln.(c) Sky
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Zwei Jahre nach der ersten startet nun die zweite Staffel der italienischen Mafiaserie „Gomorrha“ über das organisierte Verbrechen in und um Neapel: dreckig, dramatisch, realistisch. Sie hat nichts an Brisanz eingebüßt.

Wenn die Camorra in Neapel eine neue Lieferung Drogen bekommen hat, so wurde der Autorin dieser Zeilen jüngst aus verlässlicher Quelle zugetragen, dann veranstaltet sie ein Feuerwerk. Um die Kunden wissen zu lassen, dass frische Ware angekommen ist. Natürlich bekommen das andere ebenfalls mit. Auch die Polizei. Es zeugt vom Selbstbewusstsein der Familienclans, die das organisierte Verbrechen bestimmen, dass ihnen das egal zu sein scheint. Überhaupt: Schutzgeldzahlungen und brutale Überfälle sind Alltag, ja selbst Morde in Süditalien nichts Außergewöhnliches. Erst vor Kurzem wurde wieder ein Mafiaboss – vom Motorrad aus, wie man es aus dem Fernsehen kennt – erschossen. Einige Kinder wurden Zeugen, das sorgte dann doch für Schlagzeilen. Empört waren auch viele, als der Sohn des sizilianischen Paten Totò „Die Bestie“ Riina Anfang April im staatlichen Fernsehsender RAI zur besten Sendezeit für sein Buch warb.

Das Verhältnis zur Mafia: Es ist längst nicht so distanziert, wie das offizielle Italien das gern hätte. In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Lage – trotz neuer Gesetze – nicht wesentlich verbessert, sagte der Autor Roberto Saviano bei der Vorstellung der zweiten Staffel der Fernsehserie „Gomorrha“ am Montag in Rom.

„Gomorrha“ basiert auf Savianos gleichnamigem Roman, seit dessen Erscheinen der Autor unter Polizeischutz steht. Die Geschichte über einen kriminellen neapolitanischen Familienclan gehört zu den derzeit besten europäischen Serienproduktionen. Ihre große Herausforderung, Protagonisten zum Mitfühlen zu entwickeln, aber keine Helden zu erschaffen und das Verbrechen nicht anziehend wirken zu lassen, gelingt durchwegs. Staffel zwei beginnt hässlich: Der Sohn des Savastano-Clans, Gennaro (Salvatore Esposito), wird schwerst verletzt ins Krankenhaus gefahren. Die Kamera schwebt die gesamte Fahrt über seinem blutverschmierten Kopf. Sein Kontrahent, der Emporkömmling Ciro di Marzio (Marco D'Amore), wurde zu Beginn der Serie als Alter Ego seines Schöpfers gezeichnet, aber auch er eignet sich nicht für die Rolle des weißen Ritters. In Folge eins der neuen Staffel tötet er vier Menschen.

Pervertierte Form des Kapitalismus

Die grundlegenden Konflikte sind nicht neu: Es ist die alte Geschichte vom Aufstieg und Fall der Mächtigen. Ein Clan geht unter, ein anderer entsteht. Als Handlungsmotivation dient immer Geld. Eine pervertierte Form des Kapitalismus, wenn man so will. Während in Staffel eins noch ein Oberboss über viele Untergebene – wie in einem Großkonzern – herrschte, soll in Staffel zwei das System selbst geändert werden. Ciro und sein Companion – der aalglatte Salvatore Conte (Marco Palvetti) ist mit seiner E-Zigarette und seinen langen Haaren Abziehbild eines modernen Verbrechers – führen eine Art Franchisemodell ein. Sie verkaufen ihre Waren an Abnehmer, die ihrerseits eigene Verkaufsstellen leiten. Eine Handelsgemeinschaft, eine Art „United States of Neapel“, schwebt Ciro vor. Es sind genau solche Geschichten darüber, wie die Mafia in der Praxis funktioniert, die Saviano in seinen Romanen beschrieb und mit denen er die Camorra verärgerte.

In den ersten beiden Folgen von Staffel zwei hat „Gomorrha“ nichts von dem realistischen, dreckigen Look, der die Serie von anderen Produktionen abhob, eingebüßt. Manchmal ist sie einen Tick zu dramatisch inszeniert. Staffel drei und vier sind bereits in Planung, und auch „ZeroZeroZero“, Savianos Abhandlung über den globalen Kokainhandel, wird demnächst als Serie umgesetzt. Der Autor schätzt das Format Serie. Man könne sich mehr entfalten als in einem Film, sagt er. Neapel diene als Modell für eine Verbrecherorganisationen, wie es sie auf der ganzen Welt gibt, sagt Saviano. „Aber Italien hat das Wissen und die Erfahrung, diese Geschichten zu erzählen.“ Was ihm Sorgen mache, sei, dass das Verbrechen in seinem Heimatland zu wenig thematisiert werde, weil die Menschen Angst hätten, dem Image des Landes zu schaden – und es dadurch so wirkt, als würden sie es dulden. Es sei wieder stiller geworden um das Thema, glaubt er. „Dabei ist Schweigen der größte Fehler.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2016)

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