Höllentrip vom College in die Zelle

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Der Abo-Sender Sky zeigt das achtteilige Crime-Drama „The Night Of“: Ein Student gerät – unschuldig? – in die Mühlen der US-Justiz. Spannend, sehr genau, bedrückend – und top besetzt.

Fassungslos starrt Nasir auf die Gesundheitsschuhe des Mannes, der sich eben in seine Zelle gezwängt hat. Aus den ausgetretenen Sandalen an den Füßen des Anwalts ragen ungepflegte, von Neurodermitis entstellte Zehen. Nasir, ein intelligenter, wohlerzogener, schüchterner College-Student mit pakistanischen Wurzeln, kann nicht glauben, was er da sieht – schon gar nicht, dass er wegen angeblichen Mordes verhaftet ist. Er wollte doch nur auf eine Party, doch dann befindet er sich auf einer Höllenfahrt, die ihn auf die New Yorker Gefängnisinsel Rikers Island führt – und zwischen die Räder einer selbstgefälligen Justiz, für die die Wahrheit weniger zählt als eine gute Story, die man der Öffentlichkeit und den Geschworenen auftischen kann . . .

Der Plot der neuen achtteiligen HBO-Miniserie „The Night Of“ basiert lose auf der preisgekrönten BBC-Krimiserie „Criminal Justice“ (2008) von Peter Moffat – und ist doch eine spannende, sehr aktuelle Version des Krimi-Dramas, in dem man nicht weiß, was nun wahr und was falsch ist (nicht einmal Nasir ist sich ganz sicher, weil er an einem Blackout leidet). Zugeschnitten auf die Zustände in New York City, geht es hier nicht nur darum, die Schwächen des US-Justizsystems aufzuzeigen.

Alltagsrassismus in New York

In „The Night Of“ zeigt sich Alltagsrassismus, der – auf allen Seiten – zum System geworden ist: Schwarze pöbeln Nasir auf der Straße als „Mustafa“ an, gleichzeitig will ihn seine pakistanische Mutter nicht auf die Party der schwarzen College-Kollegen gehen lassen. Die durchwegs schwarzen Polizisten, die in der Lower Eastside (wo das Opfer wohnte) Dienst tun, behandeln den aus dem Multikulti-Bezirk Queens stammenden Nasir schon vor dem ersten Verdachtsmoment (sie halten ihn wegen einer Lappalie an) wie einen Verbrecher. Dass Anwälte und Richter weiß sind, ergänzt das Bild.

Das Tempo ist langsam, erzählt wird sehr genau. Stimmungen dürfen sich ausbreiten. Persönlichkeiten können sich entwickeln – bis hin zu kleinen Nebenrollen wie jener Polizistin, die Nasir auf die Polizeistation schleppt, weil das eben ihr Job ist, und für die diese Begegnung nichts ist als lästige Schreibarbeit. Die Kamera schärft durch unscharfe Aufnahmen immer wieder die Aufmerksamkeit: Die junge Frau, die auf dem Rücksitz des Taxis Platz nimmt, das sich Nasir für seine Fahrt zur Party ungefragt vom Vater „ausgeborgt“ hat, ist zunächst nur als Augenpaar im Rückspiegel zu sehen: Ein flehender Blick, eine einnehmende Stimme und die Bitte, sie „zum Strand“ zu bringen, lassen Nasir keine Wahl . . .

Nach dem Fantasy-Dauerbrenner „Game of Thrones“ setzt HBO mit „The Night Of“ auf das Genre Crime-Drama. Das Drehbuch schrieben Steven Zaillian („Schindlers Liste“, „Mission: Impossible“) und Richard Price („The Wire“). James Gandolfini, der sich als Tony Soprano durch die gleichnamige Mafia-Serie zu Weltruhm zwängelte, sollte den abgehalfterten Anwalt Jack Stone spielen – eine Folge war bereits gedreht. Nach Gandolfinis Tod folgte John Turturro (Cannes-Preisträger für „Barton Fink“).

Ein lustloser Rechtsvertreter

In leicht gedrückter Haltung schlurft er durch die Szenerie und raubt seinem Klienten mit sarkastischem Humor jede Illusion, dass Gut und Böse Werte sind, auf die man hier noch pochen könnte. Eigentlich hat dieser Rechtsvertreter ohnehin keine Lust mehr. „Wissen Sie, was die behaupten, dass ich getan habe?“, fragt Nasir ihn bei der ersten Begegnung. „Ist mir egal!“, sagt Stone und zuckt die Schultern. Als er hört, dass „dieses Kind mit den großen Augen“ ein Mörder sein soll, beschließt er doch, den Fall anzunehmen.

Rizwan Ahmed (Künstlername: Riz MC) gibt Nasir alle Facetten, die diese unglückliche Figur ausmachen: Er ist der freundliche Junge, der ungebetene Gäste mit einem „Thank you“ aus dem Taxi des Vaters befördert (und als Quittung ein „Fuck you!“ kassiert). Er lässt sich mit großen Augen auf das Abenteuer mit der Unbekannten (Sofia Black D'Elia) ein, die ihn erst zu Drogen, dann zu Spielen mit dem Messer und zum Sex verführt. Er erscheint wie paralysiert, während er den Polizisten zusieht, wie sie quälend langsam den Tatort inspizieren und er unerträglich lange auf sein Verhör wartet. Und er wird auf Rikers Island so verhärtet und unzugänglich, wie es alle Insassen dort sind. Dieser Wandel geht ganz unspektakulär vor sich und wirkt dadurch umso eindringlicher – wie ein schlimmer Albtraum.

Über die Serie

„The Night Of“ basiert auf der BBC-Serie „Criminal Justice“ von Peter Moffat. Das Drehbuch für die HBO-Miniserie (acht Teile) stammt von Steven Zaillian („Schindlers Liste“) und Richard Price („The Wire“). Zunächst war James Gandolfini („The Sopranos“) für die Rolle des Anwalts vorgesehen – nach dessen Tod spielt nun John Turturro an der Seite von Rizwan Ahmed (als Verdächtiger).

Zu sehen ist „The Night Of“ auf Sky On Demand, Sky Go, Sky Online (OV) und ab 29. 9. auf Deutsch (Sky Atlantic HD).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2016)

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