So traurig kann Komik sein

BoJack Horseman
BoJack Horseman(c) Netflix
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In den USA sprechen die Kritiker schon von Sadcom: In „BoJack Horseman“ ist die Depression kein Beiwerk. Ab heute kann die dritte Staffel gestreamt werden.

Kann man seinem Selbst entkommen, oder ist man dazu verdammt, immer wieder dieselben Fehler zu machen? Gibt es einen Ausweg aus der Unglücksspirale, oder ist das Leben nichts als eine Reihe sich schließender Türen? Das sind Fragestellungen, die man nicht unbedingt mit Fernsehunterhaltung assoziiert. Am allerwenigsten rechnet man aber damit, dass eine alberne Animationsserie über anthropomorphe Tierwesen diese Themen mit Erfolg zum inhaltlichen Leitmotiv erklärt – und genau das macht die Netflix-Produktion „BoJack Horseman“, deren dritte Staffel ab heute gestreamt werden kann, so interessant.

In den USA genießt „BoJack“ Kultstatus, doch als die Serie im August 2014 begann, hatte niemand auf sie gewartet. Das Marketing versprach eine zwangsoriginelle Kreuzung aus „Californication“ und „Family Guy“, und die ersten Folgen scheinen dieses Bild zu bestätigen: Der pferdeköpfige Titelheld, ein abgehalfterter Sitcom-Star mit Hang zu Alkoholexzessen und zynischen Sprüchen, laviert Absurditäten des Alltags und popkulturelle Anspielungen in einer von Menschen und menschenähnlichen Tieren bevölkerten, quietschbunt-knuffigen Los-Angeles-Karikatur. Abseits des anthropomorphen Gimmicks hat man das so oder so ähnlich schon etliche Male gesehen, aber die dunklen Schattierungen der Show treten von Episode zu Episode deutlicher hervor: BoJack verdrängt traumatische Kindheitserinnerungen, leidet an Depressionen, ist als narzisstischer Ungustl eher beziehungsunfähig und hadert mit seinem unerfüllten Dasein. Er kann sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal wirklich glücklich war, und seinen Mitmenschen und -tieren – der pinkfarbenenen Katzenagentin Princess Carolyn, BoJacks Ghostwriterin Diane, sogar seinem naiven Strahlemann-Widersacher, dem schauspielenden Labrador Mr. Peanutbutter – geht es nicht viel besser.

Werbung für „Urban German Bourbon“

Was nicht heißen soll, dass die Sendung keinen Humor hat, im Gegenteil – sie erfüllt alle Kriterien einer guten Sitcom. Spöttische Schlagabtäusche zwischen markanten Figuren sorgen für schwungvolles Erzähltempo, und es gibt regelmäßig Abstecher ins Satirische: Aufs Korn genommen werden die Scheinheiligkeiten Hollywoods, der mediale Umgang mit Promi-Skandalen oder die unlösbaren Dilemmata von Tierethik. Die Gag-Dichte ist hoch: im Dialog, der seine Bissigkeit mit absurden Sprachspielereien auflockert (BoJack macht Werbung für „Urban German Bourbon“) ebenso wie im Bild, wo keine Gelegenheit ausgelassen wird, um sich ein ulkiges Rand- und Hintergrundspäßchen auf Kosten der Tierhaftigkeit des Serienuniversums zu genehmigen – das reicht von „tierischen“ Verwurstungen berühmter Gemälde bis zu rasenmähenden Schafen.

Die Sprecherliste liest sich wie ein Who's who der zeitgenössischen US-Comedy-Landschaft: Neben Will Arnett als BoJack brillieren Patton Oswalt, Amy Sedaris und Paul F. Tompkins in verschiedenen Rollen, hinzu kommen mehr oder weniger subtile Gastauftritte von Leuten wie Stephen Colbert, Naomi Watts oder Daniel Radcliffe (die Synchronfassung ist nicht zu empfehlen).

In dieser lockeren Grundatmosphäre stechen die sauren Gurken auf dem Witzefließband besonders hervor. Viele Folgen enden auf einer existenziellen Note, der Erkenntnis einer tief gehenden Einsamkeit oder dem Scheitern eines Versuchs, Dinge besser zu machen. Die amerikanische Kritik hat diese Mischung aus klassischer TV-Komik und radikaler Bitternis Sadcom getauft – weitere Vertreter wären etwa „Louie“ oder die Sci-Fi-Groteske „Rick and Morty“. Natürlich sind finstere Weltbilder oder kaputte Figuren im Fernsehen nichts Neues, auch nicht im Bereich der Komödie: Die gnadenlose Misanthropie von „Seinfeld“ wurde von irrwitzigen Plot-Verstrickungen nur notdürftig kaschiert, und die frühen „Simpsons“ haben sich oft in seelische Abgründe vorgewagt.

Das Neue an der Depri-Komik-Welle ist, dass die Traurigkeit kein Subtext mehr ist, sondern Text – und dass sie ernst genommen wird, ganz im Sinn der desillusionierten Publikumsgeneration, die sich in diesen Serien spiegelt. BoJacks Depression ist kein Beiwerk, sie steht im Fokus der emphatischen TV-Psychotherapie: Rückblenden falten die Ursachen auf, mögliche Lösungsansätze werden durchprobiert und verworfen, langsam bahnt sich trotz Rückschlägen eine Entwicklung zum Positiven an. „Man muss sich jeden Tag anstrengen, aber es wird leichter“, heißt es am Ende der zweiten Staffel. Fast schon eine Botschaft wie in alten Sitcoms: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2016)

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