Medien: Feind des Terrors – und Werkzeug zugleich

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Mehrere französische Medien zeigen keine Bilder der Attentäter mehr, manche verschweigen auch die Namen: über Aktionen gegen den „Ruhm“ der Täter und das Attentat als kulturelles Drehbuch.

„Nennt ihn nur Feigling!“, forderten Amerikaner vor vier Jahren nach dem Massaker in einem Kino in Aurora. Wozu den Täter beim Namen nennen, wozu sein Gesicht zeigen? Sie wussten, dass der Amokläufer genau diese Art von „Ruhm“ gesucht hatte, wie so viele vor ihm, und dass dieser „Ruhm“ künftige Amokläufe fördern würde. Wie auch der Norweger Anders Behring Breivik den Attentäter in München mit inspiriert hat, der vor einer Woche, am fünften Jahrestag des Amoklaufs, zugeschlagen hat. Möglichst viele sollten seinen Namen kennen, wollte Breivik seinerzeit, möglichst viele seinen Namen googeln – auch, um dadurch zu seinem „Manifest“ über die Verteidigung des Abendlands zu gelangen.

2012 erklärten also in den USA Einzelpersonen, Medien und selbst Präsident Obama, den Namen des Amokläufers nicht erwähnen zu wollen. Die Initiative ging vom Bruder eines Opfers aus, seine Ankündigung verbreitete sich auf den sozialen Netzwerken, viele Tausende taten es ihm gleich, Nachahmungstäter – aber nicht der blutigen Art. Der Science-Fiction-Autor David Brin schlug sogar lächerliche Ersatznamen als Strafe vor.

Ein Tropfen auf dem heißen Stein

Die kollektive Aktion war symbolisch beeindruckend, in der Wirkung freilich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. In Frankreich haben sich nun etliche Medien in bescheidenerem Ausmaß zu mehr Selbstzensur entschlossen, auch hier hat ein Einzelner es (mit)ausgelöst: Nach der Ermordung eines 86-jährigen Priesters in einer Kirche von Saint-?tienne-du-Rouvray durch zwei Islamisten forderte am Dienstag der politisch und publizistisch daueraktive Philosoph Bernard-Henry Lévi auf Twitter, es brauche eine „große Übereinkunft“ zwischen den Medien: Diese sollten künftig weder Namen noch Bilder noch biografische Informationen über die Jihadisten preisgeben.

So weit ist ihm – unter Verweis auf die Informationspflicht – zwar kein großes Medium des Landes gefolgt, dennoch scheint der Aufruf zur Selbstzensur gewirkt zu haben. Am Mittwoch erklärte der Chefredakteur von „Le Monde“, Jérôme Fenoglio, seine Zeitung werde keine Bilder und Videos mehr von den Terroristen veröffentlichen – als wichtig erachtete Informationen allerdings sehr wohl („Die Presse“ berichtete). Dazu gehören für „Le Monde“ auch die Namen der Terroristen. Die katholische Tageszeitung „La Croix“ nennt nur noch Vorname und Initial des Nachnamens, der Fernsehsender Europe 1 überhaupt keine Namen mehr, beide verzichten auf Bilder. Eine Petition auf change.org fordert ein Mediengesetz, das den Verzicht auf Fotos, Namen und Details zur Pflicht macht. Gleichzeitig wird heftig diskutiert, es hagelt auch Polemik, unter anderem von der Front-National-Politikerin Marion Maréchal-Le Pen und anderen Politikern ihrer Partei. Häufigstes Argument: Die Selbstzensur sei nur ein Vorwand – in Wahrheit wolle man damit die Verbindung zwischen Attentaten und Einwanderung verschleiern . . .

„Ruhm“ der Attentäter, einst und jetzt

Doch an das schon in den USA geforderte totale Verschweigen der Namen denken ohnehin die wenigsten. Vor allem die Wirkung der Bilder will man eindämmen, die Selbst- und Gewaltdarstellung der Islamisten, die Emotionalisierung. Ihre Hoffnung auf „Ruhm“ kann man dabei freilich kaum durchkreuzen, dieser kommt ohnehin durch soziale Netzwerke – auf die jene, die Selbstzensur überlegen, gar keinen Einfluss haben. Ein wesentlicher Unterschied zu früheren Zeiten. Für den schwäbischen Amokläufer Ernst August Wagner, der 1913 seine Familie und ein Dutzend weitere Personen umbrachte, wäre eine Damnatio memoriae durch die Zeitungen tatsächlich noch eine Strafe gewesen – immerhin repräsentierten diese die Welt, der er in Erinnerung bleiben wollte; es gab praktisch keine andere Öffentlichkeit. Für den Attentäter auf Studentenführer Rudi Dutschke und den Mörder John Lennons waren die etablierten Medien ebenfalls entscheidend, sie hofften, durch ihre Berichte ein Jemand zu werden. Für Terrorattentäter und deren Nachahmer hingegen sind die westlichen Medien verachtetes Feindesland.

Das Attentat als einladendes Skript

Aber immerhin ein Werkzeug, um Schrecken zu verbreiten – je mehr Schreckensbilder, desto wirksamer. Hierin haben Medien in aller Welt in den vergangenen Jahren dazugelernt. Was etwa französische Medien soeben entschieden haben, ist, wie auch der Chefredakteur von „Le Monde“ geschrieben hat, ein Ergebnis vieler Diskussionen seit den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ im Jänner 2015. Und nicht nur der Eindruck der vergangenen Wochen, auch statistische Untersuchungen im Buch „Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus“ zeigen: Ob in den USA oder in Finnland (nach mehreren Schul-Amokläufen), das Gewicht der Berichterstattung hat sich hin zu den Opfern verschoben.

Vernachlässigt wird hingegen nach wie vor die Gefahr einfacher Erklärungen: Egal, ob Amoklauf oder Terrorattentat, sie funktionieren mittlerweile wie eine Art kulturelles Drehbuch. Je gröber dabei die Deutungsmuster für die Tat, die präsentiert werden (wie etwa Mobbing bei Schul-Amokläufern), desto größer die Einladung, sich mit den Tätern zu identifizieren, die Schablone zu übernehmen – und in der Folge deren „Lösungen“. „Es ist erschreckend, wie ähnlich Eric mir war. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich sein Leben noch einmal leben“, schrieb der Schul-Amokläufer von Emsdetten über einen der Amokläufer an der Columbine High School. Fragt sich nur: Wer hat ihm dieses Bild geliefert?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2016)

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