Mord als Medienmarke

Drei Magazine, eine Idee: Kriminalberichterstattung soll Auflage bringen.
Drei Magazine, eine Idee: Kriminalberichterstattung soll Auflage bringen.(c) Die Presse/Clemens Fabry
  • Drucken

Die Krimibranche boomt, weil Verbrechen fasziniert. Drei Crime-Magazine sind seit Sommer 2015 neu erschienen. Auch die „Krone“ will profitieren.

Im Innern des Menschen ist neben dem Guten auch das Böse zu Hause, neben dem Moralinstinkt lauert der Todestrieb, und abseits der positiven Seiten tun sich seelische Abgründe auf.“ Gerichtspsychiater Reinhard Haller, der unter anderem Jack Unterweger und Franz Fuchs begutachtet hat, hat sich zeit seines Berufslebens mit den Abgründen der Seele beschäftigt – und gibt in einem Beitrag für die Erstausgabe des neuen „Krone“-Magazins, „Verbrechen“, vergleichsweise knapp ein paar Überlegungen wieder, die in Zitaten gipfeln wie: „Der Mensch neigt zum Verbrechen.“ Was aber fasziniert alle anderen – die, die die Grenze zur Gewalt nicht übertreten – so sehr daran? Die Krimiindustrie boomt, in der Literatur ebenso wie im Kino und TV. Der „Tatort“ findet jede Woche ein Millionenpublikum, die TV-Stationen erfinden immer neue Krimireihen. „Das Verbrechen bleibt erschreckend und bedrückend“, schreibt Haller, es sei „abstoßend und faszinierend zugleich“.

Eine Faszination, die der Boulevard seit jeher für sich zu nützen weiß. Hier werden Kriminalfälle breit ausgewalzt, werden immer wieder die Grenzen des guten Geschmacks überschritten, nicht selten der Presse-Kodex, manchmal auch das Gesetz verletzt. Das ist nicht neu. Die Kriminalberichterstattung samt hyperventilierendem Boulevard hat eine lange Geschichte.

Lieber echte Morde als „Mysteries“. 1924 kam in den USA ein neues Produkt auf den Markt: „True Detective Mysteries“ – ein Magazin, das zunächst fiktive Krimis mit einem Mix aus aktueller Kriminalberichterstattung mischte. Da sich die Leser aber vor allem für die wahren Fälle interessierten, verschwanden die „Mysteries“ aus dem Titel, die von Autoren ausgedachten Geschichten aus dem Heft – und das erste Crime-Magazin verkaufte mit Storys über echte Täter und ihre Opfer zwei Millionen Stück pro Monat. Ein wahrer Boom an Titeln, die sich mit Mord und Totschlag beschäftigen, sollte folgen – erst das Aufkommen billiger Taschenbuchromane und vor allem des Fernsehens machte den Verlegern einen Strich durch die Rechnung. „True Detective“ hielt sich lang – 1995 wurde es aber auch eingestellt.

Ganz ausgestorben ist das Genre freilich nicht. Auf dem deutschsprachigen Markt sind innerhalb nur eines Jahres sogar drei neue Hefte auf den Markt gekommen: Im Sommer 2015 lancierte Gruner+Jahr den „Stern“-Ableger „Crime“: Ein in der Aufmachung ruhiges, von Schockfotos weitgehend (aber nicht ganz) verschontes Blatt mit gut geschriebenen Reportagen und einer Coverstory über „Die Witwe“. Die Staatsanwältin warnte die Geschworenen vor der mädchenhaft und scheu auftretenden Männermörderin Estibaliz C.: „Lassen Sie sich nicht täuschen!“ Sie symbolisiert, was Verbrechen auch so faszinierend macht: Man kann nicht glauben, dass so jemand zu einer grauenvollen Tat fähig ist.


Kochtipps für Kannibalen. Der zweite Newcomer des Jahres hat seine Wurzeln in der Hochburg der Yellow Press: in Großbritannien. Im Jänner 2016 erschien die erste deutschsprachige Ausgabe des „Real Crime“-Magazins, das Mordfälle (wie die vielfach verfilmte Story des Zodiac-Killers, der bis heute unerkannt ist) mit Fantasie nacherzählt (z. B. Gedankengänge der Mordopfer beisteuert). Ein Schwerpunkt der Septembernummer gilt dem Kannibalismus – samt Warnhinweis, welchen Gefahren man sich aussetzt, wenn man auf die Idee kommt, es einmal probieren zu wollen: Verletzungsgefahr (man muss die Beute ja auch erlegen), „schrecklicher Gestank“ (aus den Eingeweiden) und ein „Küchenalbtraum“ („Wüssten Sie, wie man eine Bauchspeicheldrüse zubereitet?“). Humor ist Geschmackssache – passt aber nicht in das Umfeld echter Gräueltaten.

Nun schreibt also auch die „Krone“ in einem eigenen Heft „Wahre Geschichten über das Böse“ (so der Untertitel des Ablegers „Verbrechen“). Martina Prewein, langjährige Chronik- und Kriminalreporterin, leitet die Redaktion. Geboten wird eine Mischung aus Berichten über ungeklärte Fälle, ein Porträt über „den echten Hannibal Lecter“, ein Blick auf die Arbeit der Gerichtsmedizin und die „Beichte des Schachbrettkillers“. Auch hier wird gern ausgeschmückt: Der Leiter einer Mordgruppe ist „ein groß gewachsener Mann mit kräftiger Statur und sanften braunen Augen“, das Handeln zweier Kindermörder „so schrecklich, so unbegreiflich“. Was sonst? Conny Bischofberger interviewt einen Fahnder – und kommt dabei vom Schrecken, als Überbringer einer Todesnachricht zu fungieren, bis zu Fernsehserien wie „The Mentalist“. Das liest sich gut. Und Michael Jeannée steuert eine eitle, aber kurzweilige Story über Udo Proksch bei, den er 1988 – als Proksch international auf den Fahndungslisten gestanden ist – in Manila getroffen und interviewt hat.

In allen drei Publikationen geht es oft um bekannte, auch historische Fälle. Manche Inhalte überschneiden sich, das Kannibalenthema z. B. oder Estibaliz C. mit dem entrückten Blick. Der Grund dafür sollte beruhigen: So viele spektakuläre Verbrechen passieren dann auch wieder nicht. Das kommt einem nur so vor, weil Crime-Serien im Fernsehen Mordfälle am Fließband abhandeln. Und weil jeder reale Fall im Boulevard so breitgetreten wird.

Kriminaltitel

„Verbrechen – Wahre Geschichten über das Böse“: Neuerscheinung, herausgegeben von der „Kronen Zeitung“, Redaktionsleiterin ist Martina Prewein („Krone“-Redaktion Verbrechen), 98 S., 4,90 €.

„Crime“: Ein „Stern“-Ableger (Gruner+Jahr), aktuell bei Heft Nummer 8, 136 S., 5,40 €.

„Real Crime“: Die erste deutschsprachige Ausgabe erschien im Jänner 2016, BPA-Verlag, 98 S. 6,80 €.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.