Victor Adlers Baby starb vor 25 Jahren

Victor Adler
Victor AdlerAPA
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Mit der „Arbeiter-Zeitung“ verlor die Sozialdemokratie ihre Seele und ihr intellektuelles „Sturmgeschütz“.

Wien. Als finanzieller Pflegefall entschlief sie im Alter von 102 Jahren. Vor 25 Jahren, am 31. Oktober 1991, wurde die traditionsreiche „Arbeiter-Zeitung“ eingestellt.

Ein halbes Jahr nach dem Hainfelder Einigungsparteitag kam sie erstmals auf den Markt, am 12. Juli 1889. Zunächst nur alle zwei Wochen. Herausgeber und unbezahlter Mitarbeiter: Dr. Victor Adler, zugleich erster Parteiobmann der Sozialdemokraten. 1897 musste Julius Popp dem Parteitag melden: „Sie werden bei größeren Tagesblättern einzelne Redakteure finden, welche einen so hohen Gehalt haben wie unsere ganze Redaktion.“ Aber die Auflage betrug zur Jahrhundertwende sensationelle 24.000 Exemplare.

Der Aufstieg hielt an, ab 1918 spielte die „AZ“ als Zentralorgan der Sozialdemokratie unter ihrem Chefredakteur Friedrich Austerlitz eine führende Rolle in der zunehmend heftiger werdenden politischen Auseinandersetzung. 100.000 Stück Auflage pro Tag – das war eine nicht zu unterschätzende Macht.

Der erste Tod kam 1934

1934 kam das Ende für die Sozialdemokratie, für die Gewerkschaften, natürlich auch für die Zeitung und den Verlag. Die Parteiführung mit Otto Bauer an der Spitze befand, ihr Überleben sei für die Bewegung so wichtig, dass man die Massen ruhig im Stich lassen könne – und floh nach Brünn. Dort gab sie bis zum März 1938 eine wöchentliche Ausgabe heraus, die nach Österreich eingeschmuggelt wurde.

Am 5. August 1945 erschien sie wieder, die „Arbeiter-Zeitung“, als Parteiorgan der SPÖ. Bis 1955 war sie mit einer Auflage von 245.000 Stück die größte Zeitung Österreichs. Das hatte seinen Grund: Während der Besatzungszeit traute sich die „AZ“ unter Oskar Pollak, gewaltsame Übergriffe der Besatzungsmächte gegen österreichische Bürger schonungslos aufzudecken. Sie spielte auch eine Rolle bei der Niederschlagung des KP-Putschversuchs 1950, hielt sich renommierte Kulturredakteure, schlitterte dann aber in die Krise. Die große Zeit für die Boulevardmedien war gekommen: für den „Kurier“, für Gerd Bachers „Bildtelegraf“, und schließlich für die immer größer werdende „Kronen Zeitung“ unter Hans Dichand, der den „Kurier“ verlassen hatte.

1961 sollte Franz Kreuzer als neuer Chef das sozialistische Parteiorgan ein bisschen entstauben. Der Titelkopf in schöner Fraktur war das erste Opfer der Modernisierungsversuche. „AZ“ in klobigen Lettern stand da. Es half nicht viel.

Franz Kreuzer musste gehen

Die Auflage sank stetig, die Zeitung hatte ihren Zweck erfüllt. Einmal noch konnte sie die innerparteilichen Weichen stellen: Mit seinen „Sommergesprächen“ 1966 sorgte Kreuzer zwar für einen Wirbel im Apparat, aber doch auch dafür, dass der Parteichef Bruno Pittermann abgelöst und durch Bruno Kreisky ersetzt werden konnte. Eine neue Ära hatte begonnen. Aber ohne Kreuzer: Den Betonschädeln in der Wiener SPÖ und im ÖGB musste Kreisky den Chefredakteur opfern.

Was dann geschah, war nur noch verzweifeltes Siechtum: 1985 die Verkleinerung aufs Halbformat. Als das auch nicht verfing, musste Parteichef Franz Vranitzky die Zeitung an eine Werbeagentur verkaufen, aber alle Rettungsversuche endeten in finanzieller Schieflage. Einziger Trost war dabei, dass vorher auch schon die ÖVP-Tageszeitungen verendet waren. Ein Kulturgut wurde zu Grabe getragen. Bitter, aber auch Kultur braucht eine finanzielle Unterlage. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)

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