Krimireihe "Tatort" feiert 1000. Folge

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tatort(c) NDR/Meyerbroeker
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1970 wurde der erste "Tatort" im Fernsehen ausgestrahlt. Die Jubiläumsepisode heißt gleich wie die erste: "Taxi nach Leipzig".

Ungefähr zu der Zeit, als Neil Armstrong auf dem Mond landete und Willy Brandt deutscher Bundeskanzler wurde, spazierte der WDR-Dramaturg Gunther Witte mit seinem Vorgesetzten Günter Rohrbach durch den Stadtwald von Köln. Wie sich herausstellte, hatte der Fernsehspielchef einen besonderen Auftrag für ihn: Witte sollte eine Krimireihe erfinden. Herausgekommen ist der "Tatort".

Dass diese Reihe im fernen Jahr 2016 ihre 1.000. Folge erleben würde, habe er sich natürlich nicht träumen lassen. Doch am 13. November kann sich der heute 81-jährige Witte nun den Jubiläums-"Tatort" "Taxi nach Leipzig" anschauen. Schon in der Entwicklungsphase im Jahr 1969 legte Witte die drei Kriterien fest, die alle "Tatorte" bis heute prägen: "Das erste ist einfach: Regionalität. Das zweite ist, dass der Kommissar die Hauptrolle spielt. Und das dritte, dass der 'Tatort' die Geschichte der Bundesrepublik spiegeln muss." Zumindest eines hat die 1971 erstmals in der DDR ausgestrahlte Reihe "Polizeiruf 110", das Ost-Gegenstück zum "Tatort", mit dem westlichen Pendant gemeinsam: Sie spielt an verschiedenen Standorten.

Im "Tatort" spielte der Aspekt Geschichte schon in der ersten Folge eine gewichtige Rolle: In "Taxi nach Leipzig" ermittelte der Hamburger Kommissar Paul Trimmel (Walter Richter) an der Transitautobahn durch die DDR. Der 1.000. "Tatort" am 13. November (um 20.15 Uhr auf ORF 2 zu sehen) heißt wieder genauso, aber zur Feier des Tages gibt es diesmal gleich zwei Kommissare: Klaus Borowski (Axel Milberg) aus Kiel und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) aus Hannover. Während 1970 die deutsche Teilung den gesellschaftspolitischen Hintergrund abgab, ist es jetzt der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan.

In der Zwischenzeit ist praktisch jedes Thema aufgegriffen worden, das gesellschaftlich relevant war: Sextourismus und Kindesmissbrauch, Neonazis und Gewalt gegen Obdachlose, Müllskandal und Landminen. Manchmal gibt einem am Ende nur die Würstchenbude Halt, an der das Kölner Team Ballauf und Schenk seine Ermittlungen ausklingen lässt, sonst könnte man sich nach all dem Elend rittlings in den Rhein stürzen. Ein "Tatort" kann zwar vom Sonntagabend-Blues ablenken, aber im Anschluss schlägt er dann umso heftiger zu.

1984 war die Folge "Haie vor Helgoland" sogar so realitätsnah, dass sie zwei Wochen später nachgeahmt wurde: Zwei unbekannte Täter erbeuteten die Tageseinnahmen einer Butterfahrt nach Helgoland in Höhe von 60.000 D-Mark. Von Anfang an mutete der "Tatort" dem Zuschauer mehr Wirklichkeit zu, als er bis dahin gewohnt war, auch bei den Ermittlern. Man muss sich klarmachen: Als die ARD-Reihe anlief, beherrschte "Der Kommissar" Erik Ode vom ZDF das Feld, ein älterer deutscher Herr, der seine Sekretärin als "Rehlein" anzusprechen pflegte.

Damit verglichen, war der von Sieghardt Rupp gespielte "Tatort"-Fahnder Kressin mit seinen wechselnden Freundinnen und wilden Verfolgungsjagden schon eine Zumutung. Und dann kam der 28. Juni 1981: Ein Typ schmeißt seinen Fernseher aus dem Fenster, und ein schnauzbärtiger Schlunz schreit ihn an: "Was machst du, du Idiot? Hör auf mit der Scheiße!" Wie sich herausstellt, ist dieser Schlunz der neue Kommissar. Sein Name: Horst Schimanski.

Ein Aufschrei ging durch die Republik, die örtliche CDU wollte sogar den Dank an die Stadt Duisburg aus dem Abspann gestrichen sehen. Kleine Krawalle dieser Art haben den "Tatort" immer belebt. Schimmi - für Götz George (1938-2016) die Rolle seines Lebens - war der erste Bulle, mit dem sich die 68er-Generation voll identifizieren konnte: Ein Proletarier in Cowboystiefeln, beige-grauer Feldjacke und sehr hellen Röhrenjeans.

Der deutsche Spießbürger wiederum fand seine Entsprechung in Schimanskis Sidekick Christian Thanner (Eberhard Feik). "Mensch Horst" war das Pendant zu "Harry, hol schon mal den Wagen". Mit den Jahren schlossen aber auch die Linken Thanner ins Herz: Vielleicht spiegelte sich hier schon das Aufweichen des politischen Lagerdenkens.

In den vergangenen Jahren hat der "Tatort" seine Popularität noch einmal gesteigert: Gemeinsames Krimi-Schauen in Bars, 900.000 Fans bei Facebook. "Das ist Kitt für die Gesellschaft", sagt "Tatort"-Koordinator Gebhard Henke. Eine Erklärung dafür hat er ebenso wenig wie Erfinder Witte, doch haben beide den Eindruck, dass es mit dem Münsteraner Duo Boerne und Thiel so richtig losgegangen ist.

Der arrogante Pathologe und der angeschmuddelte Ermittler, kongenial verkörpert von Jan Josef Liefers und Axel Prahl, erzielen nun schon seit vielen Jahren die höchsten Einschaltquoten in Deutschland und sind gerade bei den Jüngeren Kult. Die Münsteraner haben aber auch die Bandbreite des Möglichen noch einmal erweitert.

Der bisherige Höhepunkt eines Experimental-"Tatorts" war die hessische Episode "Im Schmerz geboren" von 2014. Dieser Fall von Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) war einem Rachedrama von William Shakespeare nachempfunden und strotzte nur so vor Querverweisen auf Theater, Film, Musik und Kunst. Nach der Manier den antiken Theaters führte ein Erzähler in die Handlung ein, die passenderweise in einem einzigen Blutbad endete, insgesamt wurden 51 Tote gezählt - die genaue Zahl war Gegenstand einer eigenen Debatte. Die Kritik war sich einig: großes Theater im Fernsehen! Der Film erhielt den Grimme-Preis, die Goldene Kamera und viele andere Auszeichnungen.

So dürfte feststehen: Der "Tatort" - der bereits 2.280 Leichen produziert hat - wird auch in Zukunft noch viele Opfer fordern.

(Christoph Driessen/dpa)

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