Charlie kitzelt Petry und Merkel

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GERMANY-FRANCE-MEDIA-CHARLIE HEBDO(c) APA/AFP/JOHN MACDOUGALL
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Seit Donnerstag ist das erste deutsche „Charlie Hebdo“-Heft erhältlich: genüsslich geschmacklos wie das Original, aber mit wenig humoristischem Gewinn.

Noch vier Jahre, um sie lieb zu gewinnen“, steht groß im Blattinneren zwischen neun Karikaturen der deutschen Kanzlerin. Ob vier Jahre der deutschen Version von „Charlie Hebdo“ reichen werden, um den Lesern ans Herz zu wachsen? Es lag natürlich nahe, dass sich das erste Heft, das seit dem 1. Dezember erhältlich ist, Angela Merkel und ihrer vor Kurzem angekündigten Wiederkandidatur widmen würde. Schon auf den Werbeplakaten war die bekannteste Deutsche karikiert worden: auf dem WC sitzend, „Charlie Hebdo“ lesend, dazu die Zeile: „Wirkt befreiend – ab sofort auch in Deutsch.“ Das Cover zeigt Merkel mit Ringen unter den Augen, erschöpft auf einer Hebebühne. Darunter steht ein Mechaniker mit VW-Kappe, begutachtet einen Auspuff und sagt: „Ein neuer Auspuff, und es geht noch vier Jahre weiter.“ Daneben: „VW steht hinter Merkel.“

Produziert in Paris – von Deutschen

Das deutschsprachige „Charlie Hebdo“, das auch in Österreich erhältlich ist, hat eine Auflage von 200.000 Stück. Produziert wird es in Paris, von einer zwölfköpfigen deutschen Mannschaft, die von der Journalistin Minka Schneider – ein Pseudonym – geleitet wird. Ihre Kollegen sind hauptsächlich Übersetzer und Lektoren. Denn fürs Erste werden vor allem Karikaturen und Texte des französischen Mutterblatts übersetzt. Künftig soll es immer mehr eigene Inhalte und Kooperationen mit deutschen Zeichnern geben.

Wenn nun im Blattinneren Angela Merkel splitternackt auf der EU-Fahne tanzt, unter dem Motto „Letzte Bastion der Freien Welt!“, dann ist das – wie für das französische Original kennzeichnend – zwar genüsslich geschmacklos; allerdings wie das meiste andere mit erstaunlich wenig humoristischem oder intellektuellem Gewinn, stattdessen umso mehr platten Botschaften: Unter der Rubrik „Von diesen Titelseiten bleiben sie verschont“ sieht man etwa Frauke Petry und liest „Den Scheitel hat sie schon, fehlt nur noch das Bärtchen“. Mehrere Seiten unter dem Titel „Wer lebt glücklich in Deutschland?“ sind schon bemerkenswerter: Das vielfältige Mosaik aus Gedanken in Deutschland lebender Menschen zur aktuellen Lage wirkt, anders als die Karikaturen, ausnahmsweise nicht auf dem ideologischen Reißbrett entworfen.

Jenseits des Karikaturistischen bietet das deutsche „Charlie Hebdo“ eine bunte Reihe an Themen, besonders, aber nicht nur geeignet für frankophile Leser: Sexismus im Alltag oder ein Interview mit dem konservativen Bürgermeister, der aus dem schwedischen Växjö die „grünste Stadt Europas“ gemacht hat; die Rezension eines Buchs der Philosophin Sophie Djigo über die Bewohner des geräumten Flüchtlingslagers von Calais; einiges über den (dem Magazin selbstverständlich verhassten) konservativen Shooting Star der französischen Politik Francois Fillon; oder einen schönen Text des bei den Anschlägen auf die „Charlie Hebdo“-Redaktion schwer verletzten Philippe Lançon über seine veränderte (Zeit-)Erfahrung nach dem 7. Jänner 2015.

„Endlich überqueren wir den Rhein!“

Karikaturist Laurent Sourisseau alias Riss, der die Zeitung mit Gérard Biard leitet, wurde angeschossen, als die Redaktion am 7. Jänner 2015 von Islamisten angegriffen wurde, zwölf seiner Kollegen verloren damals ihr Leben. Für „Charlie Hebdo“ sei die Expansion ein Experiment, gestand er der Nachrichtenagentur AFP. Aber in Deutschland hätten er und seine Kollegen große Neugierde gespürt. Dass die Deutschen „bei den elektronischen Abos weit an der Spitze“ liegen, hatte Biard schon im Sommer gegenüber der „Presse“ verwundert festgestellt. „Endlich überqueren wir den Rhein und freuen uns auf das Jauchzen von Angela Merkel und Frauke Petry, wenn wir die beiden ein bisschen unter den Achseln kitzeln“, verkündet das Vorwort. Aber wer weiß, vielleicht war die Liebe der Deutschen zu „Charlie“ ein Missverständnis, und das exotische, durch die Anschläge berühmt gewordene Produkt entzaubert sich in der Nahansicht. Zumal Deutschland mit „Titanic“ schon ein überzeugendes Satiremagazin hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2016)

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