Serie „El Chapo“: Der Tölpel als Drogenkönig

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„El Chapo“ über das Leben von Joaquín Guzmán, den obersten Chef des mexikanischen Sinaloa-Kartells, wird manchen „Narcos“-Fan enttäuschen. Und das ist gut so.

Man denke sich nur: Da stellt Chapo, der junge, ehrgeizige Drogendealer, seinem Erzfeind Ramón eine Falle: Er lässt die Diskothek umzingeln, in der er gerade feiert, schickt zwanzig Schützen hinein – und dann überlebt Ramón die Attacke unbeschadet. Er war auf der Toilette.

Oder: Die Brüder Avendano basteln mit großem Aufwand eine Autobombe, lassen sie vor dem Anwesen Chapos hochgehen, das knallt schön, mehr aber auch nicht: Sie erwischen damit genau niemanden.
Oder: Auf Chapo werden ein Dutzend Auftragskiller losgeschickt. Sie wissen auf die Minute genau, wann er wo auftauchen wird, er hat nicht einmal Leibwächter dabei. Aber sogar das geht daneben! Chapo entkommt, dafür stirbt ein Kardinal.

Mit Serien über das organisierte Verbrechen ist es ja so: Irgendwie sind die Gangster immer gut organisiert, die Bosse clever, die Oberbosse charismatisch, das Verbrechen raffiniert, wenn auch brutal, wobei uns die exzessiv gezeigte Brutalität offenbar davon abhalten soll, uns mit den Gangstern zu identifizieren. Und hier? In der von Netflix gemeinsam mit dem spanischsprachigen Fernsehsender Univision produzierten Serie „El Chapo“ scheitert fast jedes Komplott an der Dämlichkeit sowohl der Planenden als auch der Ausführenden. Wenn ein Vorhaben gelingt, ist eher Glück im Spiel als Verstand, und Waghalsigkeit erscheint nicht mutig oder souverän – eher hat man den Eindruck, die Verbrecher schaffen keine vernünftige Risikoabwägung. Sie stürmen ein Haus und vergessen die Überwachungskamera. Geldscheine bunkern sie so, dass sie verrotten. Und um zu Marco de la O zu kommen, der El Chapo spielt: Selten hat man einen weniger interessanten Antihelden gesehen. Meistens schaut er stier vor sich hin. Man denke an die Szene in „Narcos“, wo der charmante Pablo Escobar jeden einzelnen Grenzbeamten beim Namen kennt – und genau weiß, wessen Mutter gerade aus dem Spital kommt und wessen Sohn sich über einen Fernseher freuen würde. Undenkbar hier! Hier regiert ein Tölpel als Drogenkönig.

Einfach drauflosgeballert

Das ist nun eine Zuspitzung, der echte Joaquín Guzmán – El Chapo, der Kleine, ist der Spitzname – muss raffinierter gewesen sein als sein Serien-Pendant. Er scheffelte Milliarden, die bis heute nicht aufzufinden sind, wurde dreimal verhaftet und ist zweimal entkommen: Einmal saß er im Hochsicherheitsgefängnis Puente Grande und verließ das Gelände in einem Wäschetransport. Das zweite Mal wurde er 2014 verhaftet – und gelangte 2015 durch einen 1,5 Kilometer langen Tunnel ins Freie.

Andererseits: Lange blieb er nicht auf freiem Fuß, er war leichtsinnig, eitel und dann doch wieder nicht besonders schlau. Er traf sich mit dem Schauspieler Sean Penn, dem er ein überaus umstrittenes Interview gab, und simste verliebt mit dem Telenovela-Star Kate del Castillo. Angeblich hat er außerdem einen Arzt für ein Penisimplantat aufgesucht. Das kann aber auch nur ein Gerücht sein. Verlässlich sind die Angaben, die man über Joaquín Guzmán findet, wohl nicht: Sogar über seine Körpergröße (1,55 oder doch 1,68?) sind sich die Quellen nicht einig. Und sein Geburtsdatum (1954 oder 1957) ist sowieso umstritten.

Bevor die Serie in den USA startete, gab es in Mexiko Bedenken, Guzmán, vermutlich der skrupelloseste Drogenboss der mexikanischen Geschichte, könnte zu einer Heldenfigur hinaufgeschrieben werden. Diese Gefahr ist jedenfalls gebannt. Doch indem die Serie ihren Gangstern so wenig Intelligenz und Glamour lässt, beraubt sie sich auch etlicher dramaturgischer Möglichkeiten: Weil es kaum Verschwörungen und schlaue Intrigen gibt, sondern meist nur blindlings drauflosgeballert wird, wirkt die Story im Vergleich zu ähnlichen Produktionen ziemlich schlicht: Ein bisschen ist es, als würde man Frank Underwood dabei zusehen, wie er seine Zeit in Sitzungen verbringt.

Und auch sonst dürfte mancher „Narcos“-Fan enttäuscht sein: Liefert die in Kolumbien spielende Netflix-Serie blendende, hoch ästhetische Bilder, wo noch der schäbigste Barhocker in seiner Schäbigkeit inszeniert wird, ist in „El Chapo“ der schäbige Barhocker nur ein schäbiger Barhocker. Die Story wird sehr einfach erzählt, wenn einmal mit Rückblenden gearbeitet wird, erscheint das als störend. Nein, der nächste große Hit ist „El Chapo“ vermutlich nicht. Aber spannend ist anders. Und vielleicht ist Verbrechen ja manchmal genau so: tölpelhaft halt.

„El Chapo“, Regie: Silvana Aguirre, ist seit 16. Juni auf Netflix verfügbar, der Streamingdienst hat die Serie mit dem spanischsprachigen Sender koproduziert. Eine zweite Staffel wurde bereits in Auftrag gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2017)

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