"Glauben Sie wirklich, dass ich ein Arschloch bin?"

Glauben wirklich dass Arschloch
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Interviews habe er immer nur zum Geldverdienen gemacht, sagt der wohl beste Interviewer im deutschsprachigen Raum. André Müller über öffentliche Dialoge mit Genies, Idioten und der eigenen Mutter.

Eigentlich hatten wir ja die Idee, dass wir Sie beauftragen, ein Interview zu führen, mit Angela Merkel oder so, aber wir dachten, das sei zu teuer.

André Müller: Die Merkel mach ich gratis, aber man kriegt doch diese Leute nicht.

Ich glaubte, es reicht, wenn André Müller um ein Interview bittet.

Bei Kulturschaffenden vielleicht.

Zuletzt haben Sie Christoph Schlingensief für die „Weltwoche“ interviewt, aber das war eher eine kurze Angelegenheit.

Das hätte ich als Dialog gar nicht gebrauchen können. Er redet entweder über seine Krankheit oder durchgehend Blödsinn. Der Mann ist ja auch vollkommen ungebildet. Er redet immer über das, was ihm ein Pfarrer oder irgendjemand tags davor erzählt hat.

Entsprechend bösartig war der Text, den Sie über ihn schrieben. Sie stellten Schlingensief als jemanden dar, der nicht denkt, wenn er spricht.

Man muss ja nicht denken. Denken ist ja ein Nachteil im Leben. Ein Aktionskünstler wie Schlingensief darf ja gar nicht denken, weil Denken ist ja eher lähmend. Er ist ja so tätig. Im Krankenhaus hat er immer gesagt, er will noch etwas tun. Aber was denn eigentlich?

Ich dachte, Sie machen überhaupt keine Interviews mehr. Mir haben Sie jetzt ja auch gemailt, dass Sie bis zu Ihrem Exitus nur noch Prosa schreiben wollen.

Ich schreibe weiter, bis ich entweder dement bin oder körperlich nicht mehr kann. Das ist ein Endlostext. Eine Existenzgrundlage. Dauertherapie.

Interviews interessieren Sie nicht mehr?

Das hat mich nie interessiert.

Aber Sie sind schon stolz auf die Interviews, die Sie gemacht haben?

Überhaupt nicht.

Warum haben Sie haben dann diese virtuelle Ruhmeshalle aufgebaut, in der man alle Ihre Interviews anklicken kann?

Aus Bequemlichkeit, weil es die Bücher nicht mehr gibt. Die Homepage hat mir der Mann von Elfriede Jelinek eingerichtet. Es hat sich daraus auch schon einiges ergeben, das Thalia-Theater hat so das Interview mit Alice Schwarzer gefunden und es als Stück aufgeführt.

Wie sind Sie Jelinek so nahegekommen, dass sich eine Freundschaft entwickelt hat?

Ich habe sie Ende der 80er-Jahre erstmals interviewt. Und dann hat man sich Karten geschrieben. Zum zweiten Mal habe ich sie nach dem Nobelpreis interviewt. Man hat sich geschrieben, sie hat plötzlich das Du angeboten. Wir mailen ständig. Die geht ja nicht aus dem Haus. Da ist irgendeine Seelenverwandtschaft. Sie ist für mich ganz wichtig.

Sie haben prominente Persönlichkeiten von Thomas Bernhard bis Karl Lagerfeld interviewt. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihre eigene Mutter zu interviewen?

Es war eine Schnapsidee. Ich hatte ein Fixum bei der „Zeit“ und musste fünf, es waren eigentlich eh nur drei, Interviews pro Jahr liefern. Und mir geht ja am meisten das Antichambrieren auf die Nerven, um Leute zu kriegen. Bei meiner Mutter wusste ich, sie sagt mir nicht ab. Sie hat ja dann durchgeheult in dem Interview. Die professionelle Fassade war hilfreich im Gespräch mit meiner Mutter. Ich habe Sachen erfahren, die ich nicht gewusst hatte.


Hat Ihre Mutter es nie bereut, dass das Interview veröffentlicht und dann sogar als Theaterstück aufgeführt wurde?

Meine Mutter hat sich nie negativ geäußert. Sie ist im Juni 2008 gestorben. Bei der Beerdigung meiner Mutter habe ich aus dem Interview vorgelesen. Meine spießige Tante fand das ganz furchtbar.

Bei manchen Passagen habe ich mich gewundert. Sie sagen in dem Interview zum Beispiel, dass Sie Ihre Mutter nicht lieben.

Kann schon sein. Ich habe zu meiner Mutter zwangsläufig ein schwer neurotisches Verhältnis. Es war kein Vater da, keine Geschwister. Ich bin nur mit dieser Frau in Wien-Favoriten in einer Zweizimmerwohnung aufgewachsen, wo ein Zimmer jahrelang nicht möbliert war. Da entsteht natürlich eine Bindung, aus der man sich lösen muss.

Ihr Vater, ein Franzose, hat Ihre Mutter noch vor Ihrer Geburt verlassen. Haben Sie sich je auf die Suche nach Ihrem Vater begeben?

Das habe ich eben nicht. Doch, doch natürlich habe ich das. Was rede ich denn? Den habe ich ja einmal gesehen.

Wann?

Da war ich 19. Ich habe im Schrank meiner Mutter französische Briefe von ihm gefunden, in denen er die Vaterschaft abstreitet. Ich habe seine Adresse ausgekundschaftet und ihm geschrieben. „Je suis ton fils“ war der erste Satz. Und dann kündigte sich der Vater auf einmal an in Wien. Der war so furchtbar.

Was war so furchtbar an ihm?

Er sah damals so aus wie ich heute, furchtbar hässlich. Dann stieg der noch bei uns ab. Nachts, als er dachte, ich schlief, schlich er rüber zu meiner Mutter und bedrängte sie, weil er mit ihr schlafen wollte. Ich habe es mitgehört und bin erstarrt. Dann kommt er zurück und ich höre plötzlich so (schlägt zweimal krachend auf den Tisch) – und der onaniert neben mir. Ich habe ihn nur noch gehasst. Mein ganzer Hass hat sich auf diesen Vater konzentriert, darum kann ich sonst niemanden hassen. Ich hatte mir doch einen Vater erdichtet und einen vornehmen Herren wie aus einem Stendhal-Roman vorgestellt. Aber er ist ein richtiges Arschloch gewesen. Und da ich Gene von ihm habe, hat man natürlich ewig das Problem, dass man selbst ein Arschloch ist.

Glauben Sie, dass sich das Arschloch-Gen direkt weitervererbt?

So eine Feigheit kann sich vererben. Aber es ist mir schon wichtig gewesen später, dass mir jemand sagt, ich bin kein Arschloch.

In Interviews, in denen Sie Rede und Antwort stehen, kommen Sie natürlich schon als Arschloch rüber.

(Lacht) Na bitte. Wissen Sie, was ich geträumt habe? Dass ich in China bin und der Heller ruft an. Und ich sage, die „Presse“ hat einen politischen Journalisten geschickt. Und ich habe mich im Traum auf jemanden vorbereitet, der als Erstes sagt: „Sie Trottel.“ – Glauben Sie, dass ich ein Arschloch bin?

Nein, aber in einem Interview sagten Sie mal, dass Sie Ihre Gesprächspartner gar nicht interessieren. Auch nicht sehr sympathisch.

Mich interessiert meine Geliebte, weil von ihr bin ich existenziell abhängig, Sonst interessiert mich als Mensch kaum jemand. Ich mache das Interviewen ausschließlich zum Geldverdienen. Und da muss ich mir Leute aussuchen, die man verkaufen kann.

Was macht das aus einem Menschen, wenn er vaterlos aufwächst?

Man hat kein Über-Ich. Man hat keine Grenzen, keine moralischen Vorschriften. Und das habe ich auch immer in Verbindung gebracht mit meiner Interviewbegabung. Ich begegne niemandem mit Meinungen, sondern wie ein Loch, in das er sich hineinergießen kann, bis er gar nicht mehr merkt, dass er da schon reinstrudelt. Weil ich eine Leere bin, eine moralische und ideologische. Es werden doch heute nur Meinungen ausgetauscht. Ich liebe ein Zitat von dem Philosophen Berkeley: Alle haben Meinungen und keiner denkt.

Ihre Mutter sagt im Interview vorwurfsvoll, Sie hätten dauernd sterben wollen.

Ich habe immer schon über Selbstmord geredet, als Pubertierender. Camus sagt, das einzig interessante philosophische Thema ist, ob man sich umbringt oder nicht. Als Gesprächsthema ist das geblieben, jetzt immer weniger.

Aber Sie haben diese Gedanken nicht mehr?

(Lacht) Ich hatte zwei Selbstmordversuche, einen in Wien, als mich der Dichand aus der „Kronen Zeitung“ rausschmiss. Ich bin zum Ringel ins Krankenhaus eingeliefert worden und mir wurde der Magen ausgepumpt. Und in München hatte ich auch noch ein Selbstmorderlebnis, da war ich 37. Und dann dachte ich, wenn man eh fast schon von selber stirbt, finde ich es degoutant, sich noch selber umzubringen Wenn ich heute Michel Houellebecq frage, warum er sich nicht umbringt, ist das ein guter Einstieg bei ihm. Man muss ja die Leute immer das fragen, wofür sie bekannt sind. Als ich mit Leni Riefenstahl gesprochen habe, war sie ungefähr 100 und sie wollte nicht mehr über die Nazizeit reden, sondern über Afrika und Mode. Das ist natürlich absurd. Das wäre unjournalistisch.

Warum hat Sie Dichand rausgeschmissen?

Ich hatte in der „Kronen Zeitung“ eigentlich Narrenfreiheit. So etwas gab es. Das war doch ein kleines Käseblatt.

Jetzt ist es ein großes Käseblatt.

So ist es. Einmal schrieb ich in der „Krone“ einen Artikel mit dem Titel „Angeklagter Franz Stoss“. Der erzählte damals als Direktor der Josefstadt stolz, dass er die englischen Boulevardstücke gar nicht liest, bevor er sie aufführt. Ich habe das als völlige Ignoranz beschrieben und wurde gekündigt. Dichand hat gesagt: „Es wird für Sie besser sein, wenn Sie gehen.“ Er hatte recht.

Sie haben einmal gesagt, die meisten Gesprächspartner seien Ihnen nicht gemäß gewesen und hätten Ihnen nicht entsprochen?

Das stimmt ja auch.

Was haben Sie da für Ansprüche, bitte?

Den Anspruch habe ich immer nur an mich. Ich muss selbst mit diesen Idioten was Gutes machen. Dass der Gesprächspartner langweilig ist, gilt bei mir nicht. Ich gebe keinen Text aus der Hand, der nicht durch die Zensur meines Qualitätsanspruchs geht. Nur brauche ich viel zu viel Zeit fürs Schreiben. Deshalb bin ich als Journalist ungeeignet. Ich bin zu genau mit Worten.

Waren denn Gespräche darunter, aus denen Sie etwas gelernt haben?

Es gab Begegnungen, die ich im Nachhinein als Gewinn bezeichnen würde: mit Ernst Jünger, mit Friedrich Dürrenmatt, mit Thomas Bernhard natürlich.

Politiker haben Sie eher selten interviewt.

Obwohl die am einfachsten sind. Weil sie genau überlegen, was sie reden.

Nur kommt meistens nicht viel raus dabei.

Wenn die Fragen interessant sind, können die Antworten ja ein Schmarrn sein. Ich bin ja dann in einem Rausch drinnen, ich bin dann wie verrückt, ich mache immer weiter, bis was passiert.

Besonders groß war die Aufregung nach Ihrem legendären Interview mit dem damaligen Burgtheater-Direktor Peymann.

Ich bot das Interview wie vereinbart dem „Spiegel“ an. Doch Urs Jenny vom „Spiegel“ findet es undruckbar, rennt in die Rechtsabteilung und schickt es dann Peymann. Peymann übergibt das Kuvert ungeöffnet Thomas Bernhard. Der sagt zu Peymann: „Das Interview ist das Einzige, was von dir übrig bleiben wird, es muss gedruckt werden.“ Daraufhin habe ich es der „Zeit“ angeboten. Dort habe ich dann deswegen ein Fixum bekommen. Die Erika Pluhar war ein ganz besonderer Fall. Sie ließ mich gleich nach unserem Treffen von ihrem Rechtsanwalt kontakten und wollte alle Tonbänder zurück.

Warum haben Sie das Interview trotzdem veröffentlicht?

Weil ich weiß, wie die Welt ist. Sie hat später in meinem Buch „Österreicher/innen“ geschrieben, dass unser Interview das beste war, das sie je über sich gelesen hat. Ich mache doch nicht Arbeit, die mir gelungen ist, für nichts. Ich finde entwürdigend, was manche Journalisten mit sich machen lassen.

Sie schlagen also vor, Interviews gar nicht mehr autorisieren zu lassen?

Das Wort autorisieren ist Unsinn. Das hieße ja, der Interviewte darf machen, was er will. Es sind meistens eh nur unbekannte Serienfuzzis, die sich am blödesten aufführen. Die soll man einfach nicht mehr interviewen. Dass man Sätze, die per Tonband nachweislich gesagt wurden, zurücknimmt, ist absurd.

Darf ich noch was fragen? Was ist der Höchstpreis, den Sie für ein Interview erzielten?

Das erzähle ich doch nicht. Obwohl: Ich kann es fast sagen. Einer der Höchstpreise war damals wirklich das Interview mit Franz Vranitzky für „profil“. Über 100.000 Schilling haben sie bezahlt. Die hatten noch Geld damals.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

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