Krimi-Mehrteiler: Ein TV-Roman mit Russenmafia

(c) ARD (Julia von Vietinghoff)
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"Im Angesicht des Verbrechens": Dominik Grafs packender Krimi-Mehrteiler setzt mit seinem erzählerischen Reichtum Maßstäbe im deutschen TV. Erkauft wurde das teuer.

Weil das deutsche Genrekino tot ist, hat es Dominik Graf im Fernsehen wieder erfunden. In den Achtziger- und Neunzigerjahren hatte der deutsche Regisseur in Krimis wie Die Katze mit Götz George und Die Siegerdie letzten großen Versuche unternommen, populäres Spannungskino auf deutsche Leinwände zu bringen. Aber diese Art von Stoffen wanderte ins TV, wo man sie meist einfallslos an Einheitsformate verschenkte.

Graf hat die Bewegung notwendigerweise mitgemacht. Zwischen gelegentlichen Kinofilmen inszenierte er Außerordentliches für Reihen wie Polizeiruf 110 und mit dem TV-Thriller Eine Stadt wird erpresst den besten und bissigsten Film über das wiedervereinigte Deutschland. Geschrieben hatte den Rolf Basedow, der nun auch für das Opus magnum Im Angesicht des Verbrechens zeichnet: Grafs zehnteilige Russenmafia-Serie startet heute bei Arte, die Koproduzenten ARD und ORF strahlen sie später aus. Als großer erzählerischer (Ent-)Wurf setzt der Zehnteiler im deutschen TV Maßstäbe.

Insolvenz der Produktionsfirma

Erkauft wurde das teuer: 2007 begann man mit der aufwendigen Produktion der „Premium-Qualitäts-Serie“, es gab eine Kostenexplosion wegen arbeitsrechtlicher Probleme. Die Produktionsfirma Typhoon AG musste Insolvenz anmelden. Ausstrahlungstermine verzögerten sich um Monate. Erst diesen März wurde Im Angesicht des Verbrechens bei der Berlinale vorgestellt – und erntete hymnische Kritiken. Nun muss sich zeigen, ob die Serie auch ihr Publikum findet.

Trotz der prinzipiellen Verwandtschaft zu für ihre romanhafte Breite gefeierten US-Serien wie Die Sopranos oder The Wire geht Grafs Zehnteiler nicht ganz so weit: In Europa gibt es eben kein Äquivalent zu dem, was im amerikanischen Pay-TV möglich ist. Eher sollte man an den von Graf heiß geliebten Italo-Klassiker Allein gegen die Mafia denken, mit seiner Balance aus griffiger Milieuschilderung, starken Charakteren, spannender Krimihandlung und Sozialkritik.

Im Schnittpunkt von Grafs Großstadtsaga steht ein junger Polizist: Der jüdische Einwanderersohn Marek (Max Riemelt) wird in Ermittlungen hineingezogen, die bald sein Privatleben betreffen. Die Spur führt zur Ermordung seines Bruders vor zehn Jahren. Und in ein russisches Restaurant: Mareks Schwester (Marie Bäumer) hat dessen Besitzer geheiratet, er hat Beziehungen zur Russenmafia, die mit allem handelt – Kaviar, Zigaretten, Menschen. Eine Liebesgeschichte mit einer zur Prostitution gezwungenen Ukrainerin sorgt für mehr Komplikationen.

Im Angesicht des Verbrechens ist in Grafs bewährt muskulösem, mitreißendem Stil inszeniert: Seine TV-Arbeiten demonstrieren schon länger, was deutsches Kino vergessen zu haben scheint – wie man packend visuell erzählt, ohne lange Erklärungen zu bemühen. In den Dialogen herrscht dafür eine Vielfalt an Sprachfärbungen, Dialekten und Fremdsprachen, die ein rares kosmopolitisches Flair vermittelt: Wie die vielen Milieus, die mit Mut zur großen (Genre-)Geste und ohne falsche politische Korrektheit durchmessen werden. Graf und sein Team vermitteln ein Gefühl, das im deutschen TV eine Seltenheit ist: Reichtum – der Ideen, der Figuren und der Erfindungskraft.

„Im Angesicht des Verbrechens“: Ab heute, 22.05h, bis 11.Mai, jeweils zwei Folgen hintereinander, Dienstag und Samstag auf Arte. Im Herbst läuft die Serie bei ARD. Der ORF hat seinen Sendetermin noch nicht fixiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2010)

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