"Kronen Zeitung": Die jungen Milden vom Kleinformat

Christoph Dichand
Christoph Dichand(c) APA (Barbara Gindl)
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Ein Loblied auf die Einwanderer, Mitleid mit Arigona und ein Kolumnist ohne Giftspritze: Die "Kronen Zeitung" hat sich seit dem Tod von Hans Dichand merkbar verändert. Wird sie zum ganz normalen Boulevardblatt?

Die Welt ist bunt, die Welt ist schön. Und je bunter sie ist, umso schöner ist sie – findet Kurt Seinitz, Außenpolitikchef der „Kronen Zeitung“. Am 13.Juli, zwei Tage nach dem Ende der Fußball-WM, brachte er folgende Erkenntnisse zu Papier: „Die Hälfte der Kicker im deutschen Trikot sind kunterbunte Kinder der Immigration des Globalisierungszeitalters. (...) Über den Weg des Fußballpatriotismus hat Deutschland unversehens akzeptiert, dass es eine Einwanderungsnation geworden ist: das neue Deutschland.“

Hymnen auf farbenprächtige Einwanderer hatte die „Krone“ bisher kaum im Repertoire. Doch Seinitz ist mit seinem Faible für Nichteinheimische in bester Gesellschaft. Kolumnistin Marga Swoboda widmete ihren täglichen Gefühlsausbruch neulich den Zogajs. „Auf Wiedersehen, Arigona“, schrieb sie. „Hoffentlich bis bald in deiner österreichischen Heimat. Die sehr, sehr viele Menschen gern mit dir teilen.“

Sogar Hausdichter Wolf Martin wird dieser Tage gelegentlich von einem Anfall unerwarteter Toleranz niedergestreckt. Über die lärmenden Vuvuzelas in südafrikanischen Fußballstadien dichtete er am 5.Juli: „Doch ,Andre Länder, andre Sitten‘, das gilt auch hier wohl unbestritten. Und anderswo pflegt man mitnichten, sich nach den andern stets zu richten.“

Ist das noch die gute alte „Kronen Zeitung“, die mit ihren Grenzüberschreitungen Generationen von Medien-Ethikern bei Kräften hielt? Oder bahnt sich in der Wiener Muthgasse Nummer zwei vielleicht eine Revolution in Richtung Normalität an? Kann der heimische Durchschnittsphilanthrop schon bald ohne schlechtes Gewissen das Kleinformat lesen?

Im Zweifel für den Holländer.
Hans Dichand starb am 17.Juni. Nicht einmal eineinhalb Monate danach wirkt die „Krone“ deutlich verändert: weniger grimmig, weniger verbissen, weniger berechenbar in ihren Vorurteilen. Ein Beispiel dafür lieferte Innenpolitik-Redakteur Peter Gnam am Dienstag der Vorwoche, als er den handgreiflichen Konflikt zwischen Armin Assinger und einem holländischen Autofahrer zum Thema eines Kommentars machte. Angesichts der Gemengelage (österreichischer Publikumsliebling gegen holländischen Raufbold) durfte sich der geeichte Leser auf eine ordentliche Abreibung (für den Holländer) freuen. Doch es kam anders: „Sympathien hat sich der Radrennfahrer auf Trainingsfahrt Assinger nicht erworben“, tadelte Gnam und empfahl eine Versöhnung ohne Gerichtsweg. „Es bleibt abzuwarten, ob Mr.Millionenshow imstande ist, so viel Größe zu zeigen.“

Eine Redakteurin will solchen Einzelfällen nicht zu viel Gewicht beimessen. Im Prinzip habe sich gar nichts geändert, findet sie. Dichand-Sohn Christoph sei ja schon länger Chefredakteur. Erzählt wird aber auch, dass sich Hans Dichand gerne den Spaß machte, Entscheidungen seines Sohnes kurz vor Redaktionsschluss zu torpedieren. Eine Zeitung verändere sich laufend, meint Innenpolitik-Redakteur Claus Pandi diplomatisch. „Es wird jetzt mehr diskutiert als früher. Christoph Dichand ist 45, hat Jus studiert. Er ist ein ganz anderer Typ als sein Vater.“ An der Berichterstattung merke man das „vielleicht in Nuancen“.

Noch ist nicht klar, wie es in der „Krone“-Führung langfristig weitergehen wird (siehe unten). Vielleicht sind die sanfteren Töne schlicht dem Opportunismus geschuldet. Sollte es demnächst einen neuen Eigentümer und/oder Chef geben, könnte jedes falsche Wort die Karriere gefährden.

Falls auch so etwas wie Einsicht dahinter steckt, hat es den langgedienten „Krone“-Rabauken Michael Jeannée besonders schwer erwischt. Der Mann konnte früher mit einem Satz den Humanismus und die Aufklärung zugleich rückgängig machen. Über einen von der Polizei erschossenen 14-jährigen Supermarkteinbrecher schrieb er einmal: „Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist auch alt genug zum Sterben.“ Seit der Seniorchef die Kommandobrücke verlassen hat, wirkt Jeannée wie weichgespült. Erst lobte er die Fußball-WM-Teilnehmerländer den Globus rauf und runter, dann ging er auf Urlaub, und seither konzentriert er sich auf harmlose Nebensächlichkeiten. Sein Meisterstück lieferte er am vergangenen Donnerstag, als er die Berichterstattung über einen „Killerbarsch“ im Wörthersee abhandelte.

Dabei hatte Jeannée die „Krone“-Gemeinde höchstpersönlich darauf eingeschworen, dass sich nichts, aber auch gar nichts ändern werde. „Jetzt erst recht die erste hausinterne Kampagne nach dem Tag X und eine, auf die Hans Dichand stolz sein würde“, schrieb der Kolumnist einen Tag nach dem Begräbnis seines Chefs.

Ähnliches war in jenen turbulenten Tagen auch von Franz Weinpolter zu lesen, dem meistbeschäftigten Leserbriefschreiber. „Da haben sich manche Leute schon (umsonst) darüber gefreut, dass sich nach dem Tod von Hans Dichand bei der ,Kronen Zeitung‘ so manches ändern wird“, textete Weinpolter grimmig. „Dabei müssen sie jetzt enttäuscht feststellen, dass (...) sich an der Blattlinie nichts geändert hat.“

Die feinere Klinge. Lautes Singen hilft bekanntlich gegen die Angst im dunklen Wald. Möglich, dass Weinpolter in erster Linie sich selbst beruhigen wollte. Denn die Leserbriefautoren der „Krone“ spüren die Zäsur besonders deutlich. Während früher Hans Dichand die Zuschriften auswählte (und, wie gemunkelt wurde, gelegentlich auch ein paar in Auftrag gab), ist das nun der Job seines Sohnes. Christoph Dichand habe etwas weniger Spaß am Zündeln als sein Vater, meint Claus Pandi. „Es wird dort jetzt mit der feineren Klinge gearbeitet.“

Natürlich gibt es „Krone“-Leidenschaften, die den Wandel überdauerten. Bundespräsident Heinz Fischer beispielsweise kann nach wie vor nichts richtig machen. Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll dagegen bekommt für jeden Nebensatz Auftrittsapplaus. Über Karl-Heinz Grassers Sündenregister berichtet die Zeitung eher widerwillig; der Mann war schließlich mal Darling der Redaktion.

Auch die Abschaffung der Wehrpflicht, derzeit Gegenstand einer Minikampagne, gehört seit Jahren zum Repertoire. „Volksbegehren gegen Wehrpflicht“, titelte das Blatt vor Kurzem auf Seite eins – um sich auf Seite zwei ungewohnt schüchtern hinter den Grünen zu verstecken: „Als einen ersten Schritt zur Abschaffung der Wehrpflicht setzen sich die Grünen an die Spitze eines entsprechenden Volksbegehrens.“

Werner Faymann war einst von der „Krone“ so sehr protegiert worden, dass sich Hans Dichand im Sommer 2008 zu einer kuriosen Klarstellung veranlasst sah: Faymann sei nicht, so Dichand, sein unehelicher Sohn, wie behauptet werde. Im Sommer 2009 kündigte er dem SP-Chef dann abrupt die Sympathie und empfahl den Wählern wärmstens, Josef Pröll zum Kanzler zu küren.

Lang ist es her. Derzeit lässt sich nicht einmal feststellen, welcher der beiden Herren in der „Krone“ die besseren Karten hat. Beide werden gelegentlich sachte gerüffelt. Noch ist offenbar nicht ausdiskutiert, für wen sich die Redaktion ins Zeug legen soll.

Fast beruhigend, dass gelegentlich noch die alte „Krone“-Bosheit durchbricht. „Das Luxusleben der Asylwerber“, titelte die „Kronen Zeitung“ vor Kurzem über einem Foto der Fidschi-Inseln. Im Text erfuhr der Leser dann, dass es sich nur um ein paar schwarze Schafe handle. Die meisten, so die „Krone“, seien „tatsächlich hilfsbedürftig“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2010)

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