"Unsinn": Alice Schwarzer attackiert Ministerin

(c) AP (HERBERT KNOSOWSKI)
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Die ewige Debatte über „alten“ und „neuen“ Feminismus auf interessante Weise wiederbelebt: Hat Alice Schwarzer einst behauptet, dass heterosexueller Verkehr ohne Unterwerfung kaum möglich sei? Ein Wiederlesen.

"Bizarrer Sexstreit“, titelte die „Bild“-Zeitung. Einer der Untertitel: „Frontalangriff! Feministin Alice Schwarzer (67) geht auf Familienministerin Kristina Schröder (33) los.“

Auch so theatralisch lässt sich eine Auseinandersetzung beschreiben, die die ewige Debatte über „alten“ und „neuen“ Feminismus auf interessante Weise belebt. Und dazu anregt, die Klassiker des Feminismus – und dazu gehören Schwarzers Bücher – neu zu lesen.

Es begann mit einem Interview, das Kristina Schröder (siehe Porträt rechts) dem „Spiegel“ gab. Schröder kritisiert darin zunächst den – aus Sicht der heutigen Naturwissenschaft tatsächlich fragwürdigen – Leitsatz der Ahnin des Feminismus, Simone de Beauvoir: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ Dem stimme sie, Schröder, nicht zu. Von Alice Schwarzer habe sie viel gelesen. „Diese Bücher fand ich alle sehr pointiert und lesenswert. Etliche Thesen gingen mir dann aber doch zu weit: zum Beispiel, dass der heterosexuelle Geschlechtsverkehr kaum möglich sei ohne Unterwerfung der Frau. Da kann ich nur sagen: Sorry, das ist falsch.“ Denn: „Das würde bedeuten, dass die Gesellschaft (gemeint ist wohl eher: die Menschheit, Anm.) ohne die Unterwerfung der Frau nicht fortbestehen könnte.“

Weiters sprach Schröder über „eine radikale Strömung, die die Lösung darin sah, lesbisch zu sein. Dass Homosexualität jetzt aber die Lösung der Benachteiligung der Frau sein soll, fand ich nicht wirklich überzeugend.“ Der frühe Feminismus habe „teilweise übersehen, dass Partnerschaft und Kinder Glück spenden.“

Schwarzer reagierte auf diese respektvolle Kritik mit einem offenen Brief auf ihrer Homepage – in aggressivem Ton: Schröder behaupte „hanebüchenen Unsinn“, sie verbreite „ein billiges Klischee über die folgenreichste soziale Bewegung des 20.Jahrhunderts“. Sie habe „als Jahrgang 1977 zwar die Gnade der späten Geburt, aber nicht das Recht, Stammtischparolen zu reproduzieren. Stammtischparolen aus den 1970er-Jahren wohlgemerkt.“

Schwarzer scheut auch persönlichen Angriff nicht: „Die einzige aufregende Nachricht aus Ihrem Amt war Ihr (durch Heirat zustande gekommener, Anm.) Namenswechsel von Köhler auf Schröder – was mich persönlich, ehrlich gesagt, bis heute verwirrt.“ Und Schwarzer unterstellt Schröder, sie habe ihre Bücher nicht wirklich gelesen. „Mit Verlaub: Ich kann mir das kaum vorstellen.“

Tatsächlich stammen die „Thesen“, die Schröder im „Spiegel“ genannt hat, nicht wörtlich aus Schwarzers Büchern. In „Der ,kleine Unterschied‘ und seine großen Folgen“ (1975) finden sich aber geistesverwandte Passagen. Etwa: „Nur der Mythos vom vaginalen Orgasmus (und damit von der Bedeutung der Penetration) sichert den Männern das Sexmonopol über Frauen. Und nur das Sexmonopol sichert den Männern das private Monopol, das das Fundament des öffentlichen Monopols der Männergesellschaft über Frauen ist.“ Schwarzer postulierte damals auch die Überwindung der „Zwangsheterosexualität“: „Nur wenn das Dogma der Vorrangigkeit der Heterosexualität infrage gestellt wird, haben Frauen die Chance zu einer eigenständigen, nicht mannfixierten Entwicklung.“

„Vergewaltigung ist die Regel“

Schwarzer war damals nicht allein mit dieser Interpretation. Viele Feministinnen sahen Verzicht auf heterosexuellen Geschlechtsverkehr als wesentlich im Kampf gegen das Patriarchat. Und die US-Feministin Susan Brownmiller erklärte in „Gegen unseren Willen“ (1975), dass alle Männer von Vergewaltigungen profitieren, weil diese die Frauen in einem Zustand der Angst hielten. Schwarzer zitierte sie in „Der große Unterschied“ (2000) zustimmend: „Brownmiller wies nach: Vergewaltigung ist seit Jahrtausenden nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Der typische Vergewaltiger ist kein Perverser, sondern der ganz normale Mann von nebenan.“

Ministerin Schröder jedenfalls reagierte laut „Bild“ auf Schwarzers Brief fast kleinlaut: „Ich finde es schade, dass Frau Schwarzer mich persönlich angreift. Das hat sie doch gar nicht nötig.“

Alice Schwarzer ist derzeit auch mit einem zweiten Thema im öffentlichen Diskurs: mit ihrer Kritik am Islam. In einer Laudatio an Necla Kelek brachte sie unlängst eine interessante Beobachtung: Es sei symptomatisch, dass Verteidiger des Kopftuches dieses „Schamtuch“ nennen. „Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. ,Die Scham‘ – so wurde vor der Frauenbewegung das weibliche Sexualorgan genannt. Die Scham soll also nun bei Musliminnen der Kopf sein, von echt Gläubigen bedeckt mit einem Schamtuch?“

Man fragt sich: Ob diese brillante Denkerin nicht doch noch einmal Größe beweist und Theorien über Sexualität, die sie einst vertreten hat, intelligent revidiert?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2010)

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