Ungarn: Presse so wenig frei „wie in Weißrussland“

Ungarn: Presse so wenig frei „wie in Weißrussland“
Ungarn: Presse so wenig frei „wie in Weißrussland“Ungarns Premierminister Viktor Orbán (c) EPA (Laszlo Beliczay)
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Das ungarische Parlament beschließt ein umstrittenes Mediengesetz. Die rechtsnationale Regierung unter Premier Orbán kann ab Jänner kritischen Journalismus verhindern. Ungarn-Kenner Lendvai ist darüber "sehr traurig".

Die rechtsnationale Regierung unter Premier Viktor Orbán kann die Medien in Ungarn ab 1. Jänner 2011 nach ihrem Gutdünken kontrollieren.

Orbán: „Völlig europäisches Mediengesetz“

Mittels Salami-Taktik hat die Regierung während der vergangenen Monate den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zerschlagen, in der Nacht auf Dienstag beschloss die mit Zweidrittelmehrheit regierende Partei „Bund Junger Demokraten“ (Fidesz) ein restriktives Mediengesetz im Parlament, Oppositionspolitiker hatten vor der Abstimmung im Plenum mit zugeklebten Mündern und Maulkörben demonstriert.

Journalisten und international anerkannte Medienexperten prognostizieren das Ende der Pressefreiheit.  Die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zeigt sich wegen dieser Entwicklungen ebenfalls besorgt. Für Premier Orbán ist es hingegen „ein völlig europäisches Mediengesetz“.

Ist das neue Mediengesetz ein Anschlag auf die Pressefreiheit? Oder ist es ein wirkungsvoller Schutz gegen medienrechtliche Verstöße wie etwa üble Nachrede, Verleumdung oder Verletzung der Menschenwürde? Darüber wird in Ungarn zurzeit heftig gestritten. Mehrere ungarische linkspolitisch ausgerichtete Zeitungen protestierten bereits Anfang Dezember gegen das Gesetz, indem sie mit leeren Titelseiten erschienen. Tatsache ist, dass die im Oktober neu gegründete Medienkontrollbehörde ausschließlich mit Vertretern der Regierungspartei Fidesz besetzt ist. Die im Parlament vertretenen Oppositionsparteien sind nicht vertreten.

Existenzbedrohende Geldstrafen

Der Ermessensspielraum der neuen ungarischen Medienbehörde ist groß. So kann sie etwa hohe und sogar existenzbedrohende Geldstrafen über Medien verhängen. Bemerkt die Behörde in der Berichterstattung Verstöße gegen allgemeines Interesse oder gegen öffentliche Sitten, kann sie einschreiten – ohne sich auf eindeutig auslegbare Regeln beziehen zu müssen. Harte Strafen sind schon bisher üblich. Der private Fernsehsender TV2 muss 370.000 Euro Strafe zahlen, weil kürzlich Kandidatinnen in einer Partnervermittlungsshow eindeutig sexuelle Anspielungen gemacht haben. „Dies ist ein Verstoß gegen den Kinder- und Jugendschutz“, so die Begründung der Kontrollbehörde.

Lendvai „sehr traurig“

„Es kommt ganz darauf an, was die Behörde aus ihren Befugnissen tatsächlich machen wird“, sagt der Ungarn-Experte und Journalist Paul Lendvai im „Presse“-Gespräch. Er befürchte jedoch nichts Gutes: Die Regierung habe nun gesetzlich alle Möglichkeiten, die Medien „zu knebeln“ und die öffentliche Meinung zu steuern. „Das ist ein Schritt in Richtung Weißrussland und zurück in eine dunkle ungarische Ära.“ Lendvai sei „sehr traurig“ über diese antidemokratische Entwicklung. Er wünscht eine genaue Beobachtung und falls notwendig geeignete Schritte durch die Europäische Union.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20. Dezember 2010)

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