Resetarits Begründung: "Mom, Everything is OK"

Die Begründung der Bewerbung von Karin Resetarits-Kraml im Wortlaut.

"MOM, EVERYTHING IS OK.

Bilder sind stärker als Worte. Dieses Bild der österreichischen Künstlerin Barbara Philipp symbolisiert für mich den Zustand des ORF. Der ORF ist wie diese welkende Schönheit, liegt vollkommen fertig am Boden und will es vor jener Person verheimlichen, der er seine Existenz zu verdanken hat. Weil er zum Überleben noch Zuwendungen braucht.

Aufgabe des nächsten Generaldirektors (die hoffentlich eine gute Mom ist) wird sein, dieses ausgebrannte Häuflein Elend wieder aufzurichten und einen erfolgreichen Heilungsprozess einzuleiten.

Ich werde bei den kommenden GD-Wahlen antreten, weil beim politischen Pokern die Gesundheit des Unternehmens nicht zu kurz kommen darf. Momentan wird nur gerechnet, wer am ehesten die notwendigen 18 Stimmen vom Stiftungsrat bekommen wird. Dass dabei nicht nur politische Interessen bedient werden, sondern anscheinend auch pekuniäre, ist letzte Woche publik geworden. Vorausgesetzt der Inhalt des Emails von Walter Meischberger an ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz ist richtig.

Ich möchte mit meiner Kandidatur eine öffentliche Debatte in Schwung bringen, welche Aufgaben der künftige Generaldirektor und sein Team bewerkstelligen müssen, womit sie ihren Rucksack zu füllen haben. Es geht nicht, dass da ein willfähriger Diener seiner Herren, wer immer es sein mag, mehr schlecht als recht mit 18 Stimmen die Kurve kratzt und den ORF in den kommenden Jahren komplett gegen die Wand fährt.

Es gilt, die Frage zu klären: Was sind die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen ORF in den 10er Jahren des 21. Jahrhunderts, in einer Medienlandschaft, die noch nie so vielfältig und noch nie so stark gewesen ist? Welchen Rundfunk braucht das Land?

Barbara Philipps Bild, auf das sich Resetarits bezieht
Barbara Philipps Bild, auf das sich Resetarits bezieht(c) Karin Kraml

Der ORF war jahrzehntelang ein Monopol ohne Konkurrenz und noch immer beherrscht das sein Gebaren und unser Denken. Deshalb hilft bei der Beantwortung oben gestellter Fragen ein Positionswechsel.

Nehmen wir an, es gäbe eine öffentlich-rechtliche Zeitung, die durch den Kauf anderer Zeitungen durch Einhebung einer Zwangsgebühr finanziert wird. Welche Inhalte müsste das Medium transportieren, damit die Konsumenten eine solche Vorgangsweise akzeptieren? Wodurch würde sie sich von den marktorientierten Zeitungen unterscheiden? Welche Aufgaben fielen ihr zu?

Eine solche Zeitung müsste freigespielt sein von wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen. Nicht die Höhe der Auflage wäre der Gradmesser ihres Erfolges, sondern Qualität, Ansehen, Glaubwürdigkeit. Eine solche Zeitung wäre die journalistische Instanz im Land. Sie müsste Identität stiften und positiven Einfluss üben.

Und weil der ORF nicht nur eine journalistische Komponente hat sondern auch eine spielerische, müssten für seine Unterhaltungsprogramme dieselben Kriterien gelten. Auch sie sind Ausdruck der Kultur unseres Landes. Die Menschen haben Anrecht darauf, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen, was sie jahrein, jahraus durch ihre Steuergelder finanzieren: hochwertige Theater- und Opernübertragungen, Spielfilme und Kinodokumentationen zur besten Sendezeit. Zum Beispiel.

Ein öffentlich-rechtliches Medium hat nur dann einen Sinn, wenn es durch seine Sonderstellung auch ganz besondere Aufgaben wahrnimmt.

Ein öffentlich-rechtliches Medium wird zum Ärgernis, wenn es sich als privater Mitbewerber versteht.

Der ORF ist nicht öffentlich-rechtlich und privat zugleich, wie es in den 90er Jahren der damalige Generalintendant Gerhard Zeiler postulierte. In der heutigen Medienlandschaft ist diese Sichtweise falsch und somit entbehrlich. Denn der ORF hat damit in den letzten Jahren seine Glaubwürdigkeit verspielt. Er hat sein Alleinstellungsmerkmal verloren. Der ORF muss sich neu definieren, muss wieder eine Marke werden. Die Einnahmesituation Gebühren/Werbung/Productplacement/Sponsoring muss überdacht werden.

Schließlich will der Gebührenzahler wissen, wofür er monatlich 23 Euro zahlen soll. Etwa für ein Programm, das er genauso auch umsonst empfangen kann?
Speziell ORF 1 ist ein Sündenfall, der sich nicht rechnet. Amerikanische Serien und Blockbusterfilme bestimmen einen Großteil des Programms. Die kann man auch auf den privaten Kanälen sehen. Das Argument, dafür bekommen die Zuschauer auch österreichische Informationssendungen und Castingshows, gilt nicht. Die gibt es auch bei den Privaten. Gebührenfrei.

ORF 2 hat ebenfalls massive Probleme. Der Sender ist in die Jahre gekommen. Über weite Strecken laufen noch immer Formate, die in den 90ern von Gerhard Zeiler und Gerhard Weis geschaffen worden sind. Mit den Sendungen und ihren Moderatoren altert auch das Publikum.

Beide Sender müssen Persönlichkeit gewinnen. Sie müssen unverwechselbarer werden. Eigenständig, überraschend, mutig. Beim Radio ist das möglich. Hier gibt es in der Senderfamilie zwei starke Charaktere. Sowohl Ö1 wie auch FM4 haben verstanden, wie sie öffentlich-rechtliche Aufgaben attraktiv umsetzen und eine treue, zufriedene Zuhörerschaft aufbauen können.

Ein phantasievoller Umgang mit den Möglichkeiten des Mediums Fernsehen könnte verhindern, dass sich die Zuschauer von ORF 1 und ORF 2 weiterhin galoppierend verabschieden. ORF 1 liegt bei seiner Hauptzielgruppe, den Unter-Dreißigjährigen, regelmäßig hinter den deutschen Privaten Pro 7 und RTL und oft sogar schon hinter Puls4 und ATV.

Öffentlich-Rechtlich muß kein Programm unter Ausschluss der Öffentlichkeit sein. Im Gegenteil.

Der künftige GD braucht Mut. Er muss bereit sein, geplantes Programm umzustoßen, wenn besseres möglich ist. Er muss Menschen verstehen, ihre wechselnden Interessen spüren und darauf bei der Programmierung der Inhalte Rücksicht nehmen.

Fernsehen kann sich nur gegen seine Hauptkonkurrenten Internet, Spielkonsole und Heimkino durchsetzen, wenn es so wenig Konserven wie möglich einplant. Live-Information und Live-Unterhaltung sind absolute Must's, müssen zu Hauptbestandteilen des ORF-Programms werden.

Wenn ein Land wie Ägypten revoltiert, dann interessiert das die Österreicher zeitgleich über die übliche ZIB-Sendelänge hinaus. Hier muss das Medium sehr wendig sein und nicht wie ein träger Tanker agieren, der erst in Schwung kommt, wenn alles vorbei ist.
Sonst haben die Zuschauer ihren Informationshunger anderswo gestillt. Sondersendungen müssen stattfinden, Dokumentationen und passende Unterhaltungsformate wie Quizsendungen, etwa zum Thema "Die größten Revolutionen der Menschheitsgeschichte".

Der GD darf sich nicht als Gesellschaftstiger sondern als Programmtiger verstehen. Dieses Herzblut für die Produkte des ORF vermisse ich bei den diversen Verantwortlichen schon lange. Zuerst als Redakteurin, dann als Zuschauerin und jetzt als Produzentin.

Seit der Schaffung einer Entwicklungsabteilung im ORF wurde das eigenständige Kreieren von Programm nach und nach abgeschafft. Der ORF raubte das Selbstbewusstsein seiner Programmgestalter. Man schielte nur noch nach ausländischen Erfolgsformaten und hat sie einfach kopiert.

Der Sinn des ORF geht damit verloren. Denn die EU verteidigt die Subventionierung von audiovisuellen Medien mit Zähnen und Klauen bei der WTO, weil damit die Vielfalt der europäischen Kulturen gefördert werden soll. Wenn der ORF kopiert, amerikanisches Programm einkauft und fast nichts Eigenständiges mehr hervorbringt, stellt er sich selbst in Frage. Dann könnte man ihn eigentlich gleich privatisieren.
Will das wer?

Ich fände das schrecklich. Denn es fehlt an Qualitätsprogrammen. Seichte Unterhaltung gibt es genug. Wir brauchen einen starken ORF.
Ich sehe es als Staatsbürgerpflicht meinen Beitrag zu leisten.

Karin Kraml"

(Red.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wrabetz Einmal Superheld zurueck
Medien

Wrabetz: Einmal Superheld und zurück

Der neue alte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz könnte seinem Spitznamen "Super-Alex" alle Ehre machen und jetzt zeigen, wie ein unabhängiger ORF aussieht. Wenn er nur wollte.
Zwoelf Direktoren eine Direktorin
Medien

Zwölf Direktoren, eine Direktorin gesucht

ORF-Ausschreibung. Bis 9.September werden Bewerbungen für die vier Direktoren- und neun Landesdirektorenposten gesammelt. Bestellt wird am 15. September.
Wrabetz Niko Pelinka wird
Medien

Wrabetz: Niko Pelinka wird nicht Kommunikationschef

Der ORF-General räumt mit "völlig haltlosen Gerüchten" auf, dass der rote Stiftungsrat in den ORF wechselt. Martin Biedermann bleibt Chef der ORF-Kommunikation.
Ausschreibung sucht Direktoren
Medien

Ausschreibung: ORF sucht 13 Direktoren

Der Generaldirektor ist fixiert, nun fehlt noch sein Direktorium. Am Freitag werden die Chefposten ausgeschrieben, inoffiziell sind sie teils schon vergeben.
Medien

FPÖ: Zerwürfnis nach ORF-Wahl

Die FPÖ will Norbert Steger aus dem Stiftungsrat abziehen, weil er für Wrabetz gestimmt hat. Rechtlich ist das gar nicht möglich. Steger denkt aber nicht daran, sich vor dem Ende der Amtsperiode zurückzuziehen

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.