Big Brother: Panjugoslawisches Reality-Drama

(c) Erwin Wodicka
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Liebe kennt selbst im freiwilligen TV-Gefängnis keine Grenzen. Der grenzüberschreitende Herzschmerz einer Kroatin und eines Serben im Reality-TV zieht die einstigen Kriegsgegner Ex-Jugoslawiens in ihren Bann.

Gezählte 106 Tage lang labte sich ein Millionenpublikum an den Liebes-Turbulenzen zwischen der kroatischen Hausfrau Marijana und dem serbischen Studenten „Nemes“ Nikola. Die blonde Schöne mit dem inzwischen eher traurigen Blick hat das Belgrader „Big Brother“-Haus zwar Ende letzter Woche als Siegerin verlassen – doch auch nach Ende der ersten Staffel von „Veliki brat“ („Großer Bruder“) füllt das Reality-Drama die Schlagzeilen der Gazetten im früheren Jugo-Reich.

Mit Pop-, seichten Vorabend-Sendungen und Reality-Shows hat sich der serbische Sender Pink mit Ablegern in Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Montenegro als größter kommerzieller TV-Sender der Region etabliert. Das etwas angestaubte „Big Brother“-Konzept hatte Pink 2010 vom anspruchsvolleren Konkurrenten B92 übernommen. 21 Teilnehmer aus Bosnien, Kroatien, Mazedonien, Montenegro und Serbien fochten um Preisgeld und Medienruhm. Slowenien und Kosovo waren nicht dabei, weil die Jugendlichen dort kaum mehr Serbokroatisch sprechen.

Um etwaigen Äußerungen von Völkerhass erst gar nicht zu einem Millionenpublikum zu verhelfen, wurde die Live-Sendung mit einigen Minuten Verzögerung ausgestrahlt. Zuletzt hatte sich Pink in Serbien mehrere Rügen der Rundfunkaufsicht wegen rassistischer Äußerungen in seinen Reality-Shows eingefangen. Doch ob Bosnier, Kroaten oder Serben – Feind- und Freundschaften im Kandidatenfeld entwickelten sich zwanzig Jahre nach Beginn der Jugoslawien-Kriege eher aufgrund persönlicher Animositäten oder Sympathien und nicht entlang ethnischer Grenzen.

Liebe zum einstigen Feind erregt Gemüter

Liebe kennt selbst im freiwilligen TV-Gefängnis keine Grenzen. Ob geschickte Regie oder reiner Zufall: Schon in der zweiten Woche erwischte die unerbittliche Kamera die Kroatin Marijana aus Šibenik mit Nemes aus dem serbischen Požarevac im Bett. Doch nicht nur der kroatisch-serbische Funkenschlag sorgte für Medienwirbel: auch die Tatsache, dass die attraktive Hausfrau verheiratet ist und eine kleine Tochter hat. Noch während Marijanas Verbleib im BB-Haus kolportierten Medien, dass ihr Mann die Scheidung beantragt, ihr Vater sie verstoßen habe. Großen Anklang fanden auch Hass-Facebook-Sites gegen das turtelnde Paar: Noch mehr als über den Ehebruch schienen sich deren Kritiker über das Einlassen mit dem einstigen Feind zu erregen.

Doch das Publikum genoss das Drama – es schickte stets andere Konkurrenten vom Feld. Anfang Juni erklärte die von Eifersucht und Zweifeln geplagte Kroatin ihre Beziehung zu dem fünf Jahre jüngeren Serben zwar für beendet. Doch ihren Triumph konnte das abrupte Liebes-Aus nicht gefährden: Als erste Frau durfte die 27-Jährige die Behausung des „Veliki Brat“ als Siegerin mit einem Scheck über 104.000 Euro verlassen.

Erfolgreich übte sich der „Große Bruder“ in der Rolle als Prophet der Völkerverständigung – und binationaler Kuppler. Die Show ist zwar jetzt vorbei, doch gibt sie dem Boulevard noch immer Futter. Die Schlagzeilen über den Liebeskummer Marijanas, die sich vom Gatten getrennt hat, in eine Großstadt ziehen und auf Nemes warten will, reißen nicht ab. Die Mutter von Marijanas abgetauchtem Augapfel verkündet, dass sie ihren Sohn überzeugt hat, jeden Kontakt zu Marijana abzubrechen. Belgrader Medien haben indes ausgegraben, dass der Vater der Siegerin im kroatischen Knin in einem Haus vertriebener Serben lebt. Das Ende der Flut an Klatschberichten ist nicht abzusehen, kommt aber mit der nächsten Show bestimmt. Denn nicht das Leben, sondern Programmmacher diktieren den Rhythmus und das Verfallsdatum real inszenierter Liebesdramen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2011)

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