Beckermann: "Im ORF wird stur nach unten redigiert"

Beckermann wird stur nach
Beckermann wird stur nach(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann über schlechte Sendezeiten im ORF und den Grund, warum sie die ORF-Nachrichten nicht mehr anschauen will. Sie vermisst Intellektuelle, Kunstschaffende und Migranten im Programm.

Was hat Sie zum Filmen gebracht?

Ruth Beckermann: Ich bin ein politischer Mensch. Das war für mich der Grund, Journalistin zu werden, dann Dokumentarfilme zu machen. Auch wenn ich nicht glaube, dass Filme die Welt verändern können – zu Wissen und Aufklärung können sie beitragen.

Sie haben 1978 den Filmladen gegründet.

Es gab damals keine politischen Filme in Österreich, schon gar keine Dokumentarfilme. Also habe ich mit zwei Kollegen diesen Filmverleih gegründet, dort haben wir Filme aus Deutschland, Frankreich, England und Amerika über die Dritte Welt, die Frauen- oder die Anti-AKW-Bewegung verliehen.

Hat sich die Lage gebessert?

Ja, in vielen Bereichen: Es gibt ein Gesetz, dass die Produktion von Filmen gefördert werden muss – vom Bund, den Gemeinden, verschiedenen Institutionen. Also gibt es Geld, das die Entwicklung einer Filmszene ja überhaupt erst möglich macht. Ohne öffentliche Förderung geht es nirgends in Europa.

Und wie geht es Filmemachern im öffentlich-rechtlichen ORF?

Sehr schlecht. Zwar ist der ORF gezwungen, einen Teil der österreichischen Filmproduktion mitzufinanzieren, das heißt aber nicht, dass sich der ORF mit diesen Filmen identifiziert, sie bewirbt oder an für arbeitende Menschen zugänglichen Sendezeiten ausstrahlt. Es gibt auch keine Matineen für Dokumentarfilme wie in der Schweiz oder Deutschland. Was ich als schlimmer, wenn nicht kränkend empfinde, ist, dass der ORF das kreative Potenzial der Film- und Kulturschaffenden, der Intellektuellen des Landes nicht nutzt. Wir werden ja gar nicht gefragt, ob wir etwas für den ORF machen wollen, stattdessen ersetzen die Kabarettisten alle. Ich habe nichts gegen gutes Kabarett, aber es ist nur eine von vielen Formen der Interpretation der Welt.

Der ORF beruft sich aufs Sparbudget.

Man kann ja auch kleine Formate machen, die nicht teuer sind. All meine Freunde in Frankreich und Deutschland arbeiten auch fürs Fernsehen. Mich hat nie jemand gefragt. Vielleicht denkt der ORF: Die macht Filme für eine Minderheit. Aber woher wissen die, dass ich nichts anderes kann und will? Im ORF wird alles stur nach unten redigiert. Gerd Bacher hat viel ermöglicht. Damals war die Frage: Wie kann ich das Publikum hinaufziehen. Heute bleibt man auf dem Meeresgrund. Gleichzeitig gibt der ORF viel Geld für Repräsentanz aus, für Dominic Heinzls Studio oder für Frisuren. Die Tapete ist wichtiger geworden als die Recherche.

Zweites ORF-Argument: die Quote.

Ich habe unlängst ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz getroffen, der einst die „Kunststücke“ gemacht und die Valie-Export-Serie „Das bewaffnete Auge“ finanziert hat. Er sagt: So etwas ist heute nicht mehr möglich. Aber warum nicht? Ich bin überzeugt, dass qualitätsvolle Programme ihr Publikum finden würden. Eine öffentlich-rechtliche Anstalt hat schließlich den Auftrag, Kultur zu produzieren und aufklärerisch zu wirken. Denn sonst gibt es keinen Grund, warum wir uns diese Anstalt leisten. Der ORF könnte sich durch groß angelegte Projekte profilieren.

Was schauen Sie im Fernsehen?

Ich schaue nur spezielle Sendungen – zum Beispiel das fantastische „Le dessous des cartes“ auf Arte, in dem Jean-Christophe Victor jede Woche ausgehend von Landkarten hochintelligente Essays spricht. Oder „Democracy Now“ auf Okto mit Amy Goodman. Sie ist keine junge sexy Biene, aber sie führt wunderbare Gespräche. Im ORF schaue ich manchmal „Club2“ oder „Schauplatz“. Die Nachrichten früher auch, aber seit dort Mitglieder der Redaktion andere Mitglieder der Redaktion interviewen, statt dass man sich überlegt, welchen Experten man zum Thema einladen kann, haben die auch einen Tiefststand erreicht, der nicht zu unterbieten ist. Als ich mit 18 unter Jens Tschebull beim „Trend“ angefangen habe, hat er gesagt: „Taxifahrer und Journalisten zitiert man nicht.“

Braucht es öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Ja. Weil sonst vieles gar nicht möglich wäre – Sendungen, die keine Quote bringen, zum Beispiel. Früher war das Wichtigste für den ORF, eine gewisse nationale Identität zu gestalten – Themen aus der Vergangenheit wurden etwa in Peter Turrinis „Alpensaga“ oder in Sendungen über die österreichische Geschichte aufgearbeitet. Mittlerweile hat sich die Gesellschaft völlig verändert – die Themen in der Bevölkerung, die eine migrantische ist, müssen reflektiert werden. Es wäre doch eine Chance, türkische, serbische, kroatische Themen aufzubereiten, die Vermischung der Kulturen. Wenn ich in Grinzing ins Krapfenwaldbad gehe, dann sehe ich junge Frauen und Männer, meist Studenten, die zu zwei Dritteln gemischt aussehen. Aber sehe ich sie im Fernsehen? Nein. Sie sprechen alle perfekt Deutsch, sind zum Teil hochgebildet, interessant, aber sie kommen nicht vor. Österreich ist viel spannender und avancierter, als es sich im ORF spiegelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2011)

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