McLuhan hätte Twitter gehasst, nicht ignoriert

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Die Thesen des Medientheoretikers Marshall McLuhan scheinen aktueller denn je. Rund um das Jubiläum wird sein Werk wieder genauer betrachtet, etwa in der hervorragenden Biografie von Douglas Coupland.

Marshall McLuhan war ein schlechter Zuhörer, aber er liebte es, von einem großen Publikum gehört zu werden. Er war ein hochgradig intelligenter Mensch, der vor Ideen übersprudelte, aber er tat sich schwer, seine Theorien zu Papier zu bringen, weshalb er sich für die Arbeit an seinen Büchern oft Partner suchte. Marshall McLuhan war ein Meister der kurzen Form. Nicht nur deshalb hätte er sich unter allen neuen Kanälen im Internet besonders mit dem Kurznachrichtendienst Twitter angefreundet, mit dem maximal 140 Zeichen lange Botschaften verschickt werden können, die gern „Aphorismen 2.0“ genannt werden.

Dabei ist völlig klar: Er hätte Twitter gehasst, so wie er das Fernsehen verabscheut hat und jede neue Technik, die uns Menschen und die Art, wie wir denken, verändert. Diese Abneigung hätte ihn aber nicht abgehalten, das Medium zu nutzen und von innen zu durchdringen (so wie er auch gern Gast im Fernsehen war). Das „globale Dorf“, in dem sich der Nutzer beim Twittern bewegt, hat er vor vier Jahrzehnten vorhergesagt. Der Nachrichtendienst hätte ihm aber auch deshalb gefallen, weil er damit bequem und schnell berühmter geworden wäre. Letztlich ging es dem kanadischen Medientheoretiker, der heute vor 100 Jahren geboren wurde, immer auch darum, sich einen Namen zu machen. Das hatte er von seiner Mutter Elsie. Einer dominanten Lehrerin und Sprachenerzieherin, die ihm das Auswendiglernen und Rezitieren von englischer Literatur und Lyrik beibrachte, aber auch den beinah krankhaften Ehrgeiz, berühmt zu werden, an ihn weitergab.

Das Medium ist die Massage

Den Höhepunkt der Karriere ihres Sohnes Mitte der 1960er-Jahre konnte Elsie McLuhan nicht mehr erleben. 1963 hatte er als Englischprofessor an der University of Toronto am Campus sein „Centre for Culture and Technology“ gegründet, ein Jahr später verkaufte sich sein jüngstes Buch „Understanding Media“ besser als jedes davor. Er war ständiger Gast in Talkshows, der „Playboy“ interviewte ihn und das „Time“-Magazin hievte ihn auf die Titelseite. Schlagzeile: „Kanadas intellektueller Komet“. Im Amerika der 1960er-Jahre war es chic, Marshall McLuhan zu lesen oder zumindest vorzugeben, das getan zu haben (anders war das übrigens in Europa, wo seine Thesen wenig bis gar nicht rezipiert wurden). Dabei ist es mit den Ideen des Medientheoretikers so wie mit einem Lied, von dem jeder die Melodie kennt, aber niemand den Text, schreibt Douglas Coupland in seiner McLuhan-Biografie, die soeben rechtzeitig zum 100.Geburtstag auf Deutsch erschienen ist.

Jeder kennt einige dieser knackigen McLuhanismen, die sich perfekt als Twitter-Botschaften eignen würden: „The medium is the message and is also the massage.“ Er sah das Medium nicht nur als Botschaft, sondern als Massage, weil die Sinne von ihm durchdrungen und umgeformt werden. Oder: „Wir betrachten die Gegenwart im Rückspiegel.“ „Im elektronischen Zeitalter tragen wir die Menschheit auf unserer Haut.“

Kaum einer weiß, was diese Aussagen wirklich bedeuten. Auch wenn McLuhan erklärte, dass schon das Medium selbst die Botschaft ist und nicht der Inhalt, hielt er den Inhalt deshalb nicht für vollkommen unwichtig, sondern eben nur zweitrangig.

Die Reduktion auf eine einprägsame Botschaft kennt der kanadische Autor Douglas Coupland seit seinem Roman „Generation X“ (1991) ebenso. Auch deshalb wollte er sich genauer mit seinem Vorbild McLuhan auseinandersetzen. Wie gut, dass er das getan hat. Das Ergebnis ist eine äußerst kurzweilige, sehr persönliche Biografie über den zerstreuten Professor, Rhetoriker und James-Joyce-Fan, der 1937 zum Katholizismus konvertierte. Dabei konzentriert sich Coupland weniger auf die einzelnen Thesen des „Orakels der modernen Zeit“ (©Tom Wolfe), mehr auf dessen Werdegang, persönliche Entwicklung und körperliche Gebrechen: McLuhan musste sich 1967 einen Gehirntumor entfernen lassen und er erlitt schon früh viele kleine Schlaganfälle, der letzte, ein Jahr vor seinem Tod 1980, zerstörte sein Sprachzentrum.

Gastauftritt bei Woody Allen

Auffallend ist, wie schnell das Interesse an McLuhan in den USA nachließ, plötzlich war es chic, seine Theorien zu kritisieren. Als ihm Woody Allen 1977 im Film „Annie Hall“ einen Gastauftritt bescherte, in dem er einem Angeber an der Kinokasse den wahren Kern seiner Thesen erklärt, war er längst nicht mehr der coole Medienprofessor. Erst vor rund einem Jahrzehnt begann eine neue intensive Auseinandersetzung mit dem Mann, der in vielerlei Hinsicht das Internet, aber auch Geräte wie das iPad vorausgesagt hat: „Das nächste Medium, was immer es ist, wird das Fernsehen als Inhalt mit einbeziehen [...] und es in eine Kunstform verwandeln. Der Computer [...] könnte die Recherche von Information steigern, die Zentralbibliotheken überflüssig machen...“

Ein kleiner Hype ist nun zu seinem 100. Geburtstag ausgebrochen. Einer seiner Klassiker „The Medium is the Massage“ wurde in mehreren Ländern neu aufgelegt. Ein collageartiges Werk, das ihm zwar die meisten jungen Leser bescherte, das aber ironischerweise nicht er, sondern sein Fan Jerome Agel geschrieben hatte. Ins Deutsche übersetzt haben es Martin Baltes und Rainer Höltschl, die zeitgleich einen schmalen Band mit dem legendären „Playboy“-Interview von 1969 und gut ausgewählten Texten aus McLuhans Büchern veröffentlichten. Die Aufmerksamkeit um seine Person hätte McLuhan vermutlich gefallen.
Douglas Coupland: „Marshall McLuhan“ (Tropen bei Klett-Cotta); Martin Baltes, Rainer Höltschl: „absolute Marshall McLuhan“ (Orange Press); Jerome Agel: „Das Medium ist die Massage“ (Klett-Cotta)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2011)

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