Zwischen Quotendilemma und fehlender Medienpolitik

Zwischen Quotendilemma fehlender Medienpolitik
Zwischen Quotendilemma fehlender Medienpolitik(c) APA (Jaeger)
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Als Ex-Monopolist hält sich der ORF noch vergleichsweise gut auf dem Markt. Langfristig wird man aber nicht darum herumkommen, neue Finanzierungsmodelle zu diskutieren. Eine Analyse.

Wien. „Der ORF hat strategische Probleme und steckt in einem Dilemma, das kein Manager der Welt lösen kann – auch RTL-Chef Gerhard Zeiler (er war Wunschkandidat der ÖVP für den ORF-Chefsessel; Anm.) oder irgendein Wunderwuzzi könnte das nicht“, konstatiert Medienwissenschaftler Matthias Karmasin.

Es ist offensichtlich: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht mehr als eine Imagepolitur. Dass sich sein nationaler Marktanteil im Vergleich zu anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkstationen Europas durchaus sehen lassen kann, bezeugt zwar, dass er als ehemaliger Monopolist noch immer davon profitiert, dass Österreich erst 2001 – als letztes Land Europas – dualen Rundfunk einführte und damit 15 Jahre hinter der Entwicklung in Deutschland hinterherhinkt.

Das ORF-Fernsehen lag im Jahr 2010 mit einem nationalen Marktanteil von 37,8 Prozent immer unter den Top 5 der öffentlich-rechtlichen Sendergruppen Europas, im Februar 2011 mit 41,2 sogar auf Platz zwei (siehe Grafik). Doch die Marktanteilskurve zeigt deutlich nach unten.

Durch die Verbreitung von Kabel- und Satellitenanschlüssen steigt der Konkurrenzdruck: 2006 konnten in einem durchschnittlichen österreichischen TV-Haushalt 56 TV-Programme empfangen werden, 2010 waren es schon 93. In Kabel-/Sat-Haushalten ist der ORF-Marktanteil seit dem Amtsantritt von Alexander Wrabetz 2007 von 43,1 auf 38,2 Prozent gesunken. Womit die Talsohle nach Ansicht von Reinhard Christl, Leiter des Instituts für Journalismus der FH Wien, noch nicht erreicht ist: „Die Marktanteile des ORF werden auch bei besten Leistungen seiner Mitarbeiter unter 30 Prozent sinken.“ Das ist kein öffentlich-rechtliches Einzelschicksal: BBC 1 und BBC 2 bzw. ARD und ZDF erreichen jeweils zusammengerechnet in ihren Märkten weniger als 30 Prozent Marktanteil. Und, schlimmer: In der jungen Zielgruppe droht den Öffentlich-Rechtlichen das Abdriften in die Bedeutungslosigkeit, meint Christl.

(c) Die Presse / HR

ORF-Abhängigkeit von Gebühren steigt

Mit den Marktanteilen schwinden die Werbeeinnahmen. Auf dem TV-Werbemarkt in Österreich gewinnen die Privaten ständig Anteile: Im 1.Halbjahr 2011 lukrierten sie laut Focus Media Research um 21 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres – während das ORF-TV 7,4 Prozent verlor. Die Privaten sind auf bestem Wege, gemeinsam bald doppelt so hohe Bruttowerbeeinnahmen zu erzielen wie der ORF. „Natürlich gewinnen Privatsender Marktanteile, aber die Frage ist: Wie viel Österreich-Bezug haben sie in ihrem Content, und wie schaut es mit der Wertschöpfung aus?“, meint Karmasin: „Medienökonomisch gesehen fließt durch die Werbefenster einiges an Wertschöpfung ab.“

Insgesamt lag der ORF im ersten Halbjahr mit Werbeeinnahmen von 111,1 Millionen Euro (TV und Radio) über Plan. Doch an der langfristigen Verschiebung des Finanzierungsgefüges ändert das nichts: Im Jahr 2000 hatte er noch in etwa gleich viel Einnahmen aus Werbung und Gebühren. 2009 war die Werbung mit 24,7 Prozent der Gesamteinnahmen nicht einmal mehr halb so hoch wie das Programmentgelt (58,3 Prozent). Die Abhängigkeit von Gebühren steigt.

Womit man sich dem Kern des Problems nähert: der Frage der Finanzierung und der daraus resultierenden Abhängigkeit von der Politik. „Wir brauchen einen der Qualität noch stärker verpflichteten ORF, aber auch hochwertige Printmedien und einen Qualitätsjournalismus online, damit die Leute nicht irgendwelchen wahnwitzigen Thesen im Internet ausgeliefert sind. Wir brauchen mehr Qualitätsjournalismus im Dienste der Aufklärung“, mahnt Christl – und spricht dabei von „eher mehr als weniger Geld“. Und das nicht nur für den ORF: „Es muss ein Gesamtkonzept zur Förderung von qualitativem Journalismus geben.“ Denn so wie in den USA, wo sich die nicht kommerzielle TV-Senderkette PBS (Public Broadcasting Service) hauptsächlich aus Spenden finanziert, kann es nicht funktionieren. Für derartiges Mäzenatentum fehlt es an Tradition.

Ein werbefreier ORF wäre unabhängiger

Generell gehe der Trend in Richtung einer reinen Gebühren- und Steuerfinanzierung von Öffentlich-Rechtlichen, so Christl. In Großbritannien, Schweden, Norwegen, Dänemark seien diese Sender werbefrei. Wäre es auch der ORF, „hätten wir die Finanzierungsprobleme der Print- und Onlinemedien gelöst“ – sie hätten ihren stärksten Konkurrenten auf dem Werbemarkt nicht mehr, und der ORF müsste ihnen nicht mit aller Gewalt durch konkurrenzierende Angebote das Wasser abgraben. Gleichzeitig wäre der ORF aus der Zwickmühle befreit, dass er Qualitätsansprüchen gerecht werden soll, sich aber auf dem Werbemarkt finanzieren muss und daher auf Massenprogramme setzt.

Wie soll sich der ORF dann finanzieren? „Qualitätsjournalismus ist volkswirtschaftlich gesehen ein Gut, von dem mehr angeboten werden sollte, als nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten angeboten wird. Der Staat sollte sich verpflichtet fühlen, so etwas zu finanzieren – deshalb wäre eine Steuerfinanzierung die ehrlichste Variante.“ Gleichzeitig müsse man „aufhören, den Boulevard mit öffentlichen Inseraten zu fördern, oder Parteizeitungen, die keiner liest“. Die Presseförderung sei neu aufzustellen und nach Qualitätskriterien zu verteilen. Der ORF sollte, „sagen wir, eine Milliarde Euro pro Jahr“ bekommen, meint Christl – etwas mehr, als er derzeit an Budget hat. Das Geld sollte ihm mit Zweidrittelmehrheit im Parlament zugesprochen werden – samt Inflationsbereinigung. „Damit wäre der ORF so unabhängig wie noch nie und könnte nicht mehr am Nasenring durch die Manege gezogen werden.“

In all diesen Bereichen wäre die Politik gefordert. Doch diese beschränkt sich auf ihre eigenen Befindlichkeiten, kritisiert Karmasin: „Medienpolitik wird in Österreich auf die Frage reduziert: Komme ich als Partei oder Politiker in den Medien gut vor? Eine langfristige Strategie fehlt mir.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2011)

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