"Meine Vorfahren nannten es 'Schlächterei'"

(c) AP (MURAD SEZER)
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Vor fünf Jahren wurde in Istanbul der Journalist Hrant Dink ermordet. Er kämpfte gegen die Verleugnung des Völkermords an den Armeniern. Gesetze gegen dessen Leugnung lehnte er ab.

Vermutlich wird 2007 ein noch schwierigeres Jahr werden als das vergangene. Wer weiß, welchen Ungerechtigkeiten ich ausgesetzt sein werde?", stand im letzten Tagebucheintrag von Hrant Dink am 12. Jänner 2007. Eine Woche später starb er auf offener Straße in Istanbul, von Kugeln durchlöchert.

Mit seiner Zeitung „Agos" hat der armenisch-türkische Journalist für eine Versöhnung zwischen Armeniern und Türken gearbeitet und den türkischen Staat immer wieder dazu aufgerufen, sich dem schwärzesten Kapitel seiner Geschichte zu stellen, dem Völkermord an den Armeniern. Dafür erhielt er Morddrohungen, wurde wiederholt angeklagt, einmal inhaftiert, schließlich ermordet. Der 17-jährige Täter wurde im August vergangenen Jahres zu 22 Jahren, am Dienstag sein rechtsnationalistischer Anstifter zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Doch die eigentlichen Drahtzieher in Polizei und Militär blieben verschont, obwohl es so viele Hinweise auf ihre Beteiligung gibt und die Vorgänge rund um Ermordung und Prozess von Ungereimtheiten strotzen.

Aber nicht nur deswegen sind die Internetblogs fünf Jahre nach dem Mord wieder voll von Erinnerungen an den „armenischen Martin Luther King", wie er bereits tituliert wurde. Ein weiterer Grund dafür liegt in Frankreich. Dort hat das Parlament am 22. Dezember eine Gesetzesvorlage verabschiedet, die die Leugnung des Genozids unter Strafe stellt; am Montag kommt sie im französischen Senat zur Abstimmung. Man könnte glauben, dass Hrant Dink ein Gewährsmann für die Nützlichkeit eines solchen Gesetzes ist. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Genozidleugnungsgesetz ...

Drei Monate vor seinem Tod, als das französische Parlament zum ersten Mal ein Genozidleugnungsgesetz verabschiedete (das dann nicht in Kraft trat), hat Dink sich im französischen Nachrichtenmagazin „L'Express" dazu geäußert. Er stellte das Gesetz auf eine Stufe mit dem türkischen Verbot, von Genozid zu sprechen, und kündigte an: „Wenn es verabschiedet wird, komme ich zu euch und werde dagegen verstoßen, indem ich den armenischen Genozid leugne."

Er berief sich dabei nicht nur auf das Prinzip der Meinungsfreiheit. Dink sprach auch deshalb von einem „idiotischen" Gesetz, weil sich so die Türkei als Opfer statt als Täter fühlen könnte. Vor allem aber war er der Meinung, dass das Beharren auf einem „Genozid" eine Versöhnung zwischen Armeniern und Türken verhindere. In der von ihm gegründeten armenisch-türkischen Zeitung „Agos" rief er immer wieder dazu auf, sich nicht auf dieses Wort zu versteifen - wer das tue, wolle keine Lösung des Konfliktes. „Ich weiß, was meinen Vorfahren widerfahren ist. Einige mögen es Massaker nennen, einige Völkermord, einige Vertreibung, einige Katastrophe. Meine Vorfahren haben es nach anatolischer Art und Weise ,Schlächterei‘ genannt. Ich nenne es Verwüstung."

In der armenischen Diaspora war Hrant Dink für seine Position nicht nur beliebt. Er lebe mit den Türken von heute, die Diaspora mit den Türken von 1915, sagte er einmal. Die Anerkennung des durch die Verbrechen von 1915 erlittenen Schmerzes müsse aus dem Herzen der türkischen Gesellschaft kommen und nicht durch ausländische Resolutionen. Und die Türkei sei einfach noch nicht so weit.

So wie er argumentieren heute auch viele Menschen in der Türkei, das armenische Patriarchat ebenso wie kritische Türken. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass es seit einigen Jahren in diesem Land eine nie da gewesene freie Debatte über die offizielle Geschichte gebe, ganz besonders seit der Ermordung von Hrant Dink. Das französische Gesetz sei Wasser auf die Mühlen der Nationalisten, sagt etwa der in Straßburg lehrende Historiker Samim Akgönül. Denn diese hätten kritischen Geistern immer schon gern unterstellt, im Sold feindlicher Mächte zu stehen.

... idiotisch und heuchlerisch

Zu all diesen Argumenten gegen das französische Genozidgesetz kommt noch ein moralisches. Hrant Dink warf europäischen Ländern wie Deutschland und Frankreich Arroganz und Heuchelei vor. Sie würden die Geschichte benutzen, um der Türkei den Weg in die EU zu versperren, und damit den Tod von (je nach Schätzung) 300.000 bis eineinhalb Millionen Armeniern instrumentalisieren. (Heute hat der französische Präsident Nicolas Sarkozy noch einen anderen Grund. Er will sich für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen die wichtige Unterstützung der in Frankreich lebenden Armenier sichern.)

Europa blieb untätig

Und zu guter Letzt: Die Türkei sei nicht als einziges Land verantwortlich für die Massaker von 1915, erinnerte Dink. Die europäischen Mächte hätten Bescheid gewusst, aber nicht eingegriffen.

Heute könne die EU das nicht durch Genozidgesetze wiedergutmachen, sondern indem sie die Demokratisierung der Türkei und - etwa durch wirtschaftliche Projekte im Grenzbereich - deren Annäherung an den armenischen Nachbarstaat fördere.

Auch wenn weder die Türkei noch die EU derzeit am Vermächtnis Hrant Dinks interessiert zu sein scheint: Die Zivilgesellschaft hat ihn nicht vergessen. Über 100.000 Menschen marschierten seinerzeit beim Begräbnis mit, Zehntausende demonstrierten diese Woche in der Türkei gegen den empörenden Prozessausgang.

Nicht nur die Bürger der Bewegung „Friends of Hrant Dink" halten die Erinnerung an ihn wach, sondern Menschen in der ganzen Welt, die sich um eine Versöhnung von Türken und Armeniern bemühen. Texte von Dink in deutscher Übersetzung gibt es nur wenige, der Journalist Günter Seufert hat einige in einem Buch versammelt mit dem hoffnungsvollen Titel: „Von der Saat der Worte".

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2012)

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