Franz Schuh: "Die Unabhängigkeit ist ein reiner Fetisch"

Franz Schuh Unabhaengigkeit reiner
Franz Schuh Unabhaengigkeit reiner(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Essayist und Vielfernseher spricht über die "Tragödie", die die aktuellen ORF-Ereignisse für ihn sind, den Wandel der Sozialdemokratie und das hochgesteckte, aber unerreichbare Ideal der Unabhängigkeit.

Die Ereignisse im ORF rund um politisch paktierte Postenbesetzungen wurden verniedlichend als „Posse“ bezeichnet oder als „Causa“. Wie würden Sie es nennen?

Franz Schuh: Ich nenne es eine Tragödie. Wenn Tragödie auf der Erregung von Furcht und Mitleid beruht, dann habe ich vor allem maßloses Mitleid empfunden. Was aus jemandem wie Alexander Wrabetz hat werden müssen, sieht man jetzt. Es ist nicht nur das zufällige Individuum, das da agiert, sondern in den individuellen Charakter sind die Schritte eingeschrieben, die man tun muss, um die Karriereleiter hinaufzusteigen. Aber es erfüllt mich auch mit Furcht vor Menschen, egal, ob sie politisch agieren oder anders, die an der Macht sind, aber nicht das geringste machiavellistische Taktgefühl haben. Am gescheitesten wäre es, das Ganze neu zu gründen.

Was?

Den ORF.

Wie könnte das aussehen?

Das weiß ich nicht, dazu reicht mein Verstand nicht. Es müsste gelingen, den eingerissenen Methoden, die so selbstverständlich sind, dass sich alle wundern, warum sich überhaupt wer wundert, juristisch beizukommen. Aber den Vorschlag, man soll den ORF abschaffen und dafür privaten Sendern Geld geben, damit sie auch öffentlich-rechtliches Programm machen – davor fürchte ich mich. Diese Zweipoligkeit von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk ist Teil unserer Medienfreiheit. Aus meiner Sicht konzentriert sich in den Personen, die im ORF einmal an der Macht waren, sehr viel Verräterisch-Politisches. Gerd Bacher nannte sich zwar einen heimatlosen Rechten, aber es gab eine Zeit, in der er als Rechter gar nicht so heimatlos war. Ernst Wolfram Marboe war ein sentimentaler Christlichsozialer mit einer merkwürdigen Art, die eigenen Sünden ständig zu bekennen und sie mit dem Bekenntnis gleichzeitig zu rechtfertigen, nicht zuletzt im Horizont der Weisheit: „Wir sind alle Sünder“. Dann war einmal ein Beamter dran, aber schließlich kam ein Vertreter der kapitalistischen Medienindustrie. Der war zufällig ein Sekretär von einem Roten, das hat aber gar nichts zu sagen, denn in den technokratischen Herrschaftsschichten ist links und rechts gleichgültig. Diese Medienindustrie produziert im Wesentlichen Sendungen wie „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, also menschen- und publikumsverachtendes Programm, das aber das Publikum äußerst gut unterhält.


Und wo steht das Fernsehen heute?

Ich würde empfehlen, das uns so vertraute Fernsehen als etwas Fremdes zu sehen. Der Mensch, der arbeitet und der dafür erwachsen sein soll, bekommt jeden Abend Höhlenmalerei aus beweglichen Bildern vorgesetzt. Eine Höhlenmalerei, die ein nationales Weltbild herstellt. Wir haben über Südamerika so gut wie keine Berichterstattung. Wir sind in den Nahen Osten vertieft, weil von dort das Öl herkommt und weil wir zufällig einen wunderbaren Reporter haben, der Arabisch versteht. Diese Höhlenmalerei malt nicht den Weltzusammenhang, sie versucht, die eigene Großhöhle als die Welt zu überliefern. Das hat früher, da der ORF als Monopol konkurrenzlos war, Selbstreflexionen ermöglicht, wie die Alpensaga oder Axel Cortis Filme. Das war eine Vertiefung unserer einsamen Identität, und es war zugleich mit der Welt kompatibel. So etwas riskiert man heute nicht – auch wegen der Verdopplung des Problems: Der ORF ist im Würgegriff der Parteien und steht andererseits in Konkurrenz zu den Privaten, die vor Augen führen, auf welchem Niveau man die besten Mediengeschäfte macht und was im Publikum drinsteckt, wenn man es nur hervorlockt.

Hätte die aktuelle ORF-Posse Potenzial für
eine Serie oder einen Spielfilm?

Da muss man künstlerisch denken: Man kann aus allem eine Serie machen, sogar aus unserem Interview – „Mitten im Ersten“ wäre ein schöner Titel für unsere Serie. Die Frage ist nur, wie man es macht. Ich bin ein verzweifelter Zuschauer, der sich nicht erklären kann, warum so viele Filme von Xaver Schwarzenberger stammen. Diese Mittelstandsästhetik, die da ununterbrochen zum Vorschein kommt, die ist nun wirklich beschränkt.

Die ORF-Debatte hat auch Künstler wie Jelinek und die hauseigenen „Staatskünstler“ inspiriert. Hat Sie das überrascht?

Nein. Aber unsere Revolte hat noch gar nichts von einer Revolution. Man bemerkt einen Umstand, und während man die Roten angreift, haben die Schwarzen längst schon wahnwitzige Vormachtstellungen in dem System inne. Ich möchte das Problem noch einmal definieren: Ich bin von Herzen ein Gegner des Josef Ostermayer. Der denkt nämlich so: Der Staat gehört den Bürgern, und die Parteien vertreten die Bürger. Die Parteien haben daher das Recht, das Staatseigentum, dazu gehört der ORF, unter sich aufzuteilen. Das ist ja die Demokratie, und wer gegen diese Aufteilung ist, ist undemokratisch. Der Fehler daran ist, dass die Herstellung von Öffentlichkeit nur in Distanz zu den Parteieninteressen erfolgen kann. Öffentlichkeit ist ein eigener Wert, der die Unabhängigkeit nötig hat, um sinnvoll realisiert zu werden. Wenn ich mich aber mit meinen Fingern auf alles stürze, ohne Distanz zuzulassen, und jene, die meine Herumfingerei kritisieren, als undemokratisch denunziere, fehlt mir das Verständnis für die Herstellung von Öffentlichkeit. Das Problem ist allerdings: Die Unabhängigkeit ist ein reiner Fetisch, es gibt keine totale Unabhängigkeit, nur eine relative und punktuelle. Und weil das alle wissen, fällt es so leicht, diese Unabhängigkeit beliebig zu unterlaufen. Sie ist ein so hochgestecktes Ideal, dass man im wirklichen Leben lieber darunter durchläuft.


Die Debatte ist auch eine über den Zustand der Sozialdemokratie.

Es zeigt sich – aus Gründen der Entpolitisierung – eine Verwandlung der Sozialdemokratie: Sie ist ein Karrierespender für Individuen und ein Kanzlerwahlverein für ein Kollektiv. Die Karrieristen nehmen an der Zahl zu, und das Kollektiv nimmt ab. Das ist seit der Rolle des Hannes Androsch in der Sozialdemokratie klar. Kreisky war ein Ideologe, im schlechten, aber auch im guten Sinne; er hatte eine Idee. Kreisky hat noch vorgemacht, dass man als Bürgerlicher bei der Voest mit genagelten Schuhen Eindruck machen kann. Das konnte ein Franz Vranitzky aber nicht mehr, denn der verkörperte einen Teil der SPÖ, der von sich, ob nun unterschwellig oder offen, sagt: „Nie wieder werden wir so arm sein wie unsere Väter.“ Das gesellschaftliche System produziert aber immer wieder Armut oder Furcht vor dem Verlust des relativen Wohlstandes. Und was sollen jetzt diese endlich Reichen dazu sagen?

Was in der ORF-Diskussion so gut wie untergeht, ist das, worum es beim Fernsehen eigentlich geht: das Programm. Dem deutschsprachigen Fernsehen laufen die Zuseher weg, weil sie lieber gut gemachte US-Serien im Internet sehen statt jeden Sonntag den „Tatort“. Was läuft da schief?

Es gibt einen wesentlichen Unterschied: Die Amerikaner haben die Popular Culture nie tabuisiert, dadurch sind sie in der Lage, sie unbefangen, also auch künstlerisch, zu produzieren. Bei uns hat die Verurteilung des Populären eine Schwäche im Umgang mit ihr erzeugt. Dieser Teil der Kultur ist mit Krampf und Anstrengung belegt. Und das ist für ein Medium wie das Fernsehen lähmend. Man kann sehen, wie eine anbetungswürdige Schauspielerin wie Ursula Strauss durch die kulturindustrielle Standardisierung zu einer Muppet-Figur wird. Man soll aber nicht übersehen, dass es in der Ödnis auch einen Helmut Dietl gibt! Ja, die „Tatorte“ – diese Sentimentalisierung der Handlung ist auffallend. Das gehört zum Schwersten in unserer Kultur, dem Verbrechen eine adäquate Darstellung zu verschaffen.

Haben Sie einen Rat an die neue TV-Chefin im ORF, wie heute Programm zu machen wäre.

Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, es hätte einen Sinn, wenn ich einer Verantwortlichen sage, sie soll dieses oder jenes machen. Ich sag es nur aus Furcht: Sie möge nicht allzu sehr in die Fußstapfen der Schule geraten, aus der sie kommt – und das ist im Grunde ein kommerzielles Fernsehdenken. Wenn sie mit ihren relativ geringen Gestaltungsmöglichkeiten arbeitet, soll sie vor allem versuchen, diese unglaublich guten Leute wie den Alfred Dorfer und den Robert Palfrader zu beschäftigen, denen ja sehr viel schon gelungen ist. Auch die anderen Staatskünstler, dazu Stermann und Grissemann, sie machen die Höhlenmalerei erträglich, selbst wenn das Flaggschiff ORF sich durch sie in Richtung Spaßfraktion neigt. Aber lachend unterzugehen, ist unter den Menschenmöglichkeiten nicht die schlechteste.

Nun hat Pelinka seine Bewerbung zurückgezogen – was lernen wir aus der Episode?

Sie zeigt erneut die Absurdität der Situation. Das System funktioniert wie die russischen Puppen: Oben ist die Große Koalition, und jede weitere Puppe ist gleich konstruiert. Auch der ORF ist konstruiert nach dem Prinzip der Großen Koalition: Rote und Schwarze hassen einander wie die Pest und tun so, als ob sie es nicht täten. Daraus kann nur Krampf rühren. Das Einzige, was hilft, ist die Routine der Leute, die dort arbeiten und die die fachliche und sachliche Orientierung aufrechterhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2012)

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