Diekmann: "Wir wollen anderen auf die Füße treten"

Diekmann wollen anderen Fuesse
Diekmann wollen anderen Fuesse(c) Dapd (Michael Kappeler)
  • Drucken

Als Chef der "Bild" hat er Anteil am Rücktritt des deutschen Bundespräsidenten gehabt. Kai Diekmann über die Macht der Boulevardmedien, und wieso er fast bei der "Presse" gelandet wäre.

Herr Diekmann, vielen Dank für Ihre Zeit.

Kai Diekmann: Aus Zuneigung zu Wien nehme ich mir die gern. Mein Vater hat in Wien studiert und wissen Sie was: Ich hätte meine Karriere 1985 beinahe bei der „Presse" begonnen. Ich hatte schon einen Platz in der Lehrredaktion so gut wie sicher. Zur gleichen Zeit bot mir der Axel-Springer-Verlag eine Volontärsstelle an. Ich habe mich dann dafür entschlossen.


Unser Gastchefredakteur für die Jubiläumsnummer ist Schauspieler Tobias Moretti. Sie selbst waren 2003 Gastchefredakteur der „taz". Welche Geschichten haben Sie damals ins Blatt gehievt?

Mein größtes Anliegen war es, der „taz" damals ihr erstes und einziges Interview mit Helmut Kohl zu besorgen. Es war die Ausgabe zum 25. Geburtstag der „taz" - wir haben ein großes zweiseitiges Interview über linke Irrtümer, linke Fehler und linken Wahnsinn gemacht und die Schlagzeile: „25 Jahre ,taz' : Zum Geburtstag gibt's Kohl". Die Ausgabe ist bis heute die Einzelausgabe der „taz" mit der höchsten Auflage aller Zeiten.


Altbundeskanzler Helmut Kohl kommt in jedem Interview mit Ihnen vor. Ich wollte Ihren Trauzeugen eigentlich nicht erwähnen, aber das ist offenbar nicht möglich.

Das geht nicht. Aber im Ernst: Wenn Sie mich nach der „taz" von damals fragen, muss ich ihn erwähnen.


Zur „taz" haben Sie ein ambivalentes Verhältnis. Sie sind Genossenschafter der Zeitung, liefern sich aber auch regelmäßig verbale oder juristische Gefechte.

Ich bin der „taz" tatsächlich als Genossenschafter wirtschaftlich verbunden, aber auch sonst bin ich mitunter ein Bewunderer der Kreativität dieser Zeitung. Eine unserer legendären Schlagzeilen war „Wir sind Papst". Am gleichen Tag waren die Kollegen nicht minder kreativ, sie haben getitelt: „Oh Gott". Und als Angela Merkel zur ersten deutschen Kanzlerin gewählt wurde, haben wir die Schlagzeile gemacht: „Miss Germany" und die „taz" schrieb: „Es ist ein Mädchen". Ich sage deshalb oft: Es gibt eine große und eine kleine Boulevardzeitung in Deutschland, und beiden bin ich auf das Innigste verbunden.


Tobias Moretti interessiert sich für die Machtmechanismen des Boulevards, deswegen wollte er ein Gespräch mit Ihnen in seiner Ausgabe haben. Wie viel Macht haben Sie und die „Bild"?

Das ist keine Frage von Macht. Allerdings hat ein Medium mit so vielen Lesern wie „Bild" schon einen gewissen Einfluss. Es gibt keine andere Zeitung in Deutschland, die jeden Tag zwölf Millionen Leser erreicht und online zwölf Millionen Unique User hat. Und es ist Fakt, dass „Bild" in den vergangenen zehn Jahren an politischer Relevanz gewonnen hat, was man auch daran erkennen kann, wie oft wir in anderen Medien zitiert werden. Aber die „Bild"-Zeitung ist noch viel mehr, „Bild" misst die Temperatur im Lande. Wenn Zeitungen wie die "FAZ" schreiben, was passiert ist, dann schreiben wir, wie das, was passiert, sich anfühlt. Die „Süddeutsche Zeitung" hat einmal sehr treffend formuliert, wir seien so etwas wie der Seismograf der deutschen Befindlichkeit.

Wie würden Sie Ihre und die Rolle der „Bild" in der Affäre um Bundespräsident Christian Wulff bezeichnen?

„Bild" war die erste Zeitung, die über das Thema berichtet hat. Die gesamte Geschichte ist mit unserer Berichterstattung über die Kreditaffäre ins Rollen gekommen. Wir haben Christian Wulff nachgewiesen, dass er über die Hintergründe seines Hauskredits im niedersächsischen Landtag nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Im Laufe der Entwicklung wurden wir dann selbst Gegenstand der Berichterstattung, als der Anruf des Bundespräsidenten auf meiner Mailbox bekannt wurde. Und am Ende war es wiederum „Bild", die mit der Berichterstattung über den gemeinsamen Urlaubsaufenthalt des Bundespräsidenten mit dem Filmfinancier David Gronewold auf Sylt die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen hat - was schließlich zu seinem Rücktritt führte

Ohne die Veröffentlichung des Telefonats wäre es gar nicht zum Rücktritt gekommen?

Ich glaube, Sie überbewerten das. Richtig ist: Das Bekanntwerden des Vorgangs hat vor allem zu einer Solidarisierung der Medien geführt. Denn Medien reagieren sehr empfindlich, wenn es um die Frage der Verhinderung von Berichterstattung geht. Das war aber am Ende nicht entscheidend für den Rücktritt. Entscheidend war die Aufnahme von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft nach unserem Sylt-Bericht.

Haben Sie oft wütende Politiker am Apparat?

Natürlich kommt es vor, dass Betroffene von kritischer Berichterstattung versuchen, diese zu verhindern, zur Not auch mit Anwälten. Aber ich habe es noch nie erlebt, dass ein Bundespräsident versucht hat, Berichterstattung in dieser Form zu verhindern, und es dann auch noch so klar dokumentiert. Mit seiner Ansprache auf meiner Mailbox musste ihm eigentlich klar sein, dass wir darüber berichten würden.

Das heißt, Sie gehen eher nicht davon aus, dass der neue Bundespräsident Joachim Gauck bald bei Ihnen anrufen wird?

Ich glaube, dass Herr Gauck von ganz anderer Statur ist als Herr Wulff.

Es wurde aber Kritik geübt, dass die „Bild" andere Medien wie die „Süddeutsche" und die „FAS" benutzt hat, um Wulffs Anruf zu veröffentlichen, und nicht klar war, wie Details über den Anruf an die Öffentlichkeit kamen.

Wie der Anruf an die Öffentlichkeit kam, ist glasklar, und darüber haben wir auch schon oft Auskunft gegeben: Ich habe noch am gleichen Abend eine Abschrift von dem Anruf erstellen lassen, und diese ist bei den Redaktionskonferenzen in den nächsten Tagen breit diskutiert worden. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, wenn 20 Leute zwei Tage lang ein brisantes Thema diskutieren, aber ich gehe davon aus, dass das auch nicht im Kreis der 20 bleibt. Eine Redaktion ist ja kein Geheimdienst. Darüber hinaus habe ich auch mit zwei Kollegen von nationalen Titeln gesprochen, um mir deren Meinung einzuholen, ob wir darüber berichten sollen. Meine Sorge damals war, dass mit der Mailbox-Geschichte die eigentliche Recherche über den Kredit überlagert wird.

Aber haben Sie auf diese Weise nicht über Umwege die Geschichte über Wulffs Anruf in anderen Medien lanciert?

Nein, das versuche ich Ihnen gerade zu erklären. Wir haben zwei Tage überlegt, ob wir veröffentlichen oder nicht, und als wir uns entschieden hatten, zu veröffentlichen, hat der Bundespräsident angerufen und sich entschuldigt. Ich habe die Entschuldigung angenommen, und damit war für mich klar, es wird nicht veröffentlicht. Dann hat es noch einige Wochen gedauert, bis es in anderen Medien Hinweise auf diesen Anruf gegeben hat. Ich habe den Bundespräsidenten daraufhin schriftlich gefragt, ob wir das Gespräch veröffentlichen können, und der Bundespräsident hat dieser Veröffentlichung nicht zugestimmt. Und so hat die Geschichte ihren Lauf genommen.

Hätten Sie rückblickend irgendetwas anders gemacht?

In der Causa Wulff haben wir journalistisch, das kann man schon sagen, so ziemlich alles richtig gemacht. Das ist vielleicht auch der Grund, warum wir für den Henri-Nannen-Preis nominiert sind. Aber grundsätzlich gilt: Dort, wo gearbeitet wird, werden auch Fehler gemacht. Das gilt für „Bild" genauso wie für alle anderen Zeitungen und Medien. Fehler bei „Bild" sind allerdings oft besonders auffällig, weil wir mit so großen Buchstaben arbeiten.

In Österreich wird seit einigen Monaten über das zu enge Verhältnis zwischen Medien und Politik diskutiert, da Parteien mit ihren Inseraten in bestimmten Boulevardmedien indirekt Presseförderung betreiben. Wie viele Parteien und politische Institutionen inserieren in der „Bild"?

Politische Werbung spielt höchstens vor Bundestagswahlen eine Rolle, möglicherweise auch vor wichtigen Landtagswahlen in Regionalausgaben. Diese wird dann sehr breit in allen Medien gestreut. Da es bei uns allerdings eine strikte Trennung zwischen Redaktion und Anzeigen gibt, interessiert uns das herzlich wenig.

Sie sind sehr prominent in Deutschland, kennen viele andere Prominente privat. Wie trennen Sie private Kontakte und das Zeitungsgeschäft?

Das muss in der etwas überschaubareren Alpenrepublik noch viel schwieriger sein, weil Sie sich da ja ständig über den Weg laufen . . .

Darum funktioniert das ja bei manchen nicht . . .

Im Ernst: Das bedeutet, dass sich auch Bekannte von mir gefallen lassen müssen, dass sie möglicherweise Gegenstand von kritischer Berichterstattung in „Bild" werden. Eines tue ich aus Fairness aber nach Möglichkeit immer: dass ich von einer Schlagzeile betroffene Politiker oder Prominente vorab informiere. Das war bei Bischöfin Margot Käßmann so, bevor wir über ihre Alkoholfahrt berichtet haben. Ebenso beim bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer oder beim brandenburgischen Innenminister Speer. Aber wir lassen uns dadurch nicht von der Berichterstattung abbringen. Natürlich rufen mich auch Bekannte oder Freunde an, die wissen, dass über sie berichtet werden wird. Ich sage denen dann immer, es macht überhaupt keinen Sinn, irgendetwas unterdrücken zu wollen. Das kommt ja eh raus.

Wie viele Freundschaften mussten Sie für eine Geschichte in der „Bild" aufgeben?

Wirklich beendet wurde keine, aber es kommt schon vor, dass es mit dem einen oder anderen Funkstille gibt. Das halte ich dann aber auch ganz gut aus.

Wulffs unsaubere Geschäfte haben in Deutschland eine Debatte über Presserabatte ausgelöst.

Diese Diskussion halte ich für absolut richtig. Deswegen haben die Redaktionen von Axel Springer gemeinsam vereinbart, dass unsere Journalisten keine Presserabatte mehr in Anspruch nehmen.

Themenwechsel: Ist es nicht ein bisschen scheinheilig, das nackte Mädchen von Seite eins ins Blattinnere zu verräumen, wie Sie das Anfang März verkündet haben?

Die internationale Aufmerksamkeit hat bestätigt, dass es offensichtlich eine bemerkenswerte Entscheidung war. Von der „London Times" über „USA Today" bis zum „Sidney Morning Herald" haben alle Medien darüber berichtet. Die „Bild"-Zeitung gibt es seit 60 Jahren, das Mädchen auf Seite 1 gibt es gerade mal seit 28 Jahren. Das Seite-eins-Mädchen war viele Jahre Alleinstellungsmerkmal. Aber das ist es nicht mehr, im Zeitalter des Internets gibt es überall Nacktheit. Es ist nicht mehr Avantgarde, und deswegen glauben wir, dass das mögliche Ärgerpotenzial der Nackten auf Seite 1 am Ende größer war als ihr Nutzen.

Und Sie denken, das Ärgerpotenzial ist geringer, wenn die Nackte auf Seite 7 statt auf Seite 1 steht?

Ja, ich glaube, es macht einen Unterschied, ob etwas sehr plakativ und provozierend auf der Seite 1 steht oder im Inneren des Blattes.

Würden Sie den Satz unterschreiben, dass die Boulevardmedien einen schlechten Ruf haben?

Nein. Ich würde den Satz unterstreichen, dass Boulevardmedien polarisieren und provozieren, dass sie viele Fans, aber auch viele Gegner haben. Es geht uns ein bisschen wie dem FC Bayern München: Wir haben viele Fans, werden aber auch leidenschaftlich abgelehnt. Das hat mit dem Erfolg zu tun, aber auch mit unserem Markenkern. Wir wollen polarisieren, wollen Leuten auf die Füße treten, und zwar mit voller Absicht.

Sie haben einmal gesagt, der österreichische Markt sei für die „Bild" zu klein. Machen Sie dennoch Marktbeobachtung bei uns?

Habe ich das gesagt?

In einem Interview mit dem „Falter" 2009.

Dann wird es wohl so sein. Der Markt in Österreich ist ja auch ganz gut abgedeckt. Es gibt es bei Ihnen die sehr gut gemachte „Krone" und das innovative „Heute". Und dann gibt es noch „Österreich" von Wolfgang Fellner, den ich seit vielen Jahren bewundere.

Ein Merkmal der „Bild", das sie auch von österreichischen Boulevardblättern unterscheidet, ist der zum Teil sehr brachiale Humor in den Schlagzeilen.

Humor bei „Bild" hat es schon immer gegeben. Wie stark sich dies in den Schlagzeilen widerspiegelt, ist allerdings auch von der Stimmung im Land abhängig. Zum Beispiel waren unsere Ausgaben in den Monaten nach 9/11 überhaupt nicht von einer Leichtigkeit geprägt. Aber gerade bei dem, was ich mitunter in „Heute" lese, habe ich ausgesprochen viel Spaß.

Jetzt loben Sie „Heute" aber, weil der bisherige Chefredakteur des Blattes, Wolfgang Ainetter, vorher lange bei der „Bild" war.

Das hat nichts mit dem bisherigen Chefredakteur zu tun, sondern ausschließlich mit der charmanten Herausgeberin von „Heute", die wirklich eine großartige Frau ist.

Gibt es Kritik an der „Bild", die Sie ungerechtfertigt finden?

Wir sind da nicht empfindlich. „Bild" ist ja auch nicht zimperlich, wenn es darum geht, auszuteilen. Jeden Tag treten wir einer ganzen Menge Leute auf die Füße. Wir sind Marktführer, und ich halte es für vollkommen richtig, dass gerade der Marktführer auch ganz besonders kritisch betrachtet wird.

Das heißt, Ihr Credo für guten Boulevardjournalismus lautet: Schlagzeilen müssen polarisieren und mitunter wehtun, niemand darf mit Samthandschuhen angefasst werden. Ist das das Rezept, um sich von Qualitätsmedien abzuheben?

Ich halte die Unterscheidung von Boulevard- und Qualitätszeitung, wie Sie sie machen, für grundsätzlich falsch. Gerade gut gemachte Boulevardzeitungen müssen auch ausgesprochene Qualitätszeitungen sein, weil wir einen Sachverhalt auf eine Schlagzeile zuspitzen und in der Sprache klar und verständlich sein müssen. Darüber hinaus ist es vor allem der emotionale Zugang, der uns von anderen Zeitungstypen unterscheidet.

Wie unterscheiden Sie die Blätter dann?

Ich unterscheide eher zwischen populären und nicht so populären Zeitungen.


Sie sind seit 2001 Chefredakteur des Blattes und mittlerweile länger als Ihre zwölf Vorgänger am Ruder. Warum?

Weil mich immer noch keiner rausgeschmissen hat.

Und wie lange bleiben Sie noch?

Bis ich ein Angebot von der „Presse" bekomme, damit ich das vollenden kann, was mir am Anfang meines Berufslebens nicht vergönnt war. Über ein Angebot der „Presse" würde ich jederzeit nachdenken.

Das richte ich der Styria-Chefetage aus.

Okay, zugegeben, ich mache mir keine Gedanken darüber, was als Nächstes kommt. Sobald ich nur einmal denke: „Das war doch alles schon da" und sich eine gefährliche Routine einschleicht, würde ich sagen: Es wird Zeit, etwas zu ändern.

Kai Diekmann

1964
Geboren in Ravensburg, aufgewachsen in Bielefeld. Nach der Matura leistet er von 1983 bis 1985 freiwillig Wehrdienst ab, schließt mit dem Grad des Oberstleutnant ab.

1985
Nach Abbruch des Geschichts- und Politikstudiums beginnt er 1985 beim Axel-Springer-Verlag als Volontär. 1992 wird er Politikchef der „Bild“, 1998 Chefredakteur der „Welt am Sonntag“.

Seit 2001 ist der vierfache Vater, der mit „Bild“-Kolumnistin Katja Kessler verheiratet ist, Chefredakteur der „Bild“, die heuer im Juni 60 Jahre alt wird, was mit einigen Aktionen gefeiert werden soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Joachim Gauck
Außenpolitik

Gauck würdigt 68er-Generation als "beispielhaft"

Der neue deutsche Bundespräsident hat am Freitag seinen Amtseid geleistet. In seiner Antrittsrede legte er ein Bekenntnis zu Europa ab
Christian Ortner

Der Fall Gauck – oder: Die Angst der Schafe vor der Freiheit

Paradox: Je mehr der Staat die wirtschaftliche, politische und persönliche Freiheit seiner Bürger beschränkt, umso geringer wird deren Bedürfnis nach mehr Freiheit.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.