Er hatte eine Debatte über sein Gedicht "Was gesagt werden muss" erhofft, findet diese aber zu einseitig. Kritik an Israel sollte zu dessen eigenem Wohl geäußert werden.
Der deutsche Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat sich in mehreren Interviews zu seinem umstrittenen Gedicht "Was gesagt werden muss" geäußert. In den Tagesthemen der ARD wehrt er sich gegen die "gleichgeschaltete Presse". Er hatte sich zwar eine Debatte erhofft, sei aber über deren derzeitigen Verlauf entsetzt. Gerade aus Freundschaft zu und Sorge um Israel müsse man das Schweigen über dessen Fehler brechen und Kritik an dem Staat äußern. Denn im Gegensatz zum Iran, dem Grass "Maulheldentum" unterstellt, hätte Israel dank seiner Atomwaffen deutlich mehr Macht als die umliegenden Staaten.
Israel "Atom- und Besatzungsmacht"
Grass schwenkt auch auf die Siedlungspolitik ein. Der Bau neuer Siedlungen im Westjordanland sei das Kennzeichen einer "Besatzungsmacht". So wie andere Länder "sich feige wegducken" sei "das schlimmste, was man Israel antun kann". Der Rest der Welt habe schon lange genug Rücksicht auf Israel genommen, ist Grass überzeugt. Kritik an Deutschland hagelte es auch. Dass die Bundesrepublik der "drittgrößte Waffenlieferant" sei, stößt Grass sauer auf: "Ich empfinde das als Schande."
"Kampagne gegen mich"
In einem weiteren Interview mit dem NDR klagt Grass die Presse an. "Der durchgehende Tenor ist, sich bloß nicht auf den Inhalt des Gedichtes einlassen, sondern eine Kampagne gegen mich zu führen, und zu behaupten, mein Ruf sei für alle Zeit geschädigt", sagte der Autor in dem Gespräch, das der Sender auf seiner Website veröffentlichte. "Es ist mir aufgefallen, dass in einem demokratischen Land, in dem Pressefreiheit herrscht, eine gewisse Gleichschaltung der Meinung im Vordergrund steht", sagte der 84-Jährige.
Auch in einem Interview mit dem Magazin "Kulturzeit" des Fernsehsenders 3sat wies Grass die Kritik an seiner Person als überzogen zurück. "Eine derart massive Verurteilung bis hin zum Vorwurf des Antisemitismus ist von einer verletzenden Gehässigkeit ohnegleichen. Das habe ich in dieser Form noch nicht erlebt", sagte Grass. "Ich werde hier an den Pranger gestellt." Es helfe Israel überhaupt nicht, kritikwürdige Vorgänge und Zustände nicht beim Namen zu nennen. Deshalb sei für ihn klar: "Widerrufen werde ich auf keinen Fall."
Regierung, nicht Land ist das Problem
Allerdings räumte der Schriftsteller in dem "Kulturzeit"-Gespräch einen Fehler ein. Es wäre besser gewesen, nicht von "Israel" generell zu sprechen, sondern von der "derzeitigen Regierung Israels". An dieser Stelle habe er einen Fehler gemacht, den er nicht wiederholen würde. Grundsätzlich gelte aber: "Mit kritikloser Hinnahme hilft man Israel nicht. Das ist Nibelungentreue und wir wissen, wohin die führt." Die Lieferung eines sechsten U-Boots an Israel durch Deutschland, der Auslöser seiner Publikation, sei nun einmal "eine falsche Form der Wiedergutmachung".
Netanyahu wettert gegen Grass
Der Kritik an Grass schloss sich am Donnerstag auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu mit harten Worten an. Er erinnerte daran, dass der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad den Holocaust leugnet und zur Vernichtung Israels aufruft. Grass' "schändlicher Vergleich Israels mit dem Iran" sage daher "sehr wenig über Israel und sehr viel über Grass". "Der Iran, nicht Israel, stellt eine Bedrohung für den Weltfrieden und die Sicherheit in der Welt dar", betonte Netanyahu. Grass erklärte in einem der Interviews, dass er den Iran auch schon oft kritisiert hätte. Dessen Gefahr sei bekannt. Daher habe er sich auf Israel konzentriert.
Rückendeckung für den Dichter
Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, nahm Grass indes in Schutz. "Man muss ein klares Wort sagen dürfen, ohne als Israel-Feind denunziert zu werden", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung". Grass habe nur einer Sorge Ausdruck verliehen, die er mit einer ganzen Menge Menschen teile.
Die Vereinigung "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost" begrüßte das umstrittene Gedicht von Günter Grass als "aufrichtig" und verteidigte das Recht aller Deutschen, "die menschenverachtende Politik des Staates Israel zu kritisieren, ohne als Antisemiten diffamiert zu werden." Mit Recht weise Grass auf die "überlegene Stärke" der Atommacht Israel und auf die "Gefahr eines tödlichen Kriegs" hin, "der mit oder ohne Unterstützung der USA den ganzen Nahen Osten in Mitleidenschaft ziehen und möglicherweise auf die restliche Welt übergreifen würde", heißt es in einer Presseaussendung vom Donnerstag.
(Ag./db)