Das Dilemma der Medien im Fall Breivik

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Der Attentäter Anders Behring Breivik nützt den Gerichtssaal als Bühne. Nicht nur Norwegens Medien stehen vor der Frage, wie viel Platz und Sendezeit sie dem Massenmörder einräumen sollen.

Die globale Nachrichtenmaschinerie hat ihre Scheinwerfer erst vor wenigen Tagen wieder auf Oslo und den Massenmörder Anders Behring Breivik gerichtet. Die norwegischen Medien hingegen haben nie weggeschaut, sie hatten seit dem 22.Juli 2011 keine wirkliche Pause von dem Attentäter, der an diesem Tag 77 Menschen tötete. Obwohl seither einige Zeit vergangen ist, ist der Umgang mit der Figur Breivik in den Medien immer noch nicht zur Routine geworden.

Gewisse Grundsatzdebatten hat die Branche aber hinter sich gebracht. Der Prozess findet nicht nur öffentlich statt, es darf auch gefilmt werden, was sonst (ähnlich wie in Österreich) nicht vorgesehen ist, und was vor allem die Angehörigen der Opfer immer noch kritisieren. Eine andere Frage, nämlich die, ob es sinnvoll ist, gar nicht über Breivik zu berichten, um ihm kein Podium zu bieten, wurde immer wieder diskutiert und längst beantwortet: „Wenn es das größte Verbrechen in der norwegischen Geschichte ist – wie können wir dann so tun, als sei es nicht passiert“, sagt Tomm Kristiansen, Reporter beim öffentlich-rechtlichen Norwegischen Rundfunk NRK. Es gebe zwar vereinzelt Medien, die entschieden hätten, Breiviks Namen nicht zu nennen oder ihn nicht mehr auf der Titelseite abzubilden, über den Prozess berichten aber alle. Der NRK beliefert als staatlicher Rundfunk auch viele ausländische Fernsehanstalten mit Bildern, wie CNN, BBC und Sky News, die trotzdem jeweils zehn Mitarbeiter schicken. Mehr als 250 Mitarbeiter des NRK, vom Caterer über die Maskenbildnerin bis zum Reporter, decken den Breivik-Prozess ab. In der Osloer Innenstadt wurde ein NRK-Quartier eingerichtet. „Hier im Büro ist so gut wie niemand mehr“, sagt Kristiansen.

Kein Ton und Bild, wenn Breivik redet

Der Attentäter hat bereits in seinem „Manifest“ angekündigt, dass er „die Propagandamöglichkeiten“ des Prozesses nützen werde. Er hat nach dem Prozessauftakt am Montag vier Verhandlungstage lang die Möglichkeit, sich zu verteidigen und die Tat zu erklären – die Medienbranche weiß, dass Breivik den Gerichtssaal als Bühne nutzen wird. „Und wir drehen trotzdem die Lautsprecher auf“, sagt Kristiansen: „Mit diesem Dilemma müssen wir jetzt leben.“ Nicht nur der NRK berichtet ab sofort täglich von früh bis spät aus dem Gerichtssaal, auch die drei großen Tageszeitungen des Landes haben ihre eigenen Filmteams vor Ort. Unzählige Medien in aller Welt produzieren Liveticker auf ihren Onlineseiten. Der NRK betont, dass er seriös über den Prozess berichtet, „wir sind sehr vorsichtig“, sagt Kristiansen. Wie vorsichtig, zeigte sich bereits am ersten Prozesstag: Als der Staatsanwalt auflistet, welches Opfer wo und wie zu Tode kam, drehte der NRK die Lautstärke absichtlich so leise, dass kein Wort mehr zu verstehen war. Auch Breiviks Befragung in den kommenden Tagen wird ohne Bild und Ton übertragen. Der NRK wird jedoch schriftlich einblenden, was er sagt.

Insgesamt 800 Journalisten von geschätzten 250 Medienunternehmen berichten vor Ort aus Oslo. Weil im Gerichtssaal nur 200 Zuhörer zugelassen sind, verteilen sich die restlichen Medienvertreter auf vier Pressezentren in der Stadt. Es gab sogar die Idee, ein Kino zu mieten und zum Gerichtssaal umzufunktionieren, die norwegische Politik entschied sich dagegen. Für einen Attentäter wie Breivik sollte nicht alles auf den Kopf gestellt werden, hieß es. Dabei ist das längst passiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2012)

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