EU-Wahlen

Ist der Schock über die Wahlen zum Parlament der Europäischen Union bereits verdaut? Aus der nötigen Distanz scheint das Aufkommen der EU-Kritiker gar nicht so schlimm zu sein.

In vielen Metropolen der restlichen Welt hat der Umstand, dass in Europa vorige Woche 28 Staaten ihr EU-Parlament gewählt haben, nicht für eine Schlagzeile gereicht. Während sich die moderaten Parteien auf unserem Kontinent wegen des Aufschwungs der rechten und linken Extremisten die Wunden lecken, während die weisesten Leitartikler vor allem in Deutschland larmoyant immer schon alles gewusst haben, bleibt die Peripherie (von uns aus gesehen) relativ ruhig.

In Kanadas seriöser Tageszeitung The Globe and Mail sieht Lysiane Gagnon das Ergebnis gelassen: Gewonnen habe vor allem Angela Merkel. Die deutsche Kanzlerin nehme in der EU längst die Führungsrolle ein – siehe Ukraine. Der große Verlierer sei Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Großbritannien, das drittgrößte Mitglied, das wie Dänemark und Frankreich mehr EU-Gegner nach Straßburg schicke als Befürworter, sei „already out of the EU game“. Die Unlogik, Abgeordnete zu entsenden, die ihr Parlament eigentlich abschaffen wollen, habe es auch in Kanada gegeben. Man sollte aber Siege wie jene des Front National nicht übertreiben: „Die EU-Wahlen sind so wie kanadische Zwischenwahlen – risikolose Gelegenheiten, seiner Regierung einen Denkzettel zu verpassen.“

In The Australian versteht der (britische) Kolumnist Theodore Dalrymple die Wähler. Sie haben es denen da oben einmal gezeigt: „Wenn sie der politischen Klasse einen Moment Unbehagen bereiten, ist das besser als gar nichts.“ So ein Warnschuss sei übrigens die einzige Alternative. „It will soon be back to political business as usual.“

Pessimistisch wie viele Europäer sind hingegen viele Kommentatoren in Israel: Ari Shavit meint in der linksliberalen Tageszeitung Haaretz, nach dieser Wahl sei plötzlich klar, „dass unter dem neuen Europa das alte Europa noch immer quicklebendig sei. In der ebenfalls renommierten Jerusalem Postheißt es: „Die Ergebnisse sind für jene besorgniserregend, die gehofft hatten, dass sich die Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach von nationalistischen, ethnozentristischen politischen Identitäten wegbewegen, hin zu liberaleren, universalen politischen Arrangements.“ Das Ergebnis sei auf jeden Fall schlecht für Europas Juden. Die zwingend notwendige Integration Europas sehe nun nicht mehr so plausibel aus.


Verständnis für UKIP.
Und was liest man im Fernen Osten über unsere rechten Randexistenzen? Für die Japan Times analysiert William Pfaff, ein Amerikaner in Paris, der von Chicago bis Tokio publiziert, das Ergebnis so: 150 Anti-„Europäer“ werden durch diese Wahl in ein Parlament mit 751 Sitzen kommen, „das sehr wenig Macht über die Funktionen der EU-Exekutive hat“. Noch seien die extremistischen, nationalistischen Parteien klein. Der Front National aber habe nur mehr wenig mit dem Antisemitismus und schlechten Ruf des Gründers Jean-Marie Le Pen zu tun, seit seine Tochter die Partei führt. Und UKIP in Großbritannien sei doch nicht rechts oder reaktionär. Auch die USA verteidigten stets ihre Souveränität. Das Ergebnis reflektiere vor allem die Bankenkrise, die Ablehnung des Euro und der offenen Grenzen. Die ferne Diagnose: Viele europäische Reaktionen sind bloß Hysterie.

norbert.mayer@diepresse.com

diepresse.com/mediator

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2014)

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