Funkhaus-Verkauf: Exodus von Ö1 aus der Argentinierstraße

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der beste Radiosender des Landes wird auf den Küniglberg befohlen. Manager finden immer gute Gründe dafür, warum Konzentration guttut. Aber der Umzug ist eine extrem kulturfremde Entscheidung.

Der Fasching beginnt in diesem Jahr mit 49 Minuten Verspätung. Kein Scherz: Am 11. 11. um 12 Uhr endet die Anbotsfrist für jene Interessenten, die das ehrwürdige Funkhaus des Österreichischen Rundfunks in der Argentinierstraße erwerben wollen. 18 Mio. Euro sind die Mindestsumme für die mehr als 28.000 Quadratmeter Fläche, mit dem in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts geschaffenen Bau des Architekten Clemens Holzmeister als Kernstück. Hier wurde Radiogeschichte geschrieben. Das Funkhaus ist ein Fluchtpunkt der Kultur in allen ihren Ausprägungen. Der in ihm bisher beheimatete Sender Ö1 fungiert, wie der Universalkünstler und einstige Radiomann André Heller richtig bemerkt hat, als „intellektueller Ventilator zur Durchlüftung Österreichs“.

Die Kürze der Frist seit der Ausschreibung unmittelbar vor dem Nationalfeiertag 2015 lässt manche Kritiker vermuten, dass der Deal bereits gelaufen sei. Die Initiatoren der Aktion Rettet das Funkhaus mit ihren zehntausenden Unterstützern, die beharrlich fordern, dass der Sender Ö1 an seiner Wirkungsstätte in der Argentinierstraße bleiben müsse, werden bis 11. November wohl noch einmal all ihre Kräfte mobilisieren. An den Absichten der ORF-Spitze, des Stiftungsrates und dessen dahinterstehender Politik wird das aller Voraussicht nach nichts mehr ändern. 2020 müssen die Mitarbeiter von Ö1, FM4 und Radio Wien raus aus dem 4. Bezirk und rauf auf den Küniglberg. An die Peripherie. Fast schon in den Wienerwald. Ergibt das Sinn?

An der Summe, die der Verkauf der Immobilie abwirft, kann es nicht liegen. Bei einem Unternehmen mit circa einer Milliarde Euro Umsatz ist das langfristig eine bescheidene Größe, selbst wenn sich Käufer um 200 Millionen Euro fänden. Und wer weiß schon, wie viel der erforderliche Neubau im ORF-Zentrum in Hietzing kosten wird. 300 Millionen? 400 Millionen? Denken wir zurück an den jüngsten Ausbau des Flughafens Wien Schwechat, der ebenfalls im halb staatlichen Bereich erfolgte. Auch damals ging es anfangs um ähnliche Beträge.

Doch das Kaufmännische ist bei den Absiedelungsplänen für Ö1, FM4 und Radio Wien wahrscheinlich nicht das Ausschlaggebende, sondern der Wunsch der Generaldirektion nach Zentralisierung. Für die Neuorganisation der größten Sendeanstalt des Landes sollen alle ihre Mitarbeiter in Wien an einem Ort sein. Die Grenzen der Medien verschwinden, da ist es doch verlockend für die Strategen des ORF, von Synergieeffekten zu träumen. Fernsehen, Radio, Onlinekanäle vereint an einem Kommunikationsknotenpunkt – das kann doch kein Schaden sein! Das garantiert doch eine fruchtbare Nachbarschaft! Oder? Solche Allmachtsfantasien gibt es auch in anderen Firmen. Strategen an der Spitze von Zeitungen schwärmen ebenfalls von Content Engines und Newsrooms, die sie meist nur aus der Vogelperspektive kennen – aus der Distanz ihrer großzügigen Büros oder aus Redaktionen in US-Serien. Dort lautete die Losung in den Urzeiten des Internets im vorigen Jahrtausend: „Alle machen alles!“


Verwurzelt. Kann aber wirklich jeder Ö1 „machen“? Das glauben vielleicht universale Manager, aber die Güte des Senders verdankt sich einer über Jahrzehnte gewachsenen Kultur. Sie ist im Funkhaus entstanden, im Herzen einer Großstadt, nicht in einem Klotz an deren Rand. Wer diese Radio-Pflanze entwurzelt, muss extrem kulturfremd sein. Ins Funkhaus streben Künstler, Wissenschaftler und viele andere Experten, weil dort ein eigener Geist weht. Nennen wir es ruhig Tradition, wie bei einem Handwerk. Hier gibt es schönste Entschleunigung. Diese Haltung wird noch wesentlich sein, wenn sich die Fetische Tempo und allzeit bereite Verfügbarkeit als Moden von gestern herausgestellt haben. Ein Sender wie Ö1 braucht vielleicht, um weiterhin zu gedeihen, etwas Abstand zur Hektik der Macht am Küniglberg. Die Redaktionsräume in der Argentinierstraße sind übrigens äußerst bescheiden, aber ganz offensichtlich arbeiten die meisten Leute dort wirklich gern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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