Schaust du noch oder streamst du schon?

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Was tat man am Welttag des Fernsehens ohne Fernseher? Süchtige griffen zu ihrem Tablet oder warfen den Laptop an und holten das Versäumte per Stream in TV-Theken nach. Wem das noch immer nicht genug war, der twitterte auch dazu.

Am Samstag war der Welttag des Fernsehens. Er folgte auf den Welttoilettentag am 19. sowie auf den Tag der Industrialisierung Afrikas und den Tag der Rechte des Kindes am 20. November. Fans von Gedrucktem sind erst nächste Woche dran: Am 26. November begehen traditionsbewusste Journalisten den Welttag der Zeitschriften. Da werden wir uns fröhlich die hübschesten Grubenhunde vorlesen und schwören, dass Zeitungen Zukunft haben.

Seit 1996 aber feiert die TV-Branche am 21. November, dass es sie trotz Internet und Smartphone immer noch gibt. Inzwischen hat die Tätigkeit des Fernsehens in vielen Ländern sogar zugenommen. Die Statistiken variieren je nach Auftraggeber stark, die größten Fans hat dieses Medium seit einigen Jahren alles in allem in Ost- und Mitteleuropa. Rumänen, Ungarn, Griechen, Serben verbringen an die fünf Stunden pro Tag vor dem TV-Schirm, während der Durchschnitt in Europa bei gut dreieinhalb Stunden liegt. In Deutschland, dem größten Markt in der EU, hat sich der TV-Konsum bis 2006 stetig erhöht. Danach gab es kurze Zeit einen leichten Rückgang. Daran waren vor allem die jungen Leute schuld. Sie nutzen nämlich stärker das Internet und Videos als das gewöhnliche TV.

Mit so viel Innovation und Multitasking kann ein Babyboomer wie der „Mediator“ nicht mithalten. In seiner Altersgruppe sind die „ZiBs“ und der „Tatort“ immer noch Pflicht, dem Fernsehen opfern die Menschen in der Mitte des Lebens verlässlich mehr Zeit als den sozialen Medien auf ihren Smartphones oder gar wirklichen Begegnungen. Ich frage mich allerdings, aus eigener Erfahrung, ob auch der Fernsehschlaf älterer Semester in diese Konsumstatistiken eingerechnet ist.

An diesem Samstag aber, den ich aus Solidarität mit einem für mein Gefühl noch immer jungen Dienstleister (was sind schon 60 Jahre, lieber ORF?) besonders bewusst fernsehend begehen wollte, war ich in einer Notlage. In meiner Herberge war kein Platz für ein TV-Gerät. Also habe ich diesen bedeutenden, von den Vereinten Nationen vor 19 Jahren initiierten Welttag mit Streaming von mir bekannten Programmen auf dem Tablet begonnen. Das ist noch ungewöhnlich, bisher machen das nur rund drei Prozent der TV-Konsumenten, während es bereits 20 Prozent auf Computern tun. Wirklich weit verbreitet ist hingegen die Mehrfachtätigkeit während des Fernsehen. Laut „Süddeutscher Zeitung“ schreibt dabei jeder Zehnte SMS-Nachrichten, jeder Fünfte liest, und 29 Prozent der Leute telefonieren. Manche Talente nachfolgender Generationen können sogar alles zugleich und zudem essen.


Multitasking. Der Vorteil von Streaming für reifere Leute wie mich, die so viel Parallelaktion nicht mehr ganz auf die Reihe kriegen: Man kann unterbrechen, um sich ein Glas Himbeersaft aus dem Kühlschrank zu holen, kann sogar, ganz wie beim Videoschauen, im Verlauf zurückgehen oder sich Zusatzinformationen holen. In Kombination mit Twittern ergibt das einigermaßen viel Stress. Derartige rasche Kanäle mit ihrer Eigenschaft, brandheiße Gerüchte wie Fakten in die Welt zu setzen und im großen Forum zu kommentieren, haben sich besonders in Kreisen, die sich für gut informiert halten, zur ständigen Begleiterscheinung des Fernsehens entwickelt.

Ersetzt haben neue Medien den alten Großen Bruder aber nicht. Im Gegenteil: Anscheinend wird vor allem Streamen dazu führen, dass der Fernsehkonsum weiter steigt, dass etablierte TV-Anstalten, die auf diese Technologie setzen, so wie die neuen Anbieter im Netz ihre Quoten erhöhen. Nein, das reife Massenmedium Fernsehen wird durch das Netz nicht umgebracht, aber zumindest stark verändert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2015)

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